Erdgaskraftwerk in Vohburg-Irsching bei Ingolstadt: Die bestehenden Gaskraftwerke sind für das erneuerbare Energiesystem erst mal genug, sagt die EWG. (Bild: Art Anderson/​Wikimedia Commons)

Erneuerbare Energien liefern inzwischen mehr als die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Stroms. Um den Anteil weiter auf 100 Prozent zu erhöhen, sind wegen der mit Wetter und Tageszeit schwankenden Erzeugung ergänzend flexible "Backup"-Kapazitäten erforderlich, um den Strombedarf jederzeit decken zu können. Die Bundesregierung sieht dazu vor allem den Bau von Erdgas-Kraftwerken vor.

Der Thinktank Energy Watch Group (EWG) hält das für eine verfehlte Strategie. Es sei "die teuerste und klimaschädlichste Option", warnt er und wirbt für ein Alternativkonzept.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte die Kraftwerksstrategie nach langer Ampel-interner Debatte im Februar vorgestellt. Geplant ist die Ausschreibung von Backup-Kapazitäten in vier Tranchen zu je 2.500 Megawatt. Die Kraftwerke sollen mit Erdgas betrieben und ab etwa 2035 bis 2040 auf grünen Wasserstoff umgerüstet werden.

Außerdem soll ein "marktorientierter, Technologie-neutraler Kapazitätsmechanismus" geschaffen werden, um weitere flexible Kapazität zu beschaffen. Die Kraftwerks-Ausschreibung und die Ausgestaltung des Mechanismus sollen bis Ende des Sommers erfolgt sein.

Die EWG kritisiert, dass der Plan des Neubaus von Erdgaskraftwerken im Umfang von 10.000 Megawatt Vorteile vor allem für große Energieunternehmen, Kraftwerksbauer und Erdgasversorger bedeute. So werde die bisherige Struktur zementiert – darunter ein Stromsystem mit großen, zentralen Kraftwerken – und später eine ebenfalls zentralisierte Nachfrage für Wasserstoff geschaffen.

"Diese Verengung verteuert die flexible Kapazität und damit den Strompreis in Deutschland", urteilt der Thinktank. Der Ausbau flexibler Kapazitäten und damit die Ablösung fossiler Quellen durch Wind- und Solarstrom würden verzögert.

Biogas-Kraftwerke sollen nicht mehr durchlaufen

Die EWG ist eine Gruppe internationaler Energiewende-Fachleute und Abgeordneter. Chef ist der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell, einer der "Väter" des Erneuerbare-Energien-Gesetzes der rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahr 2000.

Die Ziele eines stabilen Erneuerbaren-Stromsystems lassen sich laut EWG-Expertise schneller, günstiger und ohne zusätzlichen CO2-Ausstoß erreichen – ohne den Neubau von Erdgas-Kraftwerken.

Im Einzelnen schlägt die EWG vor, zum Beispiel heutige Erdgaskraftwerke, die zusammen 35.000 Megawatt leisten, als flexible Kapazität zu nutzen und heutige Biogaskraftwerke (12.000 Megawatt) künftig nicht mehr in der Grundlast laufen zu lassen, sondern auf flexible Kapazität umzurüsten.

Bestehende Stromspeicher wie Pumpspeicherkraftwerke und Batterien sollen stärker genutzt und neue gebaut werden. Außerdem sei es sinnvoll, neue Kraftwerke zu bauen, die direkt grünen Wasserstoff nutzen, sobald dieser in ausreichenden Mengen verfügbar ist.

 

Die EWG fordert, den geplanten Kapazitätsmechanismus so zu gestalten, "dass möglichst wenig flexible Kapazität erforderlich ist und diese dann günstig und CO2-frei beschafft wird".

Hierbei sei es wichtig, zeitabhängige Strompreise einzuführen, damit Stromnachfrage in Zeiten hoher Wind- und Solarstromerzeugung verschoben wird – so wie es Habecks Strategie bereits vorsieht, was freilich den flächendeckenden Einbau intelligenter Stromzähler voraussetzt.

Der Restbedarf an flexibler Kapazität müsse dann technologieoffen – alle Speicher und Erneuerbaren zulässig – und "erzeugeroffen" – nicht nur Große zulässig – beschafft werden.

Der Thinktank argumentiert, mit dieser Alternativstrategie ließen sich für die Steuerzahler "Milliarden Euro sparen", und es werde weder die weitere Erdgasverbrennung über Jahre hinaus noch die Vormacht großer Stromversorger zementiert. Außerdem könne so der für 2030 angestrebte Kohleausstieg erreicht werden.