Straßenbahn in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofs.
Fünf von sechs Deutschen wollen einen kostenlosen ÖPNV, drei von vier ein Ende der Massentierhaltung. (Foto: Dirk Pohlers/​Unsplash)

Klimapolitik hat immer auch mit einem Dilemma zu tun, das kaum auflösbar erscheint. Dass mehr getan werden muss, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen, sehen mittlerweile fast alle ein. Und befürworten das auch.

Doch sobald es konkret wird, regen sich Widerstände. Die Maßnahmen, die dann beschlossen werden, bleiben hinter dem zurück, was nötig wäre, um das 1,5-Grad-Ziel des Paris-Abkommens doch noch zu schaffen.

Zugleich wird die Zeit immer knapper, weil der Klimawandel dynamisch und nicht linear verläuft. Das kleinteilige Schritt-für-Schritt-Vorgehen bringt keinen Durchbruch, es macht wenig besser und vieles komplizierter. Die Frustration, die dadurch entsteht, untergräbt die Motivation für ein beherztes Vorgehen, das doch eigentlich alle wollen.

Forschende der Universität Hamburg haben nun erstmals Bilanz gezogen, wo wir auf dem Weg zur vollständigen Dekarbonisierung eigentlich stehen. Das Besondere: Sie gehen nicht der Frage nach, ob eine klimaneutrale Welt bis zur Mitte des Jahrhunderts technisch und ökonomisch möglich und erreichbar wäre. Das haben viele andere Studien bereits getan und sind zu einem klaren Ja gekommen.

Die Hamburger setzen mit ihrem "Climate Futures Outlook" einen anderen Schwerpunkt und schließen damit eine Lücke. Sie blicken auf die gesellschaftlichen Faktoren, die die anstehende Transformation voranbringen oder eben ausbremsen können – von Politik und Wirtschaft über Konsumgewohnheiten bis hin zu Protestbewegungen und Bildung.

Das Fazit ist ernüchternd. Zwar hat sich schon einiges getan, doch bei Weitem nicht genug. Nach aktuellem Stand ist es "derzeit nicht plausibel", dass bis 2050 eine vollständige Dekarbonisierung gelingt. In allen Bereichen der Gesellschaft müsste der Wandel "erheblich ehrgeiziger" ausfallen, so die Studie, die nun jährlich fortgeschrieben werden soll. Ein echter Aufbruch wäre vonnöten.

Das stärkste Gefühl ist Hilflosigkeit

Wie dieser Aufbruch gelingen könnte, hat soeben die gemeinnützige Organisation "More in Common" untersucht. Sie hat ganz einfach die Bürger:innen befragt, was sie zu dem Thema denken und was sie sich wünschen – und dabei auch eingehende Gespräche mit den Teilnehmenden geführt. Die Ergebnisse sind erstaunlich. Sie zeigen sehr viel mehr Übereinstimmung – und weniger Spaltung – in der Gesellschaft, als man annehmen könnte. Und zwar in jeder Hinsicht.

Große Einigkeit herrscht bei der Problemdiagnose. 80 Prozent machen sich persönlich Sorgen wegen des Klimawandels, 87 Prozent treibt die Angst vor Naturverlust und Artensterben um. Das gilt nicht nur für die Jüngeren, sondern über alle Generationen hinweg. Zwei Drittel sehen Deutschland schon heute vom Klimawandel betroffen, nur drei Prozent schließen das komplett aus.

Einigkeit besteht auch – mit 76 Prozent – bei der Handlungsbereitschaft. Die große Mehrheit will ihren Teil zur Bekämpfung der Klimakrise beitragen. 59 Prozent sind im Prinzip zu einer Umstellung "unserer Gewohnheiten und unserer Lebensweise" bereit.

Auch die Kritik an der bisherigen Klimapolitik eint die Bürger:innen. Sehr weit verbreitet ist das Gefühl, dass die Gesamtgesellschaft nicht geschlossen genug mitzieht, Politik und Wirtschaft noch zu wenig tun, die Einzelnen allein gelassen werden, statt eine kollektive Anstrengung ins Werk zu setzen, bei der alle mitmachen. Die stärkste Emotion ist denn auch – mit 45 Prozent – "Hilflosigkeit", noch vor Enttäuschung und Wut.

Ein Plan, der alle verpflichtet

Einigkeit zeigt sich schließlich auch bei der Frage, wie eine gute Klimapolitik aussehen sollte. 71 Prozent wünschen sich einen klimapolitischen Plan, der alle einbindet und alle verpflichtet – Klimaschutz als gemeinsames Anliegen und gemeinsame Aufgabe. Folgerichtig wollen 66 Prozent mehr verbindliche Vorschriften und Regeln, einen klareren gesellschaftlichen Rahmen, damit jede:r genug für den Klimaschutz tut.

Was die Bürger:innen wollen

  • kostenloser ÖPNV (84 Prozent)
  • staatliche Nothilfen für Unternehmen nur mit Klimaschutzauflagen (77)
  • Ende der Massentierhaltung, weniger Fleischproduktion (75)
  • vorgezogener Kohleausstieg (73)
  • Zusatzsteuer auf SUV (65)
  • allgemeines Tempolimit von 130 km/h (62)
  • Pflicht zur energetischen Sanierung für Hauseigentümer:innen (56)
  • Abschaffung der Inlandsflüge (55)
  • autofreie Stadtzentren (54)
  • höherer CO2-Preis (52)
  • Langfristiges Verbot der Neuzulassung von Pkws mit Benzin- und Dieselmotoren (39 Prozent)

Aus der Studie "Klimaschutz und gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland". Die repräsentative Befragung fand vor einem halben Jahr durch das Meinungsforschungsinstitut Kantar statt.

"Mich wundert das nicht", sagt der Sozialwissenschaftler Michael Kopatz, der nicht an der Studie beteiligt war, gegenüber Klimareporter°. Den Menschen sei durchaus bewusst, dass unsere Gesellschaft Regeln benötigt.

"Es fühlt sich eben ziemlich blöd an, wenn man alleine das 'Richtige' tut und die anderen nicht", sagt Kopatz. "Erklärt die Bundesregierung aber ein Limit zur Norm, machen alle mit. Und das fühlt sich dann schon viel besser an."

Allerdings, so zeigt es die Studie von "More in Common", erwarten die Bürger:innen, dass Regeln transparent, sinnhaft und fair sind, um den Eindruck von "Gängelung" und "Bevormundung" zu verhindern.

"Politische Akteure sollten das Bedürfnis vieler Menschen nach aktiver politischer Gestaltung und klaren Angeboten aufgreifen", empfiehlt die Studie und zieht das Fazit: Eine "positiv" gewendete Klimapolitik, die nicht als Verlustgeschäft daherkommt und eine verhältnismäßige Lastenverteilung auf allen Ebenen vornimmt, würde das Gemeinwesen letztendlich stärken und damit sogar für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen.

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