Kaltes Buffet auf weißen viereckigen Schalen in zwei Reihen auf einem Bord an der Wand, davor stehen Menschen und tun sich etwas auf.
Wer am Buffet schneller sein will als andere, hat manchmal Ungenießbares auf dem Teller. (Foto: Ally J. Choungju/​Pixabay)

Klimaziele: Ziemlich heiß

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht: "Wir wollen mit aller Kraft vermeiden, dass Deutschland aufgrund einer Nichterreichung seiner Klimaziele EU-Emissionshandels-Zertifikate im Rahmen der EU-Lastenteilung kaufen muss, die den Bundeshaushalt belasten."

Ja, Deutschland hat "Klimaziele" – tatsächlich im Plural, nämlich zwei. Ein selbstgesetztes, im Klimaschutzgesetz des Bundes. Wird dieses verfehlt, geht die Regierung straffrei aus, zumindest finanziell.

Ein zweites Ziel hat die EU auferlegt. "Lastenteilung" ist hier das Stichwort. Das Klimaziel gilt nur für Kleinquellen, aber das Verfehlen wird finanziell pönalisiert, zulasten des Bundeshaushalts.

Die Koalitionäre wissen zwar noch nicht, welchen Namen die dortigen Zertifikate tragen, doch sie signalisieren immerhin, dass sie um die Pluralität der Klimaziele und um die Gefahr für den Bundeshaushalt wissen. Schon die Haltung ist Gold wert.

Der Satz findet sich allerdings im Koalitionsvertrag nur in Kapitel drei zum "Klimaschutz" – in Kapitel vier über "Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Finanzen" fehlt der Verweis auf die Risiken aus der Lastenteilung. Das lässt zweifeln, ob das Problem bei den Haushaltspolitikern wirklich angekommen ist.

Das Thema gehört ganz klar in den beabsichtigten "Klimacheck", der Teil der angekündigten Novellierung des Klimaschutzgesetzes sein soll.

Netzausbauplanung: Reiner Wein

Im Koalitionsvertrag steht: "Netzinfrastrukturen wollen wir in Zukunft auf allen politischen Ebenen stärker gemeinsam und vorausschauend planen. Dazu werden wir Bundesnetzagentur und Netzbetreiber umgehend beauftragen, einen über die aktuellen Netzentwicklungsplanungen hinausgehenden Plan für ein Klimaneutralitätsnetz zu berechnen, und den Bundesbedarfsplan entsprechend fortschreiben."

Endlich! Diese Koalition bricht mit der Verstockheit der Vorgänger-Regierung und will die Netze "stärker vorausschauend planen" – was für eine Wortwahl! Die Koalition will das Stromsystem, das Rückgrat der Energiewende, endlich auch "vom Ziel her denken" lassen.

Die bisher verfolgte Planungsmethode zum Ausbau des Stromnetzes war nicht für eine wirkliche Transition des Systems konzipiert, der Planungshorizont war immer nur zehn Jahre im Voraus verbindlich, plus fünf Jahre "mal schauen, was da sein könnte".

Porträtaufnahme von Hans-Jochen Luhmann.
Foto: Wuppertal Institut

Jochen Luhmann

studierte Mathematik, Volks­wirtschafts­lehre und Philosophie und promovierte in Gebäude­energie­ökonomie. Er war zehn Jahre als Chef­ökonom eines Ingenieur­unternehmens und 20 Jahre am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie tätig. Er ist Heraus­geber der Zeit­schrift Gaia und Vorstands­mitglied der Vereinigung Deutscher Wissen­schaftler.

Und dabei folgten die Netzplaner noch den Anmeldungen von Kraftwerksbetreibern. Wenn diese also schlicht behaupteten, neue fossile Kraftwerke zu planen, sah sich die Netzplanung veranlasst, diese absehbare Fehlinvestition dennoch für bare Münze zu nehmen.

Nun also endlich sollen die Von-der-Hand-in-den-Mund-Planungen vorbei sein und die Netze "stärker vorausschauend", also seriös geplant werden.

Dann kann den kritischen Bürgern über den gewollten Zielzustand endlich auch reiner Wein eingeschenkt werden. Denn dann gibt es eine große Linie, über die man mit der Bevölkerung auch reden kann. Damit könnte auch die Stellung angefochten werden, die sich die rechte AfD in der letzten Legislaturperiode durch regelmäßige fachliche Thematisierung des angstbesetzten Netzausbaus erarbeitet hat.

Erneuerbare: Appetithäppchen

Im Koalitionsvertrag steht: "Im Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien werden wir ein neues Strommarktdesign erarbeiten. Dazu setzen wir gemeinsam als Bundesregierung und Koalitionsfraktionen eine Plattform 'Klimaneutrales Stromsystem' ein, die 2022 konkrete Vorschläge macht und Stakeholder aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft einbezieht."

Diese Ankündigung passt zum Aufbruch, das Netzsystem viel stärker in den Blick zu rücken. Dieses wird schließlich künftig von schwankend einspeisenden erneuerbaren Quellen dominiert sein.

Die Konsumenten und immer mehr Prosumenten werden künftig eine viel größere Rolle spielen müssen, um diese Schwankungen auszugleichen. Das verspricht auch wirtschaftlich interessant zu sein.

Ob die Koalition dafür ein neues Design des Strommarkts durchsetzen kann? So etwas Grundsätzliches ist eigentlich eher Sache der EU. Wahrscheinlich meint die Koalition hier etwas Kleineres, vermutlich lediglich die Entscheidung zu Kapazitätsmechanismen auf dem Strommarkt.

Bergrecht: Schwere Kost nach preußischem Rezept

Im Koalitionsvertrag steht: "Wir wollen das Bundesbergrecht modernisieren."

Na endlich! Wir leben in Deutschland rechtlich immer noch im Zeitalter eines hemmungslosen Extraktivismus. Die Interessenträger des (Kohle-)Bergbaus haben eine Reform des Bergrechts bislang verhindert, um Privilegien aus preußischer Zeit zu sichern.

Besonders zweifelhaft war die Position sämtlicher Regierungen in Nordrhein-Westfalen – welcher Koalition auch immer –, man könne bei der Braunkohleförderung, anders als bei der Öl- und Gasförderung in Niedersachsen, keine Förderabgabe erheben, weil das ein Altbestand von Rechten aus dem Berggesetz des Bundes verhindere. Mit dem absehbaren Ende der Braunkohle-Schürfung ist diese Blockade nun überwindbar.

Das Bergrecht privilegiert das Recht, "Bodenschätze" zu heben, in rechtsstaatlich illegitimer Weise. Der Gipfel dessen ist, dass alles, was unten liegt, definitorisch ein "Schatz" ist, also förderwürdig sei – ohne Prüfung, ob der angebliche "Schatz" wirklich werthaltig ist.

Das Bergrecht beginnt schon, seine unheilvolle Rolle erneut auszuspielen, angesichts des mit der wirtschaftlichen Transformation verbundenen Anstiegs des Werts vieler Metalle, vor allem Seltener Erden. Ein neuer Rohstoff-Rausch muss rechtzeitig rechtlich kanalisiert werden, durch eine kluge Revision dieses Grundgesetzes zur Lithosphäre.

Straßenverkehrsrecht: Altbacken, teils überlagert

Im Koalitionsvertrag steht: "Wir werden Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung so anpassen, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden ..."

Ja, auch im Bereich der Mobilität steht eine fundamentale Änderung der rechtlichen Grundlagen an. Die "Grundgesetze" sind hier das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung mit ihrer Privilegierung des Autoverkehrs – es fehlt in der Liste eigentlich nur die Reichsgaragenordnung.

Das Dienstwagenprivileg, diesen steuerrechtlichen Systemverstoß zur Förderung des Absatzes von Protz-Pkw, will aber auch die neue Koalition nicht abschaffen.

Zur politischen Konstellation gehört hier auch, dass die Abgeordneten des Bundestages selber zu den Privilegierten bei der Dienstwagenregelung gehören. Will man diese beenden, müsste man Ersatz schaffen und dazu das heiße Eisen Diäten anfassen.

Flugverkehr: Achten Sie auf das Etikett

Im Koalitionsvertrag steht: "Deutschland soll Vorreiter beim CO2-neutralen Fliegen werden ... Einnahmen aus der Luftverkehrssteuer werden wir für die Förderung von Produktion und Einsatz von CO2-neutralen strombasierten Flugkraftstoffen sowie für Forschung, Entwicklung und Flottenmodernisierung im Luftverkehr einsetzen."

Das Adjektiv "klimaneutral" wird im Koalitionsvertrag verwendet wie Sand aus einer Streubüchse. Das rechtlich verbindliche Adjektiv "treibhausgasneutral" hingegen, das in die Zielformulierung für das Jahr 2045 in Paragraf 3, Absatz 2 des Klimagesetzes eingegangen ist, bleibt unerwähnt.

Umso mehr fällt die Präzision auf, mit der beim Flugverkehr der Anspruch, er sollte vielleicht am Ende "klimaneutral" werden, abgewehrt wird mittels der präzisen Beschränkung auf "CO2-neutral".

Das dürfte ein Erfolg von Lobbyisten-Bemühungen sein – aber vielleicht einer, der noch nach hinten losgeht. Die Kunst der strategischen Ambivalenz in der Wortwahl bringt manchmal auch Vorteile fürs Klima.

Normenanpassung: Sichtbar angeschimmelt

Im Koalitionsvertrag steht: nichts zum Schutz von Infrastrukturen gegen Extremereignisse.

Ja, wirklich, so ist es: Am 14. Juli 2021 wurde in der Eifel schmerzhaft gezeigt und nach Sachsen 2002, Elbe 2006 und Donau 2009 erneut in Erinnerung gerufen: Infrastrukturen wie Gebäude und Anlagen, aber auch raumübergreifende wie Verkehrswege und Leitungen sind nicht ausgelegt auf die neuen Rekord-Extremwerte, die der Klimawandel mit sich gebracht hat und weiter steigern wird.

Über die Sachgemäßheit des Schutzes dieser langlebigen Strukturen wird in Normen entschieden – in der Verantwortung der Normen-Institutionen DIN und VDI. Das Thema "Anpassung der Normen an den Klimawandel" fehlt im Koalitionsvertrag, DIN und VDI werden nicht in die Verantwortung genommen.

Wie kann es sein, dass die Politik sich auf die Eigenverantwortung dieser beiden Institutionen ungefragt verlässt? Das ist eine Leerstelle, auf der Schimmel wuchert und die eigentlich unübersehbar, weil ziemlich eklig, ist.

Anzeige