Wie geht es nach der Bundestagswahl weiter mit Energiewende und Klimaschutz? Alle drei Parteien, die nach der politischen Arithmetik in künftigen Koalitionen eine Rolle spielen können, legten jetzt Entwürfe für ihre Wahlprogramme vor.
Nach den Umfragen können die Unionsparteien damit rechnen, künftig den Kanzler zu stellen. Offen ist aber in jedem Fall, ob CDU und CSU dafür eine Koalition mit der SPD oder doch erstmals ein schwarz-grünes Bündnis bilden können. Aktuell sieht es nicht danach aus, dass die FDP wieder der Bundesregierung angehören wird. Ob es dabei bleibt, ist aus Klimaschutz-Sicht relevant.
Denn Spitzenkandidat Christian Lindner wollte in seinem "Wirtschaftswende"-Papier die Klimaneutralität auf 2050 verschieben. Das bekräftigte er dieser Tage wieder. Denn anders als die Lindner-Partei wollen alle anderen in dem Quartett am Ziel festhalten, Deutschland bis 2045 "klimaneutral" zu machen.
Das Zieljahr 2045 könnte also ein gemeinsames Fundament sein, auf dem sich aufbauen ließe. Allerdings unterscheiden sich die Vorstellungen davon, wie das umzusetzen ist, zwischen der Union und ihren möglichen Juniorpartnern gewaltig.
Auf den ersten Blick am größten ist die Diskrepanz beim Thema Atomkraft. CDU und CSU wollen prüfen lassen, ob das Wiederanfahren der zuletzt stillgelegten AKW möglich ist. Und zwar unter "vertretbarem technischem und finanziellem Aufwand". Außerdem sollen Reaktoren der "vierten und fünften Generation" erforscht und dann möglicherweise genutzt werden.
Union fasst CO2-Preis mit spitzen Fingern an
Dabei geht es um Mini-AKW und Fusionskraftwerke, deren technische Realisierung in der nächsten Legislaturperiode ausgeschlossen ist – und im Falle der Kernfusion, wenn überhaupt, noch Jahrzehnte in der Zukunft liegen dürfte.
Die Union vermeidet damit konkrete Festlegungen für eine Atomrenaissance. Fachleute des Akademienprojekts "Energiesysteme der Zukunft" haben kürzlich klargestellt, dass die Kernfusion auf jeden Fall zu spät kommt, um Deutschland klimaneutral zu machen.
Generell will die Union die Energiewende weiter vorantreiben, allerdings "ideologiefrei und technologieoffen", wie sie es ausdrückt. Das bedeutet, dass im Verkehrsbereich neben der E‑Mobilität auch synthetischer Sprit für Verbrenner eingesetzt werden und bei der Gebäudeheizung auch Wasserstoff als Erdgasersatz infrage kommen soll. Energie soll aber bezahlbar sein, versprechen CDU und CSU.
Beim CO2-Preis gehen sie vorsichtig heran und zingeln das Thema mit Wortgeklingel ein. Die CO2-Bepreisung solle im "Instrumentenmix" zum "Leitinstrument" ausgebaut werden, schreiben die Unionsparteien. Einnahmen sollen an Verbraucher und Wirtschaft zurückgegeben werden.
Die Union versteht darunter aber nicht eine direkte Rückgabe der CO2-Kosten, sondern zuerst sollen mit den Einnahmen Stromsteuer und Netzentgelte gesenkt werden. Das Ganze nennt sich dann "Klimabonus".
Der stärkste Eingriff von CDU und CSU ist: Sie wollen das von der Ampel nach großen Konflikten beschlossene Heizungsgesetz wieder abschaffen. "Emissionsarme Wärmelösungen" wie etwa die Wärmepumpe aber sollen weiter gefördert werden – hier gibt es bisher einen Zuschuss von bis zu 70 Prozent. Und auch – im Prinzip – nachwachsende Rohstoffe wie Holz sollen laut Union stärker genutzt werden.
SPD setzt auf Tempolimit und E‑Mobilität
Die SPD setzt ihrerseits im Verkehr auf ein Tempolimit auf Autobahnen von 130 Kilometern pro Stunde und auf den Ausbau der Elektromobilität. Das Laden an öffentlichen Säulen soll dafür so einfach wie möglich und vor allem günstiger als Tanken werden. Steuerliche Zuschüsse sollen den Absatz von Elektroautos wieder ankurbeln.
Grundsätzlich gilt für die Sozialdemokraten: Geld vom Staat kommt vor allem denjenigen zugute, die sich den Umstieg auf klimafreundliche Technologien wie Wärmepumpen oder Elektroautos nicht leisten können.
Den CO2-Preis fasst auch die SPD nur mit spitzen Fingern an. Er könne nur ein "ergänzendes" Instrument sein, schreibt die Partei, will aber an den beiden nächsten Erhöhungsstufen für den nationalen CO2-Preis festhalten: 55 Euro ab 2025 und bis zu 65 Euro 2026.
Doch auf ein Klimageld müssen die Leute bei der SPD offenbar weiter bis 2027 warten. Erst wenn der zweite EU-Emissionshandel für Gebäude und Verkehr ab 2027 in Kraft tritt, wollen die Sozialdemokraten durch "geeignete Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene (zum Beispiel Klimageld)" dafür Sorge tragen, dass niemand überfordert wird.
Die SPD weist in ihrem Wahlprogramm weiter darauf hin, dass ein sozial gerechter Klimaschutz nur mit einer Reform der Schuldenbremse möglich ist. Die SPD will zudem das Deutschlandticket dauerhaft anbieten. Und Superreiche sollten stärker zur Klimafinanzierung herangezogen werden.
Nur Grüne wollen Klimageld so schnell wie möglich
Alles Punkte, die auch die Grünen teilen. Um vollständige Klimaneutralität der Industrie zu erreichen, setzen sie nun auch auf CO2-Speicherung, betonen aber, dass Deutschland sich nicht nur auf neue Technologien verlassen dürfe.
Die Energiewende könne nur gelingen, wenn der CO2-Ausstoß sinkt. Darunter versteht auch die Partei von Robert Habeck klimaneutrales Heizen, den Umstieg auf E‑Mobilität, ein Tempolimit bei 130 und eine CO2-Bepreisung bei der Gebäudeheizung sowie im Verkehr.
Beim Klimageld geben die Grünen ein von ihnen so genanntes "Sicherheitsversprechen": Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen sollen einen Großteil der Einnahmen der CO2-Bepreisung von Gebäudewärme und Transport zurückbekommen.
Dieses Klimageld soll in der nächsten Legislaturperiode so schnell wie möglich eingeführt werden und dann direkt und ohne vorherige Beantragung auf dem Konto eingehen.
Auch das Deutschlandticket zum Preis von 49 Euro wollen die Grünen erhalten. Das nötige Geld stehe für einen sozial gerechten Klimaschutz zur Verfügung, wenn schädliche Subventionen abgebaut werden, Ölkonzerne für ihre Umweltverschmutzung eine Ausgleichsabgabe zahlen und das Dienstwagenprivileg und die Schuldenbremse reformiert werden.
Weder Industrie- noch Umweltverbände sind zufrieden
Die Reaktion auf die Klima-Agenden der drei Parteien fielen bei Nichtregierungsorganisationen unterschiedlich aus. Der Umweltverband BUND schießt sich vor allem auf die Union ein.
CDU und CSU hätten "keinen Plan für echten Klima- und Naturschutz", sagte BUND-Politikchefin Lia Polotzek. Stattdessen wollten sie das Heizungsgesetz und den EU-Kompromiss zu Verbrenner-Autos kippen und "unter dem Mantra der Technologieoffenheit gefährliche fossile und atomare Technologien zementieren".
Fridays for Future sieht ebenfalls die Union als besonders rückständig an, zeigt sich aber auch von den Forderungen der anderen Parteien enttäuscht: "Während Grüne und SPD versuchen, uns Klimaschutz ohne reale Veränderung zu verkaufen, will die CDU zurück zu immer mehr Klimazerstörung."
Bei den Grünen lobt die Bewegung zwar "viele richtige Ansätze von einem klimaneutralen Stromsystem bis 2035 über Klimageld bis zur Reform fossiler Subventionen", bemängelt aber, sie würden teils vom eigenen Kanzlerkandidaten infrage gestellt, etwa beim Kohleausstieg bis 2030.
Bei der SPD hat Fridays for Future wiederum den Eindruck, "als habe man endlich verstanden, dass soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz zusammengehören". Zweifel blieben aber an der Umsetzung.
Der Industrieverband BDI äußerte sich in einem Grundsatzpapier nicht zu einzelnen Parteien, forderte aber, den "ökologischen Fortschritt mit ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit und technologischer Offenheit in Einklang zu bringen".
So brauche es wettbewerbsfähige Energiekosten durch eine niedrigere Stromsteuer und eine Begrenzung der Netzentgelte durch Bundeszuschüsse. Zudem sei "eine massive Infrastruktur-Offensive" mit Investitionen von 315 Milliarden Euro nötig.