Klimareporter°: Herr Weiger, Sie haben den Umweltverband BUND zwölf Jahre geführt. Was waren die größten Erfolge in dieser Zeit?
Hubert Weiger: Der größte war der endgültige Atomausstieg im Jahr 2011. Wir haben 2009 und 2010 Großdemonstrationen gegen die damals von der schwarz-gelben Bundesregierung geplante Laufzeitverlängerung gemacht – mit einem Riesenzuspruch.
Das hat maßgeblich mit dazu geführt, dass der Bundestag dann nach dem Super-Gau von Fukushima den neuen Ausstiegsbeschluss gefasst hat.
Daran wird auch bisher nicht gerüttelt. Damit werden 2021 und 2022 die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen.
Und Sie glauben nicht, dass das noch kippen kann?
Nein. Wir müssen natürlich wachsam sein. Aber ich halte es für undenkbar, dass eine Bundesregierung, wie auch immer sie zusammengesetzt sein mag, den Ausstieg noch einmal rückgängig machen kann. Ihr Ende wäre rasch besiegelt. Wir haben in Deutschland eine stabile Mehrheit gegen die Atomkraft, und zwar zu recht.
Je länger die Reaktoren noch laufen, umso gefährlicher werden sie und umso größer wird das bisher nicht gelöste Entsorgungsproblem. Der Bundestag hat beschlossen, der Strahlenmüll muss eine Million Jahre sicher gelagert werden. Eine Aufgabe, die bisher nicht ansatzweise gelöst ist.
Und was war noch wichtig?
Der zweite große Erfolg war, dass wir die Durchsetzung der Gentechnik in der Landwirtschaft verhindern konnten. Das ist von unserem Verband stark gepusht worden.
Und als Drittes: Auch im Naturschutz gibt es eine sehr positive Entwicklung: die Etablierung des "Grünen Bandes" an der früheren innerdeutschen Grenze. Aus dem Todesstreifen ist eine Lebenslinie geworden, ein Refugium für viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten und ein Denkmal für die Einheit Deutschlands und Europas.
Was war der größte Misserfolg?
Der Stillstand in der Agrarpolitik. Es ist nicht gelungen, sie flächendeckend nachhaltig umzubauen. Die EU fördert weiter die hochindustrialisierte Landwirtschaft, gegen die die bäuerliche Landwirtschaft keine faire Wettbewerbschance hat.
Die Folge: Immer mehr kleinere Betriebe bleiben auf der Strecke, und die Umweltschäden werden immer größer – vom Verlust der Biodiversität über die Gefährdung des Grundwassers bis zu Klimaschäden. Es wurden nur ein paar marginale Verbesserungen erreicht.
Das ist besonders dramatisch, weil die Landwirtschaft ja so wichtig ist für die Sicherung unserer Lebensgrundlagen.
Den Klimaschutz haben Sie als Flop nicht genannt ...
Ich glaube, hier ist, anders als in der Agrarpolitik, immerhin eine Trendwende feststellbar – vor allem dank der Fridays-for-Future-Bewegung.
Wie das? Das Klimapaket der Bundesregierung, das aufgrund des Drucks der Jugendlichen und der Umweltverbände entstanden ist, hat doch alle enttäuscht – von Wirtschaftsforschern bis zur Protestbewegung Extinction Rebellion. Oder sind Sie nun plötzlich ein Fan davon?
Keineswegs. Das ist kein Paket, bestenfalls ein Päckchen. Die Maßnahmen sind zu schwach und sie kommen zu spät. Die geplante CO2-Bepreisung ist ein Witz.
Aber immerhin steht nun fest, dass alle politischen Ressorts – von Verkehr bis Landwirtschaft – selbst für die Umsetzung ihrer jeweiligen CO2-Ziele verantwortlich sind und dass das jährlich überprüft wird. Das alte Schwarze-Peter-Spiel wird beendet, bei dem das Umweltministerium zwar das CO2-Ziel verkündet, aber keinerlei Kompetenzen hat, es durchzusetzen.
Das wird noch sehr spannend werden. Einen Handel zwischen den Ressorts darf es aber nicht geben.
Die Umweltbewegung ist in den letzten Jahren stärker geworden. Auch der BUND hat deutlich an Mitgliedern und Förderern zugelegt – auf jetzt über 620.000. Trotzdem schaffen die "Ökos" es nicht, die Trendwende bei den Megathemen Klima- und Artenschutz durchzusetzen. Woran liegt das?
Die Umweltverbände haben in der Tat stark an Bedeutung zugenommen – und nun kommt noch Fridays for Future hinzu. Trotzdem ist die Wirtschaft sehr durchsetzungsfähig, weil sie mehr direkten Einfluss auf die Politik hat.
Hubert Weiger
war seit 2007 Vorsitzender des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND), den er 1975 mitgegründet hat. Der studierte Forstwissenschaftler ist für seine rund 50-jährige Tätigkeit im Natur- und Umweltschutz mehrfach ausgezeichnet worden – zuletzt vom Bundespräsidenten mit dem Deutschen Umweltpreis als einer der Wegbereiter des "Grünen Bandes" von Naturschutzgebieten an der früheren deutsch-deutschen Grenze.
Weiger wurde am Wochenende auf der Delegiertenversammlung des Verbandes, bei der er nicht mehr zur Wahl antrat, zum BUND-Ehrenvorsitzenden gewählt. Er will sich künftig weiter für den Naturschutz engagieren – als Präsident der Deutschen Naturschutzakademie in Lenzen (Elbe).
Sie ist mächtig und zieht immer die Karte der Arbeitsplätze, und davor hat eine demokratische Politik eben größten Respekt. Beispiel Agro-Gentechnik: Sie zu stoppen war extrem schwierig, weil die Chemieindustrie mit der Verlagerung von Forschungszentren in die USA gedroht hat.
Und so geht es in vielen Bereichen – auch wenn die von uns vorgeschlagenen Alternativen viel mehr Jobs bringen würden. Deswegen haben wir inzwischen engen Kontakt mit den Gewerkschaften geknüpft.
Hierbei geht es darum, die ökologische und die soziale Frage miteinander zu verbinden. Wir müssen verhindern, dass die berechtigten Sorgen der Menschen um ihre Arbeitsplätze missbraucht werden, um nur kurzfristige Gewinninteressen zulasten unserer Umwelt durchzusetzen.
Wir erleben das ja gerade in der Autoindustrie, deren Forschungsabteilungen viel weiter sind als die Konzernchefs, die ihren Aktionären vierteljährliche Rekordzahlen präsentieren müssen. Deswegen bauen sie nun zwei Tonnen schwere SUVs mit Elektromotoren statt kleinere, leichtere, smarte Autos, die wenig Energie und Ressourcen verbrauchen. Das ist eine massive Fehlentwicklung.
Noch mal: Warum fährt die Politik keinen anderen Kurs?
Den Politikern fehlt der Mut zum konsequenten Handeln, weil sie Angst haben, die Akzeptanz in der Bevölkerung zu verlieren. Damit unterschätzen sie die Wähler, glaube ich.
Die Menschen sind da weiter als die Politik. Die Wähler wollen, dass man ihnen die Wahrheit sagt. Und die lautet: Wir müssen jetzt beherzt handeln, denn je später wir damit anfangen, desto weniger Chancen auf Erfolg haben wir und desto größer sind die Einschnitte.
Das verstehen die Menschen. Die Naturgesetze richten sich nicht nach politischen Beschlüssen. Wenn eine große Koalition eine Berechtigung hat, dann doch nur, wenn sie in solchen Krisen das Notwendige durchsetzt. Dass sie das nicht tut, ist frustrierend.
Fridays for Future ist entstanden, weil die junge Generation glaubt, dass die eigenen Lebenschancen von den Alten verheizt werden. Kann diese Bewegung die Wende bringen?
Die Fridays-Streiks haben die Debatte verändert, das muss man neidlos anerkennen. Heute wird nicht nur in der Politik ganz anders über den Klimaschutz diskutiert als noch vor einem Jahr.
Und es handelt sich ja auch nicht um ein Strohfeuer. Die Jugendlichen steuern inzwischen bereits den 50. Demo-Tag an. Da ist eine große Ernsthaftigkeit dahinter. Das hat seine Wirkung auch auf viele Menschen, die das Thema bisher nicht ernst genommen haben.
Hinzu kommt, dass die Auswirkungen der Klimakrise inzwischen auch im eigenen Land unübersehbar sind. Stichwort Waldsterben 2.0. Da ist plötzlich bei uns zu Hause ein ganzes Ökosystem gefährdet. Es geht nicht mehr nur um zunehmende Dürre in Afrika oder untergehende Inseln im Südpazifik.
Nun gibt es mit der AfD eine Partei, die sogar leugnet, dass es überhaupt einen menschengemachten Klimawandel gibt. Sie will das sogar – nach Euro und Zuwanderung – zum dritten großen Thema machen. Wie damit umgehen?
Das Leugnen, dass es eine Erwärmung gibt, ist nicht mehr möglich. Aber zu leugnen, dass der Mensch daran den Hauptanteil hat, ist bequem. Und offenbar für viele AfD-Wähler attraktiv. Es bedeutet nämlich, dass man sich und sein Leben nicht ändern muss.
Dass die AfD inzwischen im Bundestag sitzt und in einigen Ländern über 20 Prozent holt, ist für den Natur- und Umweltschutz eine Riesen-Herausforderung. Meine persönliche Meinung ist: Es ist wichtig, offensiv in einen Diskurs mit den AfD-Wählern über die Thesen einzutreten, die von der Partei vertreten werden und dem wissenschaftlichen Konsens krass widersprechen.
Wir müssen ihre Argumente öffentlich widerlegen. Das ist auch angesichts der braunen Ideologie notwendig, die fatal an die 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts erinnert und für unsere Demokratie gefährlich ist. Dem treten wir entschieden entgegen. Eine Zusammenarbeit mit Funktionären der AfD wird es für den BUND weiterhin nicht geben.
Wie sieht denn Ihre Vision für eine Gesellschaft aus, die die ökologischen Grenzen nicht sprengt und die soziale Spaltung nicht erhöht oder sogar verringert?
Unsere Marktwirtschaft braucht einen starken ökologischen und sozialen Rahmen, letzterer ist ja in den vergangenen Jahren im Zuge des Neoliberalismus sukzessive abgebaut worden.
Kern wäre hier eine neue ökologische Steuerreform, die den Umweltverbrauch verteuert und die Arbeitskosten entlastet. Der vom Umweltforscher Ernst Ulrich von Weizsäcker geprägte Slogan stimmt eben immer noch: "Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen." Das tun sie immer noch nicht.
Außerdem ist ein fairer Welthandel notwendig, der die gesamten Liefer- und Produktionsketten neu gestaltet. Und nicht zuletzt brauchen wir eine neue Wohlstands- und Fortschrittsdefinition für die Gesellschaft, Motto: gutes Leben statt blinder Konsum.
Herr Weiger, Sie sind nun seit rund 50 Jahren im Natur- und Umweltschutz aktiv. Ans Aufgeben haben Sie nie gedacht?
Nein. Es gab schon mal Phasen, in denen ich niedergeschlagen war – zuletzt beim Auspacken des schwarz-roten Klimapäckchens.
Aber es gibt ja nicht nur Enttäuschungen, sondern Dinge, an denen ich mich – wirklich nachhaltig – freuen kann. Gerettete Landschaften etwa, noch frei fließende Flüsse wie die mittlere Elbe in Sachsen-Anhalt oder die Donau in Niederbayern. Oder den Aufschwung des Öko-Landbaus. Oder die Erfolge in der Luftreinhaltung.
Das musste ja alles von den engagierten Bürgern hart erkämpft werden – und es hat geklappt. Es gäbe sonst kein bleifreies Benzin, keine Entschwefelung von Kohlekraftwerken, keinen Atomausstieg. Es gibt keinen Anlass zur Resignation.