Klimareporter°: Als Jugendumweltverband und als Initiative für demokratische Wirtschaft und Vergesellschaftung engagieren Sie sich gemeinsam gegen die Klimakrise und soziale Ungerechtigkeit. Warum ist "öffentlicher Luxus" dabei ein Ansatzpunkt?
Vincent Janz: "Öffentlicher Luxus" – im Englischen "Public Luxury" – wurde als Begriff ursprünglich von dem britischen Schriftsteller und Klimaaktivisten George Monbiot verwendet und vor zwei Jahren auf der Degrowth-Konferenz in Manchester vorgestellt. Gemeint ist damit: Der verschwenderische Überfluss, der sich für einige wenige aufgrund von unrechtmäßigem Privateigentum anhäuft, muss eingeschränkt und stattdessen für die Vielen im Öffentlichen zugänglich gemacht werden.
Es kann zwar weiterhin Privateigentum geben, aber nur Öffentlicher Luxus ermöglicht Genügsamkeit im Privaten. Gleichzeitig müssen alle Sektoren, die für ein gutes Leben notwendig, ja sogar überlebensnotwendig sind – zum Beispiel Wohnen, Energie, Mobilität, Gesundheit und Ernährung – kostenlos und bedingungslos für alle zugänglich sein. So entsteht der Luxus im Öffentlichen.
In dieser Zukunft, geprägt von umfassender Demokratisierung, gibt es für die allermeisten Menschen etwas zu gewinnen. "Öffentlicher Luxus" dockt also an Vergesellschaftungsbewegungen an, wie zum Beispiel "Deutsche Wohnen & Co enteignen" oder "RWE & Co enteignen".
Fatim Selina Diaby: Öffentlicher Luxus entlarvt die Lüge, dass Klima- und Umweltschutz immer Verzicht bedeuten. Stattdessen geht es darum, etwas gemeinsam zu teilen und dadurch mehr zu schaffen: Je mehr geteilt wird, desto mehr ist verfügbar.
Wenn wir die Klimakrise als soziale Frage verstehen und intersektional angehen, also mit den anderen Gerechtigkeitskrisen der Welt verbinden, dann verstehen wir schnell, dass es radikale Veränderung braucht. Dazu zählen Umverteilung, unter anderem durch deutlich höhere Steuern für Reiche, und Vergesellschaftung. Bei der BUND-Jugend haben wir da inzwischen eine gemeinsame Position: Ohne Kapitalismuskritik kann es keinen Klimaschutz geben.
Warum ist Eigentum dabei ein so zentraler Punkt?
Diaby: Häufig heißt es, dass soziale und ökologische Ziele in Konkurrenz zueinander stehen, aber das stimmt nicht. Die Klimakrise ist eine von vielen Krisen, die gemeinsame Ursachen haben, für die es also auch gemeinsame Lösungen gibt.
Fatim Selina Diaby
hat Ethnologie und Internationale Beziehungen studiert, ist beim Jugendumweltverband BUND-Jugend für das Projekt "Systemwandel" verantwortlich und außerdem in antirassistischen, feministischen und Klimagerechtigkeits-Initiativen aktiv. Neben Vincent Janz und anderen hat Diaby das Buch "Öffentlicher Luxus" mitverfasst, das als Open Access bei Dietz Berlin erschienen ist.
Die Klimakrise ist auch ein Resultat von Eigentumsdenken und dem entsprechenden Handeln, das bestimmtes Leben und auch die Natur zu "anderen" erklärt und damit zur Ausbeutung freigibt.
Das gleiche Denken und Handeln, das im historisch miteinander gewachsenen Kolonialismus und Kapitalismus schwarze Körper versklavt hat und viele Menschen – beispielsweise Indigene, People of Color, queere, neurodiverse und be-hinderte Personen – kontinuierlich marginalisiert, zerstört auch die Natur und normalisiert diese Gewalt.
Exklusives Eigentum, also ein Eigentum, das auf Gewalt gebaut ist, durch Gewalt erworben und erhalten wird, ist in Verbindung mit diesen Unterdrückungen gewachsen. Es ist eine Kategorie und Lebensweise des gewaltvollen Besitzens.
Janz: In den Bereichen der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge hat eine wahnsinnige, immer weiter gehende Privatisierung stattgefunden. Von der Bahn über Immobilienkonzerne hin zur Energieversorgung: Alles, was wir notwendigerweise für ein gutes Leben brauchen, gilt es vom privaten wieder ins öffentliche Eigentum zu überführen.
Dabei bedeutet öffentliches Eigentum nicht immer staatliches Eigentum. Es braucht eine Vielzahl an verschiedenen Eigentumsmodellen.
Sie wollen also an Vorstellungen von Privateigentum rütteln und die Reichtumskonzentration bekämpfen – was auf entsprechenden Widerstand stoßen dürfte. Aber wie gehen Sie mit, man könnte sagen, fehlgeleiteten Verteidigungskämpfen für vermeintlichen Wohlstand um – und den Vorwürfen, dass jemandem etwas weggenommen werden soll?
Diaby: Momentan sind Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten und Gewalt omnipräsent. Menschen wird Land weggenommen und sie werden vertrieben, Natur wird zerstört, es gibt politische und strukturelle Verfolgung und Diskriminierung. Zugleich trainiert uns das gegenwärtige Wirtschaftssystem darauf, für Geld zu arbeiten, uns zu unterwerfen und nach einer bestimmten Art von Reichtum zu streben.
Besonders, wenn du armutsbetroffen aufgewachsen bist, träumst du vom Geld, denn das bedeutet ein besseres Leben. Du träumst davon, shoppen zu gehen oder eine größere Wohnung zu haben ... Wenn dann jemand kommt und sagt, nee, das geht nicht mehr, weil wir alle weniger verbrauchen und alles teilen müssen, dann fühlt sich das unfair an. Und es ist auch unfair, weil es keinen Ausgleich gab, keine Gerechtigkeit und keine Wiedergutmachung für die ganze Gewalt, die schon erfahren wurde dadurch, dass es Armut gibt.
Die Herausforderung ist, mit den Vorstellungen von privatem Luxus, der auf exklusivem, gewaltvollem Eigentum aufbaut, zu brechen und stattdessen eine Vision des "Öffentlichen Luxus" zu zeichnen, der für viele das bessere Leben ist.
Der Berliner Volksentscheid der Initiative "Deutsche Wohnen und Co enteignen", der zum Ziel hat, Berliner Großkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen wieder in die öffentliche Hand zu überführen, war an der Wahlurne erfolgreich. Hingegen ist der Volksentscheid "Berlin 2030 Klimaneutral" gescheitert. Wie erklären Sie sich diesen Unterschied?
Janz: Deutsche Wohnen und Co enteignen hatte einen fulminanten Erfolg, und das, obwohl "Enteignung" vorher unsagbar schien – während der Volksentscheid für Klimaneutralität 2030 in Berlin gescheitert ist, obwohl Klimaschutz ein vergleichsweise unstrittiges Anliegen ist, auch wenn über die Radikalität der Maßnahmen gestritten wird.
Die Kampagne hätte konkreter benennen müssen, was genau passieren soll, damit Berlin auf sozial gerechte Art und Weise klimaneutral wird. Die Menschen in den ärmeren Bezirken Berlins, die mehrheitlich gegen den Volksentscheid gestimmt haben, verstehen, dass sie bei den gegenwärtigen Eigentumsverhältnissen diejenigen sind, die die Kosten für den Übergang tragen werden.
Viele werden denken, dass diese grundlegenden Überlegungen fern aller konkret möglichen und politisch realisierbaren Reformvorschläge sind. Wo gibt es ein Potenzial für praktisches Eingreifen?
Vincent Janz
ist Mitgründer des Vereins Communia, der Strategien für eine demokratische Wirtschaft, für Vergesellschaftung und "Öffentlichen Luxus" entwickelt. Er studierte politische Ökonomie, Sozial- und Politikwissenschaften und war Projektkoordinator für die Vergesellschaftungskonferenz 2022 in Berlin.
Janz: Klar, "Öffentlicher Luxus" als Konzept alleine bewirkt nicht das, was wir brauchen. Natürlich muss daraus konkrete Politik werden. Aber das Konzept gibt progressiven Bewegungen eine Vision, in der sie sich verorten und in produktiven Austausch mit anderen Bewegungen treten können. Viele Bewegungen, die gerade aktiv sind, können unter dem Begriff "Öffentlicher Luxus" zu einem gemeinsamen Ziel arbeiten.
Neben dem schon bekannten Bündnis "Wir fahren zusammen" aus Klimabewegung und Gewerkschaften im öffentlichen Personennahverkehr ist auch das Privateigentum an Grund und Boden ein Interventionspunkt. Zu teure Mieten sind ein Thema in vielen Städten, während die Bodenpolitik im ländlichen Raum zur Verdrängung von bäuerlicher Landwirtschaft führt. Wenn wir uns damit in aktuelle Diskurse einmischen, können wir den Raum des Denkbaren erweitern.
Diaby: "Öffentlicher Luxus" ist aus einer Realität der Ungleichheit und Ungerechtigkeit gewachsen und will genau das ändern. Zu behaupten, dass die Forderung nach "Öffentlichem Luxus" realitätsfern ist, stimmt also nicht – der Gedanke an sich ist total realitätsnah und einfach, aber natürlich gibt es Herausforderungen in der Umsetzung aufgrund des tief verankerten Schutzes von Privateigentum.
Als junge Menschen, die in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv sind, fordern wir das, was nötig ist. Damit unsere Vision Wirklichkeit wird, müssen wir Bündnisse schließen, vor allem mit armutsbetroffenen und migrantischen Organisationen und Kollektiven, ebenso wie wir die Kämpfe von be-hinderten Personen, Feminist:innen und Gewerkschaften in den Blick nehmen müssen.
Dafür wollen wir motivieren und dazu laden wir ein, zum Beispiel bei unserem kostenlosen Systemwandel-Festival im April 2024.