Biologischer Anbau schützt Böden und Gewässer. Honoriert wird das bisher kaum. (Bild: Nednapa Chumjumpa/​Shutterstock)

Die Bauernproteste gegen die Kürzung der Agrardiesel-Subventionen haben es noch einmal deutlich gemacht: Viele der rund 260.000 landwirtschaftlichen Betriebe hierzulande können von den Einnahmen allein nicht leben, die ihnen der Verkauf ihrer Produkte einbringt – von Getreide über Obst bis Milch.

So betragen die EU-Subventionen, die an deutsche Landwirte gehen, rund 6,3 Milliarden Euro (Stand 2022). Doch der Großteil dieser Gelder wird ohne Rücksicht darauf verteilt, ob die Betriebe nachhaltig ackern oder nicht.

Eine Initiative erarbeitet als Alternative dazu ein Konzept, wie die Hilfen künftig komplett an ökologische und soziale Kriterien gekoppelt werden können. Ziel: Die positiven Leistungen der Betriebe für biologische Vielfalt, Förderung der Bodenfruchtbarkeit, Gewässerschutz und Treibhausgas-Einsparung werden honoriert. Auf der seit Dienstag stattfindenden Expertenmesse "Biofach" in Nürnberg wurde der aktuelle Forschungsstand vorgestellt.

Es ist grotesk: Die Produktion von "Lebens-Mitteln" ist weltweit dafür mitverantwortlich, dass ihre eigenen Grundlagen – Boden, Wasser, biologische Vielfalt, stabiles Klima – zunehmend in Mitleidenschaft gezogen werden.

Auch hierzulande trägt die Landwirtschaft zur Öko-Krise bei. Rund 60 bis 70 Prozent der Lebensmittel werden so herstellt, dass die Belastungsgrenzen mehrerer Umweltindikatoren überschritten werden, ergab 2020 eine großangelegte Studie, an der unter anderem das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung beteiligt war.

Bio-Lebensmittel wären eigentlich billiger

Das Problem ist ganz offensichtlich, dass eine konsequent nachhaltige Bewirtschaftung sich für die meisten Betriebe nicht in Euro und Cent auszahlt.

"Es wird falsch gerechnet", sagt Agrarexpertin Jenny Lay-Kumar in Gespräch mit Klimareporter°. Die aktuellen Preise und die aktuelle Betriebswirtschaft bildeten die Realität nicht vollständig ab, Umwelt- und Klimaschäden auf der einen und Nachhaltigkeitsleistungen auf der anderen Seite würden nicht eingerechnet, argumentiert die Gründerin der Regionalwert Research GmbH mit Sitz in Leipzig.

Das private Institut, unter anderem gefördert vom Bundeslandwirtschaftsministerium, hat eine Art Blaupause dafür entwickelt, wie die Nachhaltigkeitsleistungen erfasst und in Euro umgerechnet werden können. Das wäre ein Ansatz, um die Agrarsubventionen komplett zu ökologisieren.

Bisher wird ein kleinerer Teil der EU-Subventionen für Umwelt-Leistungen gezahlt, zum Beispiel, wenn Betriebe Blühstreifen auf Äckern anlegen, auf Pestizide verzichten oder eine vielfältige Fruchtfolge einhalten. Doch der weitaus größte Teil der Zahlungen bemisst sich nur an der Fläche, egal ob sie von einem Biobauern mit geschlossenem Anbaukreislauf oder einem industriell arbeitenden Agar-Großbetrieb bearbeitet wird, der Kunstdünger, Pestizide und Wachstumsbeschleuniger einsetzt.

Die von Lay-Kumar entwickelte Methode geht über den Forschungsansatz hinaus, der die "wahren Kosten" der Lebensmittelproduktion ermittelt, indem auch die Folgeschäden für Umwelt und Gesundheit erhoben werden.

Studien zeigen hier, dass konventionell erzeugte Lebensmittel, so gerechnet, teurer kommen als die meisten Bio-Lebensmittel. So ergab eine Schätzung der noch von der letzten Merkel-Bundesregierung eingesetzte "Zukunftskommission Landwirtschaft" 2021, dass die durch die Agrarproduktion in Deutschland erzeugten Umweltschäden mindestens 90 Milliarden Euro jährlich betragen, unter anderem durch den Verlust von biologischer Vielfalt, belastetes Grundwasser oder Luftverschmutzung.

"Kein weiteres Bürokratie-Monster"

Lay-Kumar hält diesen "True-Cost"-Ansatz für wichtig, weil er helfen kann, Umweltbelastungen zu verringern. Um jedoch die gesamten Nachhaltigkeitsleitungen von Agrarbetrieben – ob biologisch oder konventionell – zu erfassen, reiche das nicht aus. Die von ihrem Institut entwickelte "Regionalwert-Leistungsrechnung" soll das ermöglichen.

Erfasst werden dabei rund 300 Kennzahlen zu Umsatz, Gewinn, Ökologie und Sozialem, zum Beispiel zu Art der Düngung (bio oder chemisch), Herkunft der eingesetzten Futtermittel (regional oder importiert), Energieverbrauch, Tierwohl, Qualität der Arbeitsplätze und Anteil von Saison-Arbeitskräften.

Das jeweilige Ergebnis wird auch in Ampelfarben dargestellt. "Man sieht auf den ersten Blick, wie ein Betrieb abschneidet", sagte die Professorin. Die Leistungsrechnung könne damit nicht nur zur Beurteilung des Ist-Zustands bei einem Unternehmen genutzt werden, sondern auch, um Verbesserungen einzuleiten und die Fortschritte dabei zu bewerten.

Konkret errechnet wird der Nachhaltigkeits-Check durch ein Computerprogramm, das Betriebe selbst ausfüllen können. Der Aufwand dafür betrage nur drei bis sechs Stunden, erläutert Lay-Kumar. "Also kein neues, zusätzliches Bürokratie-Monster für die Unternehmen."

Rund 500 Agrarbetriebe nutzen inzwischen die neuartige Leistungsbewertung. Zwei Unternehmen, die den neuen Ansatz stark fördern, sind der Müsli- und Biokeks-Produzent Bohlsener Mühle in der Lüneburger Heide und der Bio-Großhändler Bodan in Überlingen am Bodensee.

"Applaus alleine macht noch keine zukunftsfähige Landwirtschaft", sagt dazu Philip Luthardt, Nachhaltigkeitsmanager bei dem Mühlenbetrieb, dessen Produkte bundesweit verkauft werden. Will sagen: Die Gesellschaft schätzt es zwar ideell, dass nachhaltig arbeitende Betriebe das Trinkwasser reinhalten, die Biodiversität fördern und das Klima schonen. Sie ist bisher aber nicht bereit, das über einen höheren Produktpreis oder entsprechend gestaltete Subventionen zu bezahlen.

Die Bohlsener Mühle zahle den Agrarbetrieben "möglichst faire Preise", so Luthardt, es komme aber darauf an, dass die nachhaltigen Bemühungen in der Landwirtschaft "endlich auch von der Allgemeinheit finanziell honoriert werden". Dafür setze sich sein Unternehmen ein.

Nachhaltigkeitsleistungen im sechsstelligen Bereich

Ein Beispiel dafür, wie hoch die "Gemeinwohlleistungen" nachhaltig arbeitender Betriebe sein können, ist der Biohof Ritzleben in der Altmark, der sein Getreide an die Bohlsener Mühle zur Weiterverarbeitung liefert und 2023 erstmals eine Regionalwert-Leistungsrechnung durchgeführt hat. In Geldwert ausgedrückt, hat der Betrieb 2023 gut 267.000 Euro an "Nachhaltigkeitsleistungen" erbracht, die er nicht vergütet bekommt.

Wichtige Posten dabei sind unter anderen die vielfältige Fruchtfolge mit 46.100 Euro, der Wasserschutz mit 36.600 Euro und die Förderung der regionalen Wirtschaft mit 21.900 Euro. Zum Vergleich: Die erhaltenen Subventionen aus öffentlichen Geldern lagen im selben Zeitraum 175.000 Euro. Würden die Zahlungen nach dem neuen Konzept verteilt, läge die Förderung also deutlich höher.

Insgesamt kommt der Hof auf einen "Nachhaltigkeitsgrad" von 81 Prozent, also ein ziemlich guter Wert. Die Bilanzierung zeigt aber auch, wo es noch Schwachpunkte gibt. So kam der Biohof Ritzleben beim Posten "Schaffung von Lebensräumen" nur auf 21 Prozent. Hier will der Hof nun durch Anlegen eines Agroforsts gegensteuern, der Rückzugsort für Vögel und Insekten ist, zudem Wind- und Erosionsschutz bietet.

 

Philip Luthardt glaubt, dass nichts an einer Umstellung der Subventionen vorbeiführt, wenn die Landwirtschaft hierzulande eine gute Zukunft haben soll. Und bei entsprechend geänderten Finanzflüssen wäre dann auch die Streichung der Vergünstigungen beim Agrardiesel kein Problem mehr.

"Klimaschädliche Subventionen abzubauen, ist richtig", meint Luthardt, "wenn die Gemeinwohl- und Nachhaltigkeitsleistungen der Bauern korrekt bezahlt werden."