Einen Eindruck, wie sich der Strommarkt verändern wird, vermittelt das kürzlich vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz veröffentlichte Papier "Strommarktdesign der Zukunft". Es soll "Optionen für ein sicheres, bezahlbares und nachhaltiges Stromsystem" vorstellen.

In dem Papier kondensiert das Wirtschaftsministerium die 2023 begonnenen Diskussionen der "Plattform Klimaneutrales Stromsystem". Mit dem Vorschlagspapier will das Ministerium die Weichen im Strommarkt offenbar grundlegend neu stellen.

 

Ein ungewöhnlicher Vorgang, waren die letzten Jahre doch vor allem durch eine Politik der kleinen Schritte geprägt. Es stellt sich daher die Frage, ob dies auf einen überfälligen Befreiungsschlag oder auf einen Blindflug ins Ungewisse hinausläuft.

Was zunächst auffällt: Während die Plattform den Klimaschutz noch explizit im Namen trug, scheint bei den aktuellen Optionen des Wirtschaftsministeriums das Ziel eines klimaneutralen Stromsystems aus den Augen geraten zu sein. Zumindest bleibt unklar, inwieweit das in der Plattform vorgesehene Bewertungskriterium Klimaschutz in das Optionenpapier eingeflossen ist.

Nach Jahren der Flaute befinden sich die Erneuerbaren in Deutschland im Hochlauf. Es braucht aber weitere Beschleunigung, um die Ausbauziele zu erreichen. Daher ist es gut, dass das Wirtschaftsministerium die – durch Null- und Negativpreise – sinkenden Marktwerte der erneuerbaren Energien erkannt hat und gegensteuern will.

Löblich ist zudem, dass das Ministerium ein – auch von der EU vorgesehenes – Rückzahlungsinstrument ("Claw-Back") für Zusatzgewinne ins Marktdesign aufnehmen will.

Bei Rückzahlungspflicht der Erzeuger droht Kurzschluss

Mit seinen Vorschlägen treibt das Ministerium auch einen grundlegenden Wechsel des Investitionsrahmens für die Erneuerbaren voran – weg von der bewährten Einspeisevergütung, mit der Erneuerbaren-Erzeuger für die produzierte Kilowattstunde Strom unterstützt werden, hin zu einer erzeugungsunabhängigen Kapazitätszahlung. Diese soll die Vergütung von der real produzierten Energiemenge einer Anlage loslösen und stattdessen die installierte Leistung in Kilowatt "belohnen".

Bild: Luisa Erdmann/​DUH

Sönke Nissen

ist Referent für Energie und Klima­schutz bei der Deutschen Umwelt­hilfe (DUH). Er ist für die Bereiche Wind­kraft an Land, Strom­markt­design sowie die angrenzenden Schwer­punkte Sektoren­kopplung, Speicher­technologien, Industrie­dekarbonisierung und Ausbau von H2-ready-Kraft­werken zuständig. Nissen studierte Wirtschafts­ingenieur­wesen in Berlin und Shanghai.

Eine derart signifikante Änderung des Investitionsrahmens hin zu einem theoretischen Kapazitätsmodell in einer für die Erneuerbaren kritischen Phase ist allerdings riskant.

Auch beim "Claw-Back" scheint das ministerielle Konzept übers Ziel hinauszuschießen, da es eine stündliche Rückzahlung und weniger eine von Zusatzgewinnen vorsieht. Vor Kurzschlussreaktionen ist daher zu warnen. Dringend zu empfehlen ist vielmehr, die im Papier erwähnten anderen Optionen zu prüfen, wie die von der EU empfohlenen Contracts for Difference (CfD).

Diese CfDs, an anderer Stelle "Klimaschutzverträge" genannt, bestehen aus einem Referenzpreis, der eine Mindestvergütung garantiert. Erlöse oberhalb des Referenzpreises werden jedoch gedeckelt und an den Staat zurückgezahlt.

Angesichts des großen Sprungs muss das neue Strommarkt-Konzept vor seiner Einführung in einem Reallabor erprobt und zur Marktreife gebracht werden. Vor einer endgültigen Entscheidung muss es weitere Konsultationen mit den beteiligten Akteuren und Verbänden geben.

Ein erneuerbares Energiesystem muss damit umgehen, dass der Wind nicht immer weht und die Sonne nicht immer scheint – mitunter beides zugleich. Aus dem Grund braucht es sogenannte steuerbare Kapazitäten, die jederzeit zur Verfügung stehen.

"Kombinierter Kapazitätsmarkt" weltweit ohne Vorbild

Diesem Problem möchte das Wirtschaftsministerium ebenfalls mit einem bisher theoretischen Konzept für einen Kapazitätsmechanismus begegnen, wie das Papier zum Strommarktdesign zeigt. Während es für zentrale und dezentrale Kapazitätsmechanismen Vorbilder in unseren Nachbarländern gibt, ist der vom Ministerium vorgeschlagene kombinierte Kapazitätsmarkt (KKM), der zentrale und dezentrale Komponenten vereint, bisher weltweit ohnegleichen.

Deutschlands Netze müssen ausgebaut werden. (Bild: Kai Gentle/​Pixabay)

Die Wirkung des KKM hängt – ähnlich wie beim Investitionsrahmen für Erneuerbare – maßgeblich von der Ausgestaltung ab. Kritisch ist zu sehen, dass auch hier die Auswirkungen aufs Klima augenscheinlich nicht bewertet wurden. Zumindest ist dem Text nichts Entsprechendes zu entnehmen.

Das ist umso bedauerlicher, als mit dem neuen Kapazitätsmechanismus zunächst auch fossil betriebene Anlagen gefördert werden könnten. Schließlich will die Ampel-Regierung gemäß ihrer Kraftwerksstrategie 5.000 Megawatt reine Erdgas-Kraftwerke bauen lassen.

Ebenso scheint das Wirtschaftsministerium das "Claw-Back" hier nicht berücksichtigen zu wollen, obwohl dieses Rückzahlungsinstrument EU-rechtlich auch für steuerbare Kapazitäten vorgesehen ist. Nur an einer Stelle wird sehr vage auf die Möglichkeit einer Rückzahlung hingewiesen.

Lokale Netzentgelte reichen als Reformansatz nicht aus

Richtig erkennt das Wirtschaftsministerium, dass es künftig mehr und wirksame lokale Signale am Strommarkt braucht. Solche lokalen Preissignale sollen künftig die flexible Nachfrage vor Ort steuern, also dafür sorgen, dass Strom dann verbraucht wird, wenn er günstig ist.

Bisher gilt in ganz Deutschland aufgrund der einheitlichen Gebotszone ein gleicher Strompreis. Das führt dazu, dass bei viel Wind im Norden viel Strom im Süden gekauft und verbraucht wird. Das verstopft die Stromnetze, weil sie die großen Strommengen nicht transportieren können.

Diese einheitliche Gebotszone will das Wirtschaftsministerium beibehalten und verweist auf damit zusammenhängende komplexe Herausforderungen. Diese werden aber umgangen, und man setzt stattdessen zum Beispiel auf zeitlich und regional veränderliche Netzentgelte, um die gewünschten lokalen Signale herzustellen.

 

Zweifelsohne braucht es veränderliche Netzentgelte. Jedoch ist fraglich, ob sie allein ausreichen. Netzentgelte spiegeln lediglich den Netzzustand wider, nicht jedoch das Aufkommen an erneuerbarer Energie. Die Signalwirkung der Entgelte ist daher begrenzt.

Darüber hinaus ist durch den umfangreichen Netzausbaubedarf ein massiver Anstieg der Netzentgelte absehbar. Dies kann zu einer Überbelastung von Verbraucherinnen und Verbrauchern führen. Weiterer Ärger in der Bevölkerung wäre mit einem alleinigen Fokus auf Netzentgelte bereits vorprogrammiert.

Für die unbedingt nötige Flexibilisierung der Nachfrage schlägt das Optionenpapier die Erarbeitung einer Flexibilitäts-Agenda vor. Das ist ausdrücklich zu begrüßen. Diese Agenda sollte mit Hochdruck und unter Einbeziehung wichtiger Akteure vorangetrieben werden.

Klare Klimabewertung fehlt

Im Strommarkt sind, daran besteht kein Zweifel, grundlegende Weichenstellungen nötig. Dafür enthält das Optionenpapier des Wirtschaftsministeriums im Grundsatz interessante Vorschläge. Der Mut, auch große Schritte und Paradigmenwechsel einzuleiten, ist begrüßenswert.

Es sollten aber unbedingt Prioritäten für die verbleibende Legislaturperiode gesetzt werden. Die Ausgestaltung der Optionen braucht einen Feinschliff. Wegen der knappen noch verbleibenden Zeit ist sorgfältig abzuwägen, welche Maßnahmen noch umgesetzt werden können. Der Ausbau der Erneuerbaren darf nicht durch leichtfertige Weichenstellungen in Gefahr geraten.

Ein wesentlicher Schwachpunkt bleibt: Es fehlt eine klare Klimabewertung der Optionen. Die Deutsche Umwelthilfe fordert eine Rückbesinnung auf die Ziele der Plattform Klimaneutrales Stromsystem: eine sozial gerechte, klimaneutrale und sichere Energieversorgung für alle.