Oliver Hummel. (Bild: Naturstrom AG)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Oliver Hummel, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Hummel, auch in Brandenburg droht die Rechtsaußen-Partei AfD bei der heutigen Landtagswahl stärkste Kraft zu werden. Diese Woche richteten 60 sächsische Unternehmen einen Appell für Windkraft und Photovoltaik an die neu zu bildende Landesregierung. Die Wirtschaft in Sachsen brauche eine stabile und zukunftsfähige Energieversorgung durch den Ausbau erneuerbarer Technologien und der dazugehörigen Infrastruktur, heißt es darin. Hätten Sie auch unterschrieben?

Oliver Hummel: Das hätte sehr gut sein können. Die Landesregierungen können großen Einfluss auf das Tempo der Energiewende nehmen.

Das deutlichste Negativbeispiel war lange Jahre die 10‑H-Regelung, die in Bayern den Bau neuer Windenergieanlagen blockierte. Es wäre fatal, wenn in Sachsen und Thüringen nun destruktive Kräfte die Oberhand gewinnen und die gerade erst entfachte Dynamik ausbremsen.

Auch jenseits unserer Unternehmensinteressen finde ich es besorgniserregend, dass es uns in Deutschland anscheinend immer weniger gelingt, mit unterschiedlichen politischen Ansichten konstruktiv und auf Basis eines gemeinsamen Grundverständnisses umzugehen.

Wie wir eine lebendige Demokratie erhalten und pflegen, treibt uns auch bei Naturstrom um. Schon vor den Europawahlen und auch den Wahlen in Sachsen und Thüringen hatten wir uns gemeinsam mit anderen Ökostromanbietern öffentlich geäußert und die Menschen ermuntert, zur Wahl zu gehen.

Schließlich geht die dezentrale Energiewende, wenn sie richtig angepackt wird, mit einer Demokratisierung der Energieversorgung Hand in Hand. Beim Erfolg der erneuerbaren Energien in Deutschland müssen Genossenschaften und andere Bürgerenergie‑Gesellschaften daher auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen.

Einen 70-Megawatt-Solarpark will Naturstrom in Brandenburg noch in diesem Jahr ans Netz nehmen, in Petershagen nördlich von Frankfurt (Oder). Gerade in Brandenburg wird das Netz ja von Solar- und Windstrom regelrecht geflutet, was regelmäßig Abregelungen nach sich zieht. Wird Naturstrom mit den 70 Megawatt überhaupt Geld verdienen?

Der Verfall des Marktwerts von Solarstrom und die wachsende Anzahl von Stunden mit negativen Preisen sind eine erhebliche Herausforderung, das ist ganz klar.

Es zeigt, dass wir die Nachfrage nach Strom in den nächsten Jahren deutlich flexibilisieren müssen: durch intelligente Zähler, E‑Autos, Speicher und Wärmepumpen.

Die zunehmende Entwertung besonders des produzierten Solarstroms führt auch bei uns schon seit einiger Zeit dazu, die Strategie in der Energieerzeugung weiterzuentwickeln. Im Fokus steht zunehmend die "Wertigkeit" des produzierten Stroms, nicht der maximale Ertrag in Kilowattstunden.

Deshalb denken wir in unseren aktuellen Solarprojekten den Bau oder die Nachrüstung eines Batteriespeichers immer mit und betreiben auch bereits in Thüringen einen Solarpark mit Speicher.

Die Investitionsentscheidung für den Speicher ist letztlich ein Spiel mit verschiedenen Parametern: Wie entwickeln sich die Zeiten mit negativen Preisen an der Strombörse? Auf welchem Niveau lassen sich EEG-Zuschläge und mögliche Direktverträge mit Großabnehmern erreichen? Und in welchem Tempo sinken die Preise für Batteriespeicher?

Den ersten großen Klimastreik seit Langem gab es am Freitag. Carla Reemtsma von Friday für Future meinte dazu im Interview mit Klimareporter°, dass Olaf Scholz als selbst erklärter Klimakanzler noch einiges zu tun habe. Bis zu den Bundestagswahlen hätten SPD, Grüne und FDP noch ein Jahr Zeit, ihre Klima-Versprechen einzulösen, sagte die Aktivistin. Welche Versprechen sollte die Ampel unbedingt noch erfüllen?

Die größten Versäumnisse sehe ich im Verkehrssektor. Da nehme ich bei der Bundesregierung und speziell bei Verkehrsminister Wissing keine ernsthaften Klimaschutz-Ambitionen wahr, geschweige denn eine Vision. Die realitätsferne Fixierung auf E‑Fuels hat in den letzten ein, zwei Jahren wahnsinnig viel politische Energie verbrannt.

Was wir vom Verkehrsminister stattdessen gebraucht hätten, wären ein leidenschaftlicher Einsatz für mehr Investitionen in den Schienenverkehr, eine verlässlichere Förderung der E‑Mobilität, ein Ja zu einem allgemeinen Tempolimit und ein Fokus auf Radverkehr und Mobilitäts-Sharing.

Mit der Verschiebung der Intel-Chipfabrik in Sachsen-Anhalt hat die Bundesregierung unerwarteterweise zehn Milliarden Euro zur Verfügung, um in den nächsten Jahren Haushaltslöcher zu schließen. Die Deutsche Industrie‑ und Handelskammer schlägt vor, mit den Geldern die Netzentgelte und damit die Stromkosten zu senken. Wofür würden Sie das Geld einsetzen?

Die Netzentgelte müssen reformiert werden, klarer Fall – aber sie müssen nicht nach dem Gießkannenprinzip gesenkt werden. Die zehn Milliarden sollten zum Beispiel genutzt werden, um Forschungskürzungen in den zentralen Zukunftsthemen abzuwenden, wie die aktuell geplanten Streichungen der Förderung in der Speicherforschung.

Wir können uns nicht einerseits beklagen, dass wir den Anschluss an China in den Zukunftsfeldern verlieren, und andererseits die bestehende Forschungsförderung zusammenstreichen.

Außerdem sollten Gelder in die Sanierung unserer zunehmend maroden Infrastruktur gesteckt werden. Da sind sie angesichts des enormen Sanierungsstaus zwar wahrscheinlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein – aber immerhin besser als nichts.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die drastischen Maßnahmen bei VW haben mich dann doch überrascht. Letztes Jahr hat das Unternehmen noch ein 18 Milliarden Euro Rekordergebnis erzielt und großzügig 4,5 Milliarden Euro Dividenden an die Gesellschafter ausgeschüttet.

Jetzt gibt es angeblich eine katastrophale Situation, drastische Kostenreduktionen sind nötig, Mitarbeitende sollen entlassen werden und es ertönt der Ruf nach staatlicher Unterstützung. Das finde ich deprimierend, soziale Nachhaltigkeit geht anders.

Auch überraschend und nicht erfreulich und war, dass in den letzten Tagen in größerem Stil Stellenstreichungen in der Solarbranche bekanntgegeben wurden.

Die auch in diesem Jahr bislang sehr guten Ausbauzahlen verdecken, dass es bei den kleinen Dachanlagen schon längst nicht mehr so rund läuft wie noch 2022 und teils 2023. Das macht sich nun leider bemerkbar.

Zugleich erleben wir dieses Jahr einen massiven Anstieg der Stunden mit negativen Strompreisen – vor allem in den Zeiten mit hoher Solarstromproduktion.

Aus dieser Entwicklung ziehen viele Marktbeobachter zu Recht den Schluss, dass die bis dato vernachlässigte Flexibilisierung dringend in den Fokus gehört. In seltenen Fällen wird dies allerdings auch durch die Forderung flankiert, den Ausbau von nicht steuerbaren Kleinanlagen zurückzufahren.

Das wiederum halte ich für falsch. Der Erneuerbaren-Ausbau insgesamt ist immer noch nicht auf dem Pfad, der zum für 2030 anvisierten Ziel von 80 Prozent im Stromsektor führt.

Zudem liegen Lösungen auf der Hand, um die Solarspitzen zu glätten: Batteriespeicher vom Eigenheim über die Kombination mit Solarparks bis hin zu Stand-alone‑Speichern, außerdem alte Zöpfe abschneiden bei den Netzentgelt-Rabatten für einen möglichst gleichmäßigen Verbrauch von Industriekunden – und viel mehr intelligente Zähler und dynamische Tarife.

Ein Paper in der Zeitschrift Nature Communications kam vor einigen Monaten zu dem Ergebnis, dass Photovoltaik selbst unter Einbeziehung der nötigen Investitionen in Batteriespeicher 2030 weltweit die günstigste Form der Stromerzeugung sein wird.

Es wäre verrückt, wenn wir in Deutschland bei dieser Entwicklung nicht vorne mit dabei wäre, weil es jetzt am Mumm fehlt, die Energiewende konsequent durchzuziehen.

Fragen: Jörg Staude