Ein Freund von mir hat seit Kurzem ein Deutschlandticket. Ein Auto hat er nie gehabt, ein guter Bahnnutzer war er vorher schon. Das soll so bleiben, sagt er, vielleicht komme hier und da eine Reise dazu oder er fahre mal ein Stück weiter.

Fürs Klima springt bei ihm keine CO2-Einsparung heraus, er senkt "nur" seine Mobilitätskosten. Das ist auch den meisten, die es nutzen, am wichtigsten. "Für die übergroße Mehrheit der Bürger:innen muss der öffentliche Verkehr einfach günstiger sein als die Nutzung eines Autos, um dessen Flexibilität und die Komfortverluste bei der Bahn auszugleichen", erklärt Katja Treichel-Grass vom Klima-Thinktank MCC in Berlin.

Die Politikanalystin hatte im "Ariadne-Arbeitspaket Verkehrswende" mit untersucht, was das Deutschlandticket für den Klimaschutz bringt. Das Forschungsteam stellte dazu diese Woche den "Ariadne D-Ticket Impact Tracker" online. Das Tool zeigt die Effekte der derzeit noch 49 Euro teuren Monatskarte auf Mobilität, Emissionen – und der gerade beschlossenen Preiserhöhung auf 58 Euro.

Dass es fürs Klima besser ist, Bahn statt Auto zu nehmen, ist klar. Konkret ist der CO2-Effekt aber schwer zu bestimmen. Besitzen die Bahnfahrer ein Auto oder nicht? Wann lassen sie das Auto wirklich stehen und steigen dank Ticket auf die Schiene um? Oder ab welcher Entfernung steigen sie um, auch abhängig davon, wie viel das Ticket kostet und wie gut die Bahn ist? Oder schaffen das Auto gar ganz ab?

Ein künstliches Deutschland liefert den Vergleich

Bisherige Berechnungen hatten ergeben, dass das 49-Euro-Ticket eine halbe bis etwas mehr als drei Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen könnte. Eine solche Spannbreite bedeutet im Kern: So genau kann niemand sagen, wie viel Klima im Deutschlandticket steckt.

Um hier besser zu werden, wählten die MCC-Forscher für ihren Impact Tracker ein anderes Herangehen als das übliche Prognostizieren. Sie fanden in Italien Regionen, deren Verkehrsverhältnisse den deutschen sehr ähnlich sind. Aus diesen realen Daten schufen sie sich ein "synthetisches" Deutschland, "starteten" dieses und ließen es ohne das Deutschlandticket laufen, laufen und laufen.

Symbolbild: Warum Menschen den Zug nehmen und nicht das Auto, ist nicht einfach zu ermitteln. (Bild: Jan Vašek/Jeshoots)

Parallel untersuchten die Fachleute den realen Verlauf in Deutschland, wo ab Mai 2023 das 49-Euro-Ticket die Verhältnisse änderte. Die realen Mobilitätsdaten für Deutschland wurden dabei von einem Mobilfunkanbieter bezogen, so die Auskunft. Die Daten würden in etwa das Mobilitätsverhalten eines Drittels der Bevölkerung beschreiben. Berücksichtigt bei alldem wurden nur Wege über 30 Kilometer.

Als die Forscher dann beide Verläufe – den des "synthetischen" ohne und des realen Deutschlands mit Ticket – übereinanderlegten, kam Überraschendes heraus. Denn die Kurven zeigten: Durch das Ticket hat, über ein Jahr Gültigkeit gemessen, die Zahl der Zugfahrten um 30 Prozent zugenommen – während die Zahl der gefahrenen Autokilometer um 7,6 Prozent sank.

Die Forscher schließen daraus: Das Ticket führte zu einer Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene. Dabei sind mit den weniger gefahrenen Autokilometern in einem Jahr etwa 6,7 Millionen Tonnen CO2 nicht ausgestoßen worden. Das entspricht einer Reduktion der deutschen Verkehrsemissionen um 4,7 Prozent.

Die mehr als sechs Millionen Tonnen können sich sehen lassen, sind mehr als das Doppelte der bisher besten Einspar-Prognose. Die MCC-Forscher halten die Ergebnisse aufrgund ihres besonderen Herangehens auch für realistisch.

Nicht ohne vereinfachende Annahmen  

Allerdings stellt sich schon die Frage, ob es verzerrende Effekte gibt, beispielsweise wenn jede Menge Leute, die gar kein Auto fahren, wegen des Tickets einfach deutlich mehr und weiter Bahn fahren. Dann würde die Zahl der Bahnfahrten einfach steigen und es gäbe keinen Klimaeffekt.

Denkbar ist auch, dass Leute ihr Auto unabhängig vom Ticket öfter stehen ließen, weil sie es nicht mehr bezahlen können. Dann wäre ein Klimaeffekt da, der ließe sich aber nicht dem Ticket zuschlagen.

Nikolas Koch verneint solche Effekte. "Die Menschen sind in den untersuchten Zeiträumen nicht mobiler geworden, die Gesamtmobilität hat sich nicht verändert", stellt der Leiter des Ariadne-Arbeitspaketes Verkehr am MCC fest. "Die CO2-Einsparung resultiert allein daraus, dass weniger Autokilometer gefahren wurden, weil Züge teilweise attraktiver wurden", erklärt Koch auf Nachfrage von Klimareporter°.

Kurz gefasst, geht die Ariadne-Rechnung so: Wenn in der Gesamtmenge Mobilität, die sich also nicht veränderte, der Anteil der Bahn nach oben und der des Autos nach unten ging, schließen die Forscher daraus, dass die Leute vom Auto in die Bahn umgestiegen sind. Und wer sein Auto mehr stehen lässt als im Zeitraum davor, verbrennt weniger Sprit und senkt die CO2-Emissionen des Verkehrs.

Ganz ohne vereinfachende Annahmen geht die Rechnung aber nicht auf. So gehen die Forscher davon aus, dass die Einführung des Deutschlandtickets die Emissionen des Bahnverkehrs nicht verändert hat.

Bürgerkonferenz hatte Preissenkung statt -erhöhung empfohlen

Für MCC-Forscher Koch trägt das 49-Euro-Ticket auf jeden Fall dazu bei, das Klimaziel im Verkehr zu erreichen. Die fast fünfprozentige CO2-Reduktion entspreche dabei etwa der prognostizierten Klimawirkung eines Tempolimits von 120 auf den Autobahnen, sagt er, betont jedoch auch: "Das Ticket allein ist aber nicht das Instrument, um das Klimaziel im Verkehrssektor zu erreichen."

Das ist natürlich kein Grund, die Klimawirkung geringzuachten. Beim Klima-"Sorgenkind" Verkehr ist man ja inzwischen über jedes Gramm CO2 glücklich, das wie auch immer eingespart wird. 

Bevor die Verkehrsminister von Bund und Ländern die Verteuerung auf 58 Euro absegneten, hatten die Forscher des Ariadne-Pakets auch deren Folgen fürs Klima verkündet. Danach würde der Preisaufschlag den Klimaeffekt auf etwa 3,1 Millionen Tonnen CO2 jährlich senken und damit mehr als halbieren. Fahrten im Zug würden um etwa 14 Prozent zurückgehen und gefahrene Autokilometer um etwa 3,5 Prozent zunehmen.

 

Zum Ariadne-Projekt gehörte übrigens auch eine Bürgerkonferenz Mitte dieses Jahres zu Politikoptionen der Verkehrswende. Die Mehrheit der Teilnehmenden habe sich dort für eine Senkung des Ticketpreises ausgesprochen, damit der öffentliche Verkehr günstiger als das Auto und so attraktiver für die Menschen werde, ist beim "Impact Tracker" zu lesen.

Da fragt sich schon, warum Ministerien Forscher beauftragen, mit viel Brimborium die Bevölkerung zu befragen, um dann das Gegenteil zu beschließen.