Für die AKW-Branche, deren Anteil an der weltweiten Stromerzeugung seit Jahren zurückgeht, sind kleine modulare Atomkraftwerke ein Hoffnungsträger. Gemeinsame Idee ist bei den "Small Modular Reactors" (SMR), dass die Kleinreaktoren aufgrund ihres modularen Aufbaus zentral vorgefertigt und am jeweiligen Standort nur noch zusammengesetzt werden.
Dadurch, so die Hoffnung, könnten die Baukosten deutlich niedriger ausfallen. Doch nun wurde ein SMR-Vorzeigeprojekt in den USA schlagartig beerdigt – dasjenige des Entwicklers Nuscale Power Corporation.
Eigentlich sollten im Bundesstaat Idaho im Nordwesten der USA sechs der neuen AKW-Module mit je 77 Megawatt Leistung gebaut werden. Nuscale und das Stromunternehmen Utah Associated Municipal Power Systems (Uamps) gaben jetzt allerdings bekannt, man werde das gemeinsam geplante "Carbon Free Power Project" beenden.
Grund sind deutliche Kostensteigerungen von geschätzten 5,3 Milliarden auf 9,3 Milliarden US-Dollar und Finanzierungsprobleme. Nach aktuellem Stand erscheine es unwahrscheinlich, dass sich ausreichend Abnehmer für die Energie finden, die in dem Atommeiler erzeugt werden soll, heißt es in einer Mitteilung der Unternehmen.
Zu Uamps gehören öffentliche Energieversorger in sieben westlichen US-Bundesstaaten, darunter neben Utah und Idaho auch Kalifornien und Arizona. Die Unternehmen hatten geplant, die Kleinreaktoren ab 2029 oder 2030 in Serie zu bauen und mit ihnen dann die Stromerzeugung der Region zu übernehmen, die bisher von Kohlekraftwerken geleistet wird.
Daraus wird nun offenbar wegen der hohen Strompreise nichts, die für die SMR kalkuliert wurden. Laut dem US-Thinktank IEEFA stiegen sie von den 2021 noch avisierten 5,8 auf 8,9 US-Cent pro Kilowattstunde, und das trotz hoher eingerechneter Steuersubventionen auf Atomstrom.
Neue Atompläne auch in Europa
Weltweit werden zurzeit mehrere Dutzend verschiedene Klein-AKW-Typen entwickelt, wobei die Konzepte teils auf Reaktorentwürfe aus den 1950er-Jahren zurückgehen. Viele Schlagzeilen machte die "neue" Atomkraft, seit der Microsoft-Gründer und Mäzenat Bill Gates mit seiner 2006 gegründeten Firma Terra Power in die SMR-Entwicklung einstieg, die vom US-Energieministerium mitfinanziert wird.
Gates sieht die Mini-Atomkraftwerke als Lösung für den Klimaschutz. Terra Power arbeitet an einem Prototyp im US-Bundesstaat Wyoming. Er soll 2030 ans Netz gehen. Geplant ist dort ein Reaktor mit 345 Megawatt Leistung, der mit Natrium gekühlt wird.
Auch in Europa werden ähnliche Pläne verfolgt. Die Mini-AKW-Idee erhielt hier 2021 neuen Schub, als die Regierungen von Frankreich, Großbritannien und Belgien ihre Unterstützung für die SMR-Entwicklung bekannt gaben. Paris kündigte an, eine Milliarde Euro dort hineinzustecken, London mobilisierte umgerechnet rund 250 Millionen Euro, Brüssel peilt 100 Millionen an.
Frankreich und Großbritannien wollen dabei auf AKW-Technologien aufbauen, die die beiden Atommächte ursprünglich im Militärsektor entwickeln ließen – Kleinreaktoren, die zum Antrieb von U-Booten und Flugzeugträgern genutzt werden.
Bei all diesen Projekten stellt sich die Kostenfrage, da die möglichen neuen AKW im künftigen klimafreundlichen Energiesystem mit erneuerbaren Energien konkurrieren müssen, die tendenziell immer billiger werden.
Kritiker wenden zudem ein, dass die Mini-Reaktoren nicht schnell genug in großer Zahl gebaut werden können, um den globalen CO2-Ausstoß ausreichend zu senken. Laut Weltklimarat IPCC müssen die Emissionen für den 1,5-Grad-Pfad bereits bis 2030 um etwa 50 Prozent fallen.
Warnung vor "Atomenergie-Szenarien-Paradox"
Die Zweifel, dass die Atomkraft zur Klimarettung taugt, untermauert eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
Das DIW nahm darin 2.800 von Forschungsteams durchgerechnete Klimaszenarien und den darin unterstellten künftigen Energiemix unter die Lupe. Die meisten dieser vielen Szenarien gingen von einem erheblichen Anstieg der Atomkraft aus. Das entsprach laut der DIW-Auswertung aber nicht der tatsächlichen langjährigen Entwicklung dieser Energieerzeugung.
Den Widerspruch bezeichnen die Studienautor:innen als "Atomenergie-Szenarien-Paradox". Es bestehe die Gefahr, dass aufgrund der Klimaszenarien öffentliche und private Gelder in die Kernkraft investiert werden, obwohl andere Technologien rentabler und risikoärmer sind.
Weltweit sind derzeit 415 Atomreaktoren in Betrieb, laut DIW wird allerdings erwartet, dass die Hälfte davon bis 2030 aus Altersgründen abgeschaltet wird. Folge man einer Steigerung der AKW-Neubau-Rate um 59 Prozent, wie etwa im optimistischen Szenario des IPCC-Sonderberichts zum 1,5-Grad-Limit von 2018, müssten in den nächsten zehn Jahren mehr Atomkraftwerke gebaut werden, als aktuell überhaupt am Netz sind.
"Dieser erwartete Neubauboom ist unrealistisch", sagte Jens Weibezahn von der Copenhagen School of Energy Infrastructure, Co-Autor der DIW-Studie. Derzeit werde weltweit nur an etwa 50 Neubauprojekten gearbeitet, von denen 31 gegenüber den Plänen bereits verspätet seien, teilweise sogar erheblich.
Den Widerspruch zwischen zu optimistischen Szenarien und der Realität erklärt das DIW-Team mit politökonomischen, institutionellen und geopolitischen Faktoren. Vor allem die enge Verbindung zwischen militärischer und kommerzieller Nutzung von Atomenergie sowie das Interesse der Atomwirtschaft an der Selbsterhaltung spielten eine Rolle.
Es gelte daher, Klimaszenarien kritisch zu hinterfragen. "Statt auf Atomenergie sollten Politik und Wirtschaft auf erneuerbare Energien setzen, die nicht nur strukturelle Kostenvorteile haben, sondern auch ungefährlich sind", sagte DIW-Abteilungsleiterin und Mitautorin Claudia Kemfert.
Nuscale-Chef John Hopkins gibt sich übrigens trotz des aktuellen Rückschlags weiter optimistisch. Man habe die SMR-Technologie "bis zur kommerziellen Einsatzphase gebracht", erklärte er. "Das Erreichen dieses Meilensteins ist ein enormer Erfolg, auf dem wir mit zukünftigen Kunden weiter aufbauen werden."
Interesse an einem Nuscale-Reaktor gibt es unter anderem in Rumänien, ein Vorvertrag wurde hier im Januar geschlossen.
Redaktioneller Hinweis: DIW-Abteilungsleiterin Claudia Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.