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Wer in Deutschland noch ein neues fossiles Gaskraftwerk bauen will, ist zu bedauern. Das würde ein paar Jahre dauern. Förderung gibt es derzeit auch nicht. Ist das Kraftwerk fertig, wird es nur ein paar hundert Stunden im Jahr als sogenannte Spitzenlast laufen – dann, wenn erneuerbare Energien nicht genügend Strom liefern.
Viel Platz im Markt ist da nicht. Die Erneuerbaren haben 60 Prozent Anteil am Strommix, 2035 sollen sie bei 80 Prozent sein, lautet das Ziel der Bundesregierung.
Und 2045, wenn Deutschland klimaneutral sein soll, ist es mit fossiler Erdgasverstromung eigentlich ganz vorbei, ausgenommen nur den Fall, die CO2-Emissionen werden per CCS gemindert oder das Kraftwerk wird auf den Brennstoff Wasserstoff umgerüstet. Neue Erdgasanlagen seien spätestens acht Jahre nach Inbetriebnahme auf Wasserstoff umzustellen, verlangte beispielsweise das vorerst gescheiterte Kraftwerkssicherheitsgesetz.
CCS verteuert den Gasstrom allerdings. Für die CO2-Abscheidung wird ein Siebtel mehr Brennstoff benötigt, sagen Energiestudien. CCS beseitigt auch nicht alles CO2. Mehr als eine Abscheiderate von 90 bis 95 Prozent ist nicht drin.
Szenarien für ein klimaneutrales Deutschland planen CCS deswegen nur für schwer vermeidbare Emissionen in der Industrie ein, Kraftwerke bleiben außen vor.
Kein Opfern des Klimaschutzes?
In solcher Lage fragt jetzt ein Gastbeitrag von drei Energieexperten – Lion Hirth (Hertie School), Hanns Koenig (Aurora Energy Research) und Christoph Maurer (Consentec und FAU Erlangen-Nürnberg) – in der FAZ, wie die Energiewende günstiger werden kann, ohne den Klimaschutz zu opfern.
Auf das klimapolitisch Naheliegende – den Verzicht auf fossile Erdgasverstromung – kommen die Autoren nicht. Sie schlagen das Gegenteil vor: einen schnellen Neubau von Erdgaskraftwerken. Und nicht nur das. Beim Solarausbau wollen sie die Einspeisevergütung für kleinere Anlagen stoppen und nur noch große Solarparks fördern. Das nennt man wohl einen Paradigmenwechsel.
Genaue Megawatt-Zahlen für neue Erdgasverstromung nennen die drei Autoren nicht. Auch zur Finanzierung ist nichts Konkretes zu finden. Angesichts des angekündigten Kapazitätsmarkts würden neue Kraftwerke aller Voraussicht nach nur im Rahmen eines Kapazitätsmechanismus gebaut, erklärt Lion Hirth auf Nachfrage.
Sehr viel genauer ist dem Beitrag dafür zu entnehmen, wie der Strommarkt für neue Gaskraft freigeräumt wird. So soll es zwar beim 80-Prozent-Ziel für die Erneuerbaren bleiben, der für 2030 prognostizierte Strombedarf von bis zu 750 Milliarden Kilowattstunden aber wird angezweifelt.
Er dürfte zum Ende des Jahrzehnts nur bei 600 bis 650 Milliarden Kilowattstunden liegen, sagen die Drei voraus. Das bedeutet: 80 Prozent lassen sich mit einem viel geringeren Erneuerbaren-Ausbau sichern.
Bei Erneuerbaren werden Daumenschrauben angesetzt
Zur Sicherheit werden den Erneuerbaren Daumenschrauben angesetzt. So verlangen die Autoren, den Zubau von Windkraft auf See kurzfristig zu strecken und dort das Ausbauziel für 2045 von geplanten 70.000 auf 50.000 Megawatt abzusenken.
Des Weiteren soll die EEG-Förderung für Biogas und Biomasse auslaufen. Damit stünden weitere bis zu 6.000 Megawatt zur Disposition, die von Erdgas besetzt werden könnten.
Den neuen Gaskraftwerken sollen nach Ansicht von Hirth, Koenig und Maurer auch keine "fixen Daten" für die Wasserstoff-Umrüstung vorgegeben werden. Auch soll der Einsatz von "blauem" – also aus Erdgas hergestelltem – Wasserstoff erlaubt werden sowie selbstredend die CO2-Speicherung an Land.
Um die Folgen des Erdgasbooms fürs Klima macht sich Lion Hirth wenig Sorgen. Klimaneutralität bedeute nach seinem Verständnis nicht, dass es im Stromsektor in einzelnen Anlagen keine Emissionen mehr geben darf, teilt der Energieökonom auf Nachfrage mit.
Er glaube, klimapolitisch gehe es darum, mit technologischen, organisatorischen und politischen Innovationen zu zeigen, dass die Treibhausgasemissionen zu vertretbaren Kosten massiv gesenkt werden können, und nicht darum, zu garantieren, dass "am 1. Januar 2045 kein Gramm CO2 mehr ein Kraftwerk verlässt", erläutert der Energieökonom weiter. Da habe Deutschland in den Sektoren Gebäude, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft ganz andere Probleme.
Klimapolitische Logik zugunsten fossiler Kraftwerke
Die klimapolitische Logik ist schon bestechend: Weil es beispielsweise in Industrie und Landwirtschaft auch nach 2045 unvermeidbare Emissionen gibt – laut einschlägiger Prognosen von mehreren Dutzend Millionen Tonnen – soll das offenbar auch der Energiewirtschaft gestattet werden.
Hirth führt hier auch das Ablenkungsargument an, neue Erdgasanlagen würden dem europäischen Emissionshandel unterliegen. "Insofern werden gar keine zusätzlichen Emissionen erzeugt", behauptet er.
Dass es nach bisherigem Stand des Green Deal in der EU ab 2039 keine neuen Emissionsrechte für fossile Kraftwerke gibt und also 2045 auch keinen Emissionshandel mehr im heutigen Sinne, ficht ihn offenbar nicht an.
Weitere Nachfragen zu diesen und anderen Themen wollte Hirth mit Verweis auf terminliche Zwänge nicht beantworten – aber klar wird auch so: Eine Lobby für fossiles Erdgas stellt das Ziel eines klimaneutralen Deutschland 2045 infrage.
Keine Förderung mehr für kleinere Solaranlagen?
Bei dem Vorstoß geht es offensichtlich nicht nur darum, fossiles Erdgas weiter salonfähig zu halten. Generell ist den Autoren die dezentrale Energiewende ein Dorn im Auge.
Neben einigen energiepolitischen Ladenhütern wie dem schnellen Rollout von Smart Metern und intelligenten Netzentgelten für die Industrie wollen die Drei die Förderlogik auf dem Solarmarkt grundlegend ändern: Die Einspeisevergütung für kleine Solaranlagen soll abgeschafft werden – im Gegenzug sollen Einschränkungen für Freiflächenanlagen fallen.
Erneuerbaren-Verbände weisen diese Vorschläge zurück. Die EEG-Förderung für kleinere Solaranlagen auf Gebäuden sei weiterhin notwendig, um private Investitionen anzureizen und abzusichern, betont Carsten Körnig gegenüber Klimareporter°.
Der Chef des Wirtschaftsverbandes BSW Solar wendet sich auch gegen den im FAZ-Beitrag verbreiteten Eindruck, kleinere Photovoltaik sei teuer gefördert und ohne Nutzen für das Stromsystem. Neue Solarsysteme auf Gebäuden würden inzwischen fast immer mit einem Batteriespeicher kombiniert. Deswegen werde nur noch ein kleiner Teil des Stroms ins öffentliche Netz eingespeist und entsprechend vergütet, entgegnet Körnig.
Durch den Eigenverbrauch dürften mittlerweile auf jede eingespeiste und deshalb geförderte Kilowattstunde in der Regel zwei ungeförderte Kilowattstunden kommen, rechnet der BSW-Chef vor. Auch würden – anders als die drei Autoren annehmen – Heimspeicher schon seit Jahren nicht mehr vom Bund gefördert, stellt Körnig weiter richtig.
Eigenverbrauch untergräbt Marktmacht etablierter Versorger
Laut dem Fraunhofer-Institut ISE lag der solare Eigenverbrauch bundesweit zuletzt bei jährlich 12,4 Milliarden Kilowattstunden. Damit fließen ungefähr zwei Prozent des Stromverbrauchs an den etablierten Versorgern vorbei.
Körnig sieht darin ein Zukunftsmodell, mit dem breite Schichten der Bevölkerung in die Energiewende eingebunden werden können, darunter auch Mieter im mehrgeschossigen Wohnungsbau mittels gemeinschaftlicher Gebäudeversorgung und solarer Mieterstromangebote.
So eine Perspektive ist eine schwer erträgliche Vorstellung für eine konventionelle Strombranche, die bisher jede Kilowattstunde zu kontrollieren gewohnt war.
Statt auf Erdgaskraftwerke setzen Erneuerbaren-Verbände für die Zeiten, in denen der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, auf andere, klimafreundliche Sicherheiten. Günstiger, verlässlicher und schneller verfügbar seien heimische, flexibel steuerbare Backups aus Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie, Kraft-Wärme-Kopplung, aus Speichern sowie aus Ökostrom hergestellten Wasserstoff. Bis 2030 könnten bis zu 38.000 Megawatt flexibler Leistung aus Erneuerbaren und Speichern zusätzlich geschaffen werden, rechnet Simone Peter vor.
Für die Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) ist Flexibilität der "Dreh- und Angelpunkt" des künftigen Energiesystems, um die Preisvorteile der Erneuerbaren anzuerkennen. "Erzeuger-, Speicher- und Verbraucherflexibilität müssen endlich umfassend angereizt werden, auch um den Hochlauf von Wärmepumpen und E‑Autos anzukurbeln", fordert Peter.
Die drei Autoren setzten die gesamte Energiewende in ein verzerrtes Licht, kritisiert die BEE‑Chefin. Suggeriert werde, dass die Energiewende hin zu Erneuerbaren zu teuer sei und günstiger werden müsse. "Dabei kommt uns das Festhalten an fossilen oder atomaren Energieträgern teuer zu stehen", betont Peter.
Das Wort "atomar" kommt bei Wirth, Koenig und Maurer übrigens nicht vor. Dass mit neuen AKW die Energiewende günstiger würde – die Botschaft hat sich offenbar zumindest für Fachleute erledigt, für manche Politiker leider noch nicht.