2024 freundet sich auch die Solarwirtschaft mit ihrer einstigen Guerilla-Truppe an. Erstmals in seiner Geschichte listet der Branchenverband BSW Solar in der am Mittwoch vorgestellten Jahresbilanz auch das Segment der Steckersolargeräte auf.
Die als "Balkonkraftwerke" bekannten Stromerzeuger legten nämlich 2023 mit fast 400 Prozent das größte Plus im Photovoltaik-Markt überhaupt hin.
Zwar haben die Anlagen meist nur 600 Watt Nennleistung, sodass sich der Zuwachs auf Balkonen und in Gärten mit insgesamt 200 Megawatt in Grenzen hält. Für Carsten Körnig ist das dennoch ein erfreulicher Trend. Immer mehr Mieterinnen und Mieter könnten jetzt "einen kleinen Beitrag" zur Energiewende leisten und vom inzwischen preiswert gewordenen Solarstrom profitieren, freute sich der Geschäftsführer des BSW Solar am Mittwoch in München.
In Deutschland habe es in den Eigenheimsiedlungen eine "solare Sonderkonjunktur" und auf heimischen Balkonen eine "kleine Energierevolution" gegeben, bilanzierte Körnig. Zuletzt habe sich die private Nachfrage nach Solardächern zwar etwas abgekühlt, sie bleibe aber weiter hoch.
Photovoltaik kann von gesellschaftlichem Konsens leben
Für den Boom gerade auf den Dächern der Eigenheime führt Körnig zwei Gründe an. Zum einen hätten viele Menschen aufgrund der Corona-Pandemie zu Hause gearbeitet und festgestellt, dass an der Zeit sei, sich eine Solaranlage anzuschaffen.
Als zusätzlicher Booster hätten dann zum anderen der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Energiekrise für einen Bewusstseinswandel gesorgt, blickte der BSW-Solar-Chef zurück.
Die Branche ist sich auch einer großen Rückendeckung in der Bevölkerung für den Solar-Ausbau sicher. Dazu gebe es durchweg einen "hohen gesellschaftlichen Konsens", unabhängig auch von jeweiligen Parteifärbungen, bekannte Körnig am Mittwoch. Akzeptanz gebe es auch dann, wenn in der Nähe Freiflächenanlagen geplant werden.
Im Einzelnen entwickelten sich die Solar-Segmente 2023 wie folgt: Kleine Solaranlagen unter 30 Kilowatt wuchsen um 7.600 Megawatt, größere Dachanlagen über 30 Kilowatt nahmen um 2.700 Megawatt zu und Freiflächenanlagen um 4.500 Megawatt. Und das Wachstumstempo legte zuletzt sogar noch zu: Die ersten drei Monate dieses Jahres waren das stärkste Quartal, seit die Branche ihre Statistik führt.
Entspannte Sicht auf China-Module
Dem schwelenden industriepolitischen Problem, dass der deutsche Solarmarkt mit billigen Modulen aus China überschwemmt wird, steht die Branche mittlerweile mit einer gewissen Entspannung gegenüber. Zölle und Marktzugangsbarrieren seien nicht hilfreich, stellte Körnig dazu fest. Und ob die Bemühungen der EU erfolgreich sein werden, über ihren "Net Zero Industry Act" europäische Solarfabriken zu schaffen, werde man sehen.
Zugleich betonte der Solarverbandschef in dem Zusammenhang: Die meiste Wertschöpfung entstehe nicht in der automatisierten Produktion der Solarmodule, sondern vor allem durch die Dienstleistungen für Installation und Wartung, also von den dahinterliegenden Jobs.
Als neuer Trend gerade bei privaten Kunden schälen sich immer stärker Stromspeicher heraus. Körnig: "Bei Eigenheimen sind Stromspeicher inzwischen Standard."
Nach den Angaben legen sich 80 Prozent der Haushalte die Solaranlage gleich mit einem Speicher zu. Entsprechend verdoppelte sich 2023 die gesamte Speicherkapazität. Mit den vorhandenen 1,2 Millionen Stromspeichern ließe sich theoretisch der tägliche Strombedarf von 1,5 Millionen Zwei-Personen-Haushalten decken, rechnet die Branche vor.
Wer wenig Strom verbraucht, hat viel vom Speicher
Mittlerweile bieten in Deutschland über 90 Hersteller Speichersysteme oder einzelne Komponenten zur Speicherung von Solarstrom an, listete kürzlich die von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) vorgelegte Stromspeicher-Inspektion 2024 auf.
Im Schnitt könnten private Haushalte durch eine Photovoltaikanlage ihren jährlichen Strombezug aus dem Netz um 2.000 Kilowattstunden reduzieren, gibt die Studie an. Mit einem zusätzlichen Batteriespeicher sinke der Netzbezug dann auf 1.500 Kilowattstunden.
Privater Solarboom
- 2023 wurden etwa vier Prozent aller deutschen Ein- und Zweifamilienhäuser mit einer neuen Photovoltaik-Anlage ausgestattet.
- Acht von zehn dieser neuen PV-Anlagen im Eigenheimsegment wurden zusammen mit einem Batteriespeicher installiert.
- Ende 2023 gab es bereits 1,1 Millionen Solarstromspeicher in Deutschland, wovon die Hälfte im Jahr 2023 installiert wurde. Damit verdoppelte sich der Bestand an Solar-Speichersystemen innerhalb von nur zwölf Monaten.
- Die nutzbare Speicherkapazität der 2023 installierten Batteriespeicher betrug im Schnitt 8,6 Kilowattstunden. Die gesamte Speicherkapazität aller dieser Heimspeicher lag bei 9.000 Megawattstunden.
Einfamilienhaushalte mit Solaranlage und Batteriespeicher erreichten dann im Schnitt einen Autarkiegrad von 70 Prozent. Tendenziell erhöht ein Batteriespeicher laut der Speicherstudie besonders den Autarkiegrad sehr energiesparsamer Haushalte. Einer der von den HTW-Fachleuten untersuchten Haushalte bezieht durch den Einsatz eines Solar-Speichersystems nur noch fünf Prozent seines Stroms aus dem Netz.
Neben einer Fortsetzung des Speicherbooms erwartet die Solarbranche vor allem deutlich mehr Photovoltaik auf Gewerbedächern sowie auf Freiflächen. Mit dem kürzlich beschlossenen Solarpaket der Bundesregierung und der darin verankerten gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung könne auch endlich der Knoten im Mietwohnungsbereich durchschlagen und die Realisierung von sogenanntem Mieterstrom deutlich erleichtert werden, ist sich BSW-Chef Körnig sicher. Die Branche rechnet damit, dass nunmehr auch Wohnungswirtschaft und Wohnungseigentümer stärker bei der Photovoltaik einsteigen.
Bis 2030 soll sich, so das Ziel, der Solarstrom-Anteil am Strombedarf in Deutschland in etwa verdoppeln – von derzeit zwölf Prozent auf rund 25 Prozent. Das Wachstum bringt derzeit allerdings auch zunehmende Probleme auf dem Strommarkt mit sich.
Grünstrom-Markt braucht mehr Flexibilität
Gerade der Solarboom sorgt bekanntlich dafür, dass über die Mittagszeit besonders viel erneuerbarer Strom im Netz ist, zunehmend auch mehr, als verbraucht werden kann. Das führt zu sogenannten negativen Strompreisen.
2023 gab es schon insgesamt 300 Stunden mit "negativen Strompreisen" in Deutschland. Das bereitet auch den erneuerbaren Energien Probleme, die dann weniger Erlöse erzielen.
Körnig forderte hier die Politik auf, für Reformen am Energiemarkt zu sorgen, damit es nicht attraktiv ist, gerade zu solchen Zeiten Solarstrom ins Netz einzuspeisen, sondern dies bedarfsgerechter erfolgt. Er verwies dabei auf den Vorschlag der Erneuerbaren-Branche, künftig die EEG-Vergütung nicht für einen festen Zeitraum von bislang 20 Jahren zu gewähren, sondern für eine bestimmte Strommenge.
Ansonsten, so Körnig, ließe sich das Problem durch konsequente Flexibilisierung lösen, durch Speicherausbau und eine intelligente Nachfragesteuerung mit der Verknüpfung mit Wärmepumpen und anderes. Die Politik müsse dafür sorgen, dass der massive Speicherausbau nicht nur zur Eigenoptimierung der Verbraucherhaushalte beitrage, sondern auch zum Ausgleich im gesamten Stromsystem.