Durch Unterspülung zerstörte Asphaltstraße und Bahnstrecke in Schlottwitz bei Glashütte.
Hochwasser 2002 am Elbe-Zufluss Müglitz in Sachsen. (Foto: Harald Weber/​Wikimedia Commons)

Jetzt muss alles getan werden, um den von der Flut betroffenen Menschen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zu helfen, aber auch in Bayern und Sachsen.

Sie brauchen unsere Hilfe und Solidarität. Dennoch müssen die Ursachen aufgearbeitet und die Verantwortlichen benannt werden, deren Wirken – oder besser gesagt Nichtwirken – dazu beigetragen haben, die Gefahren zu verdrängen, statt die Vorsorge zu verbessern.

Nicht, dass damit die neue Dimension von Starkregen und die schlimmen Folgen hätten völlig verhindert werden können. Aber mehr Klimaschutz bei uns und in der Europäischen Union wären in den letzten zwanzig Jahren ebenso möglich gewesen wie Vorsorge und besserer Schutz.

Auch wenn das Gekicher des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Laschet bei einer Kondolenzrede des Bundespräsidenten unerträglich war, die Verantwortung für das Versagen trifft viele, die die Warnungen vor zunehmenden Extremereignissen verdrängt und als Panikmache abgetan haben.

Zwei Feststellungen sind notwendig.

Erstens: Die rot-grüne Bundesregierung reagierte auf das Elbe-Hochwasser von 2002 mit einem Fünf-Punkte-Plan. Daraus ergab sich eine Neufassung des Gesetzes zum vorbeugenden Hochwasserschutz. Die dort formulierten Ziele waren:

  • "Oberirdische Gewässer sind so zu bewirtschaften, dass so weit wie möglich Hochwasser zurückgehalten, der schadlose Wasserabfluss gewährleistet und der Entstehung von Hochwasserschäden vorgebeugt wird. Gebiete, die bei Hochwasser überschwemmt werden können oder deren Überschwemmung dazu dient, Hochwasserschäden zu mindern, sind ... zu schützen.
  • Jede Person, die durch Hochwasser betroffen sein kann, ist im Rahmen des ihr Möglichen und Zumutbaren verpflichtet, geeignete Vorsorgemaßnahmen zum Schutz vor Hochwassergefahren und zur Schadensminderung zu treffen, insbesondere die Nutzung von Grundstücken den möglichen Gefährdungen von Mensch, Umwelt oder Sachwerten durch Hochwasser anzupassen.
  • Durch Landesrecht wird geregelt, wie die zuständigen staatlichen Stellen und die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten über Hochwassergefahren, geeignete Vorsorgemaßnahmen und Verhaltensregeln informiert und vor zu erwartendem Hochwasser rechtzeitig gewarnt werden."

Das Gesetz für einen vorbeugenden Hochwasserschutz traf im Bundestag auf den Widerstand der damaligen Opposition aus CDU/CSU und FDP. Unions-Fraktionschefin Merkel und FDP-Chef Westerwelle lehnten den Gesetzentwurf der Bundesregierung wie übrigens auch 18 weitere Maßnahmen für einen besseren Klimaschutz als zu weitgehend ab.

Michael Müller

ist Bundes­vorsitzender der Natur­freunde Deutsch­lands. Der umwelt­politische SPD-Vordenker war Bundes­tags­abgeordneter und von 2005 bis 2009 Parlamentarischer Staats­sekretär im Bundes­umwelt­ministerium. Er ist Heraus­geber­rats­mitglied von Klimareporter°.

Im Bundestag nutzte die rot-grüne Koalition ihre Mehrheit, aber auch der Bundesrat musste zustimmen, da die Ländergesetzgebung betroffen war. Doch eine Mehrheit der Bundesländer wollte das Hochwasserschutzgesetz "entschärfen". Der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat wurde angerufen. Als SPD-Fraktionsvize wurde ich Vorsitzender der Arbeitsgruppe, die damit beauftragt war, möglichst einen gemeinsamen Vorschlag zu finden.

Das gelang nicht, es scheiterte am Widerstand der Länder. Die Vertreter der Regierungsfraktionen konnten nichts tun. Die Bundesländer setzten bei den Beratungen auf Zeit in der Hoffnung, dass die schrecklichen Bilder überfluteter Gemeinden wieder schwächer wurden, sodass kurzfristige Interessen die notwendigen Schlussfolgerungen zurückdrängten. Zudem mobilisierten die Länder über Bundestagsabgeordnete aus ihrer Region weiteren Widerstand gegen das Gesetz.

Mit dem Gesetz sollte vor allem die Vorsorge verbessert werden. Eine wichtige Grundlage war eine Studie des Bundesamts für Gewässerschutz, in der die möglichen Auswirkungen der Erderwärmung auf die Flussregime vor allem in den Mittelgebirgsregionen beschrieben wurden.

Der Vorschlag war, den Hochwasserschutz mindestens auf ein "Zweihundertjähriges Hochwasser" festzulegen, besser noch höher. Dieses Maß haben die Überflutungen, die jetzt das Leid in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verursacht haben.

Die Ablehnung kam damals vor allem von Bundesländern mit langen Flusstälern und ufernaher Bebauung, in denen die gesetzlichen Vorgaben erhebliche Investitionen in neue Bauten, bessere Infrastruktur und Vorsorge nach sich gezogen hätten. In der Studie wurde auch aufgezeigt, welche gewaltigen Gefahren in kurzer Zeit an kleinen Bächen und Flussläufen entstehen können.

Die Erarbeitung der gemeinsamen Gesetzesvorlage und die Beratungen darüber wurden hinausgezögert. Einzelne Ländervertreter versuchten die Klimagefahren für die Bundesrepublik zu verharmlosen. Nach mehreren Beratungen bis tief in die Nacht konnte ich nur ein Scheitern der Verhandlungen feststellen.

Leider haben auch die Bundesländer, die das Hochwasserschutzgesetz nicht verhindern wollten, nicht dafür gekämpft. 2004 wurde das Gesetz schließlich mit deutlichen Abschwächungen beschlossen.

Wenn behauptet wird, das heutige Hochwasser sei nicht vorherzusehen gewesen, zeugt das entweder von Ignoranz oder von bewusster Verdrängung der Fakten.

Die Wahrheit ist, dass die wissenschaftlichen Fakten nicht zur Kenntnis genommen wurden. Natürlich konnte niemand sagen, wann ein solches Ereignis eintritt, sehr wohl aber, dass ein derartiges Hochwasser möglich wird.

Und natürlich hätten sich auch nicht alle Schäden abwenden lassen, aber zumindest einige. Zu konstatieren ist heute ein politisches Versagen vor dem Hintergrund kurzfristiger Interessenpolitik.

Immer noch wird abgewiegelt

Zweitens: Wenn gerade wieder – wie etwa in der Bild-Zeitung – bezweifelt wird, dass es bei dem Hochwasser einen Zusammenhang mit der Erderwärmung gibt, dann werden die wissenschaftlichen Fakten verdrängt.

Die Bild fällt leider immer wieder mit derartiger Ignoranz auf. Wenn dann auch noch behauptet wird, das sei die Auffassung des Umweltbundesamtes, wird die Öffentlichkeit bewusst getäuscht.

Natürlich ist Wetter nicht gleichzusetzen mit Klima, aber richtig ist, dass die Zunahme der Wetterextreme ein deutliches Alarmsignal für die Klimakrise ist.

Klimawandel bedeutet nicht allein, dass es "wärmer wird". Vielmehr ist die Instabilität des Klimasystems der entscheidende Hinweis, dass sich die Chemie und Dynamik der Troposphäre grundlegend verändert. Heute liegt die CO2-Belastung in der Troposphäre schon bei fast 420 ppm. Die Erderwärmung beträgt heute schon 1,2 Grad Celsius.

Wird die zeitliche Anpassung des Klimasystems von rund vier Jahrzehnten berücksichtigt, so ist eine globale Erwärmung um 1,5 Grad Celsius nicht mehr zu verhindern. Das bedeutet auch, dass das Klimasystem immer schneller auf Kipppunkte zusteuert.

Wesentliche Funktionen geraten dann ins Rutschen. Wetterextreme nehmen noch stärker zu. Die Korallenriffe sterben ab, Regenwälder trocknen aus, Permafrostgebiete tauen auf, die thermohaline Strömung im Atlantik schwächt sich ab.

Dass es verstärkt zu Starkregen vor allem in den Mittelgebirgen kommt, hat viel mit der Veränderung der Wettermaschine im Atlantik, dem Abtauen der Polregionen und der Verschiebung der Hoch- und Tiefdruckgebiete zu tun.

Tacheles!

In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrats in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.

Gerade vor dem Hintergrund, dass diese Veränderungen in den nächsten Jahrzehnten noch zunehmen werden, müssen die Warnsignale endlich ernst genommen werden.

Die Klimadebatte begann Anfang der 1980er Jahre, sie wurde in Deutschland 1987 zu einem politischen und öffentlichen Thema. Auslöser waren der Aufruf zur Gründung des Weltklimarates IPCC, die Warnung der Deutschen Physikalischen und Deutschen Metrologischen Gesellschaft und die Einsetzung der Klima-Enquete des Deutschen Bundestages.

Doch bis heute sind die Zusammenhänge zu wenig verstanden und die Konsequenzen beschränken sich aufs Reagieren. Um Klimavorsorge geht es schon länger nicht mehr, Anpassung steht im Vordergrund.

In erster Linie wird mit Ankündigungen reagiert, statt die Verhältnisse zu gestalten. Dadurch vergrößert sich auch die Gefahr, dass durch die Klimakrise die soziale Spaltung größer wird. Die Klimakrise trifft vor allem schwächere Schichten, auch das haben die Überschwemmungen der letzten Tage wieder gezeigt. Das nächste Drama ist vorprogrammiert.

 

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