Ein Kran legt Kabeltrommeln neben der ausgeschachteten Fläche einer Erdkabelbaustelle ab.
Die Netzplanung folgt den Prinzipien der alten Energiewelt: Erdkabelbaustelle im Münsterland. (Foto: Lutz Kampert/​Amprion)

Zeitgleich mit dem Entwurf zum EEG 2021, dem novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetz,  beschloss das Kabinett am 23. September den neuen Bundesbedarfsplan für Elektrizität. Mit dem Plan befasst sich jetzt ebenfalls der Bundestag.

Ja, so ist es: In der marktwirtschaftlich verfassten Bundesrepublik Deutschland wird der künftige Bedarf an Elektrizität amtlich festgestellt – das ist reinste Planwirtschaft.

Strom wird zwar marktwirtschaftlich erzeugt und eingespeist. Doch damit er bei den Verbrauchern auch ankommt, braucht es ein Netz, eine Infrastruktur. Nur mit beidem zusammen kann das fragile Stromsystem zudem stabil gehalten werden.

Im Zuge der Energiewende muss das Netz um- und ausgebaut werden. In der Begründung des Gesetzentwurfs – ja, der Bedarfsplan hat Gesetzesrang – liest sich das so: Der zügige Ausbau der erneuerbaren Energien und die schrittweise Abschaltung der Atom- und Kohlekraftwerke erforderten es, Strom "zunehmend über weite Strecken zu transportieren".

Darüber hinaus gelte es, Voraussetzungen für den wachsenden grenzüberschreitenden Stromhandel zu schaffen. Aus beidem zusammen resultiere ein "Netzausbaubedarf insbesondere in der Höchstspannungsebene".

Wie jeder weiß, wechseln wir mit der Energiewende von stark konzentrierten zu dezentralisierten Stromquellen – und doch sei die Konsequenz, sagt der Gesetzgeber, ein wachsendes Fernleitungssystem. Das klingt paradox – und kann dennoch stimmen. Es kann aber auch sein, dass das zweite Motiv ausschlaggebend ist, einen EU-weiten Strommarkt zu schaffen.

Bundeskanzlerin Merkel hat das Phänomen jedenfalls einmal so versucht zu erklären: Die Netzinfrastruktur sei gefährdet, weil es eine "unglaubliche Verschiebung bei den Orten der Stromerzeugung" gebe, sagte sie 2008 auf einer Infrastrukturkonferenz des Industrieverbandes BDI.

Früher habe man ein Kraftwerk neben den großen Industriebetrieb gesetzt und dann habe das einigermaßen geklappt, so die Kanzlerin. Bei den Erneuerbaren könne man das aber "in den Ballungsgebieten so nicht machen". Deswegen hätten wir "hinsichtlich der Netzinfrastruktur eine riesige Aufgabe vor uns".

Legen die Netzbetreiber den Ausbaubedarf selber fest?

Der alle vier Jahre fällige Bundesbedarfsplan ist die zentrale Legitimation, um die Stromnetze auf der Ebene der sogenannten Übertragungsnetze auszubauen, also vor allem für die neuen "Stromautobahnen". Der Plan ist eine Anlage zum Bundesbedarfsplangesetz und wird mit diesem in Kraft gesetzt.

Allerdings kann einen skeptisch machen, dass die Ausbau-"Projekte" des Bundesbedarfsplans aus dem Netzentwicklungsplan für die Jahre 2019 bis 2030, dem NEP 2030, stammen, dessen Autoren faktisch die vier Übertragungsnetzbetreiber sind. Diese Vier – Amprion, 50 Hertz, Transnet BW und Tennet – sind die Eigentümer der Netze und konzipieren zunächst naheliegenderweise auch deren Um- und Ausbau.

Zugleich sind sie aber interessengeleitet und am Ausbau interessiert, weil ihr Gewinn in etwa proportional ist zum eingesetzten Kapital. Dieses wird mit der regulatorisch festgelegten sogenannten "Mindestrendite" verzinst, und das derzeit vergleichsweise üppig mit 6,9 beziehungsweise 5,1 Prozent.

Porträtaufnahme von Hans-Jochen Luhmann.
Foto: Wuppertal Institut

Jochen Luhmann

studierte Mathematik, Volks­wirtschafts­lehre und Philosophie und promovierte in Gebäude­energie­ökonomie. Er war zehn Jahre als Chef­ökonom eines Ingenieur­unternehmens und 20 Jahre am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie tätig. Er ist Heraus­geber der Zeit­schrift Gaia und Vorstands­mitglied der Vereinigung Deutscher Wissen­schaftler.

Weil der Gesetzgeber nicht blauäugig ist, hat man der Bundesnetzagentur aufgetragen, die Netzentwicklungspläne, also auch den jüngsten für 2019 bis 2030, zu prüfen und "festzustellen" – da kommt es auch zu Abweichungen. Die Pläne werden zudem im Entwurf der Öffentlichkeit zur Kommentierung angeboten.

Es gibt also schon so etwas wie Qualitätssicherung – angesichts des Interessenkonflikts, in der sich die Autoren des Plans befinden, ist dies das Mindeste an Professionalität, was man erwarten darf.

Denn beim Umbau des Stromnetzes geht es um Infrastruktur, also um Langfrist-Entscheidungen. Wer anders als der Staat sollte die treffen und legitimieren? Das können Entscheidungen sein, bei denen man gründlich schief liegt, die also die Allgemeinheit sehr teuer zu stehen kommen. Es geht nicht anders, als dass der Staat hier eintritt.

Qualität stellt sich nicht von allein ein. Deshalb bräuchte die staatliche Feststellung des künftigen Bedarfs eine öffentliche Aufmerksamkeit. Fehlt es daran, wird der vorgelegte Plan vom Bundestag einfach durchgewunken. So geschah es bereits zweimal – 2012 und 2016. In diesem Jahr droht es erneut so zu laufen.

Sektorkopplung – aber nicht bei der Infrastruktur?

Den Referentenentwurf des jüngsten Bedarfsplans hatte das Bundeswirtschaftsministerium am 15. September vorgelegt. Stellungnahmen konnten bis zum 17. September eingereicht werden – bereits am 23. September verabschiedete das Bundeskabinett, wie erwähnt, den Gesetzentwurf.

Trotz der Frist von nur zwei Tagen gingen immerhin 22 Stellungnahmen ein. Ein Vergleich ist erhellend. Da gibt es Interessenbekundungen von den Übertragungsnetzbetreibern wie auch von etlichen Bundesländern, die zuvor abgelehnt worden sind. Die Interessenvertreter versuchen nun, über den Gesetzgeber ihren Punkt doch noch durchzubringen.

Klar in der Minderheit sind die Stellungnahmen der Interessenten am allgemeinen Wohl wie die vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Der Umweltverband hatte bereits im Juni gefordert, aus dem NEP 2030 dürfe kein Bundesbedarfsplan werden.

Grund: Der Netzentwicklungsplan erfülle wegen des angesetzten Strommarktmodells, der Ausblendung kostengünstigerer und umweltfreundlicherer Alternativen und einer nicht verursachungsgerechten Kostenaufteilung nicht die wesentlichen Anforderungen an eine wirtschaftliche, umweltfreundliche und sozial gerechte Netzplanung.

Doch das Gegenteil des Angemahnten scheint nun parlamentarisch auf den Weg gebracht worden zu sein. Und das, obwohl das Bundeswirtschaftsministerium, wenn auch schon vor vier Jahren, einen Diskussionsprozess "Strom 2030" initiiert hatte.

Unter Fachleuten wird derzeit im Übrigen auch eine Form der Netzplanung diskutiert, die Strom und Gas zusammendenkt. Für beide leitungsgebundene Endenergieträger gibt es bislang, fein säuberlich getrennt, Verfahren zur Bedarfsplanung sowie zur Planung und Legitimierung des Leitungsausbaus.

Dass in dieser regulatorisch vorgegebenen Getrenntheit eine optimale Infrastrukturplanung möglich ist, kann man nicht ernstlich erwarten. Eine solche Trennung gibt es bei der Planung der Infrastrukturen im Verkehr, im Bundesverkehrswegeplan, auch nicht.

Inzwischen ist beim Energiesystem zudem das Wort Sektorkopplung in aller Munde – die Kopplung der Bedarfsfeststellung und auch der Planung der Gas- und der Elektrizitäts-Infrastrukturen aber ist bislang noch institutionell ausgeschlossen.

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