Fünf deutsche Umweltverbände und mehrere einzelne Kläger:innen ziehen erneut gegen die Klimapolitik der Bundesregierung vor das Bundesverfassungsgericht. Es sei die "Verfassungsbeschwerde 2.0", eröffnet Rechtsanwältin Roda Verheyen am Mittwochmorgen die Vorstellung der neuen Klimaklage im Haus der Bundespressekonferenz.

Die erste Verfassungsbeschwerde war vier Jahre zuvor in demselben Gebäude vorgestellt worden. Damals kritisierten die Kläger:innen, dass die Ziele des Klimaschutzgesetzes nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimavertrages konform gingen und die beschlossenen Maßnahmen nicht mal für diese ungenügenden Ziele ausreichen würden.

 

Ein Jahr später sprach das Verfassungsgericht das historische Urteil: Das Klimaschutzgesetz ist in Teilen grundgesetzwidrig und die Bundesregierung muss nachbessern. Das hat die Regierung auch getan. Die Klimaziele wurden verschärft.

Das Klimagesetz legt bisher für jeden Sektor jährliche Reduktionsziele fest. Jedes einzelne Ministerium, das nicht genügend Treibhausgase eingespart hat, ist dazu verpflichtet, ein Sofortprogramm mit entsprechenden Maßnahmen umzusetzen.

Mit einer Gesetzesänderung will die Bundesregierung vieles davon nun wieder rückgängig machen. Dabei will das Klagebündnis nicht so einfach zugucken.

Die geplante Novelle wurde bereits vor einem Jahr vom Bundeskabinett beschlossen und hat dieses Jahr den Bundestag und Bundesrat passiert. Gegenwärtig wartet der Gesetzentwurf nur noch auf die Unterschrift vom Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Der lässt sich ungewöhnlich lange Zeit. Schon seit fünf Wochen liegt der Entwurf auf seinem Schreibtisch.

Auch Steinmeier weiß: Sobald er die Gesetzesänderung unterschreibt, geht die Verfassungsbeschwerde des Bündnisses raus an das Gericht in Karlsruhe. Genauer gesagt sind es drei Verfassungsbeschwerden.

Die drei Klagebündnisse – die Deutsche Umwelthilfe (DUH), Greenpeace zusammen mit Germanwatch sowie der Umweltverband BUND mit dem Solarenergie-Förderverein SFV – bringen unterschiedliche juristische Argumente vor, die Klagen ähneln sich aber doch in den wesentlichen Punkten.

Wissing und Geywitz verweigern Sofortprogramme

Die Novelle des Klimaschutzgesetzes sei eine "Vollbremsung" und verfassungswidrig, erklärt Verheyen. Mit der geplanten Abschaffung der Sektorziele gefährde die Regierung das Erreichen der Klimaziele insgesamt.

Das wiederum stelle eine Verletzung der Freiheitsrechte junger Menschen und künftiger Generationen dar. So hatten auch 2021 die Verfassungsrichter:innen ihren Urteilsspruch begründet.

Der Klimagesetzentwurf verstoße gegen das Karlsruher Urteil von 2021, kritisieren die Kläger:innen. (Bild: Nicola Quarz/Mehr Demokratie/Flickr)

Auch die Pflicht für Ministerien, Sofortprogramme zu verabschieden, soll mit der Novelle über Bord gehen. Sowohl der Verkehrs- als auch der Gebäudesektor haben in den vergangenen zwei Jahren ihr CO2-Budget überzogen.

Beide Ministerien weigerten sich, fristgerechte Sofortprogramme vorzulegen. Bereits Ende vergangenen Jahres verurteilte das Oberverwaltungsgericht in Berlin die Bundesregierung dazu, dies schleunigst nachzuholen. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) kündigte an, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen.

Sowohl Wissing als auch Bauministerin Klara Geywitz (SPD) argumentierten, dass ein neues Gesetz – ohne Pflicht zu Sofortprogrammen – bereits geplant sei.

Die Umweltorganisationen klagen außerdem dagegen, die "Prokrastination von Klimaschutz zum Gesetz zu machen", wie es DUH-Anwalt Remo Klinger formuliert. Nach der Gesetzesänderung müsste die Bundesregierung bis 2029 nur dann zusätzliche Maßnahmen beschließen, wenn die Emissions-Projektionen wiederholt das CO2-Budget bis 2030 überschreiten.

Damit würden notwendige Entscheidungen immer weiter in die Zukunft verschoben, so Klinger.

Schon heute belegen zahlreiche Analysen, dass Deutschland nicht auf Kurs ist, die eigenen Klimaziele zu erreichen. Nach dem neuen Gesetz sollen nicht mehr die tatsächlichen Treibhausgasemissionen bei der Bewertung der Klimapolitik ausschlaggebend sein, sondern Voraussagen über die zukünftigen Emissionen. Das lässt wesentlich mehr Interpretationsspielraum.

So verkündete Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) im vergangenen März stolz, dass Deutschland nun erstmalig auf Kurs sei, sein Klimaziel für 2030 zu erreichen – oder sogar zu übertreffen. Dabei stützte sich Habeck auf Projektionen des Umweltbundesamtes.

Der unabhängige Expertenrat für Klimafragen kam jedoch wenige Wochen später zu einem anderen Ergebnis. Die Regierung unterschätzt laut einem Sondergutachten des Rates die Emissionen in vielen Sektoren aufgrund diverser Fehlannahmen. Die Expert:innen gehen von einer klaren Zielverfehlung aus.

Expertenrat widerspricht Bundesregierung

In der Bundespressekonferenz stellt das Bündnis klar, dass aus seiner Sicht nicht nur die geplante Entkernung des Klimaschutzgesetzes gegen das Grundgesetz und das Pariser Klimaabkommen verstoßen würde. Auch die Maßnahmen und Zielsetzungen im aktuellen Gesetz reichten bei Weitem nicht aus.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hatte vor einem Vierteljahr vorgerechnet, dass die Bundesrepublik ihr 1,5-Grad-kompatibles CO2-Budget unvermeidlich überschreiten wird. Selbst für einen fairen Beitrag zu einem 1,75-Grad-Limit müsste Deutschland spätestens 2037 klimaneutral sein.

Die Faktenlage habe sich seit 2021 deutlich verändert, gibt der Jurist und Soziologe Felix Ekardt zu bedenken. Werden etwa die neuesten Zahlen des Weltklimarates IPCC zugrunde gelegt, habe Deutschland überhaupt kein CO2-Budget mehr zur Verfügung, wenn das 1,5-Grad-Ziel mit hoher Wahrscheinlichkeit erreicht werden soll.

Bei diesen Zahlen ist die besondere Rolle von Industrienationen – aufgrund ihrer historischen Verantwortung für den Klimawandel sowie ihrer größeren ökonomischen Möglichkeiten – noch nicht berücksichtigt.

Ekardt: "Es ist nicht zu erkennen, dass sich die Bundesregierung mit neuen klimawissenschaftlichen Erkenntnissen auseinandersetzt."

 

Um den politischen Druck zu erhöhen, ruft die DUH dazu auf, sich ihrer Verfassungsbeschwerde anzuschließen. Mit ihrer Unterschrift werden Bürger:innen dabei nicht tatsächlich zu Kläger:innen, aber unterstützen die Klage symbolisch.

Noch einen Schritt weiter gehen Greenpeace und Germanwatch. Erstmals können sich alle dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen ihrer Beschwerde anschließen. Über eine Plattform erteilen sie damit Anwältin Verheyen eine Vollmacht, von ihr vor dem Verfassungsgericht vertreten zu werden.

Roda Verheyen ist überzeugt, dass die Klimapolitik der Regierung verfassungswidrig ist. Wenn jetzt beim Klimaschutz nicht endlich etwas geschehe, würden ab 2030 nur noch drakonische Maßnahmen – etwa auch Auto-Fahrverbote – helfen, um die Klimaziele noch zu erreichen. "Irgendwann ist einfach mal Schluss."