Geht es dieser Tage um die deutsche Küste, dreht sich die politische Debatte meist um die geplanten Flüssigerdgas-Terminals – ob sie alle gebraucht werden und auch, wie die fossile Infrastruktur die Umwelt belastet. Da ging fast unter, dass Deutschlands Küsten jetzt im Sommer einen Doppelschlag beim Ausbau der Offshore-Windenergie erlebten.
Lange Zeit hatte sich bei der Windkraft auf See wenig bis gar nichts mehr getan. 2020 und 2021 war der Offshore-Ausbau fast zum Erliegen gekommen. Es fehlte an Projekten, verfügbaren Meeresflächen und Anschlüssen ans Landnetz.
Anfang dieses Jahres waren so erst 8.100 Megawatt Offshore-Wind am Netz. 2030 sollen es aber 30.000 Megawatt in Nordsee und Ostsee sein, 2045 dann 70.000 Megawatt.
Mitten in die Flaute hinein platzte da ein Doppelschlag: Mitte Juli verkündete die Bundesnetzagentur zunächst, sie habe für vier ausgeschriebene Meeresflächen einen Zuschlag erteilt – für drei Flächen mit jeweils 2.000 Megawatt in der Nordsee und für eine mit 1.000 Megawatt in der Ostsee. Die Flächen liegen etwa 120 Kilometer nordwestlich von Helgoland sowie 25 Kilometer vor der Insel Rügen. Die Inbetriebnahme ist in allen Fällen für 2030 vorgesehen.
Weil die Flächen in zwei Runden an Investoren meistbietend versteigert wurden, machten finanzstarke fossile Konzerne das Rennen, namentlich die britische BP und die französische Total. Beide wollen die Windanlagen ohne Zuschüsse aus der EEG-Kasse bauen und verpflichteten sich zudem, für die Nutzung der Flächen mehr als zwölf Milliarden Euro an den deutschen Staat zu zahlen.
Offshore-Verband kritisiert Ausschreibungen
Im August folgte der zweite Aufschlag beim Offshore-Wind. Wiederum gingen vier Meeresflächen weg, diesmal alle in der Nordsee. Bei drei Flächen mit zusammen 1.530 Megawatt setzte sich RWE durch. Eine Fläche für 270 Megawatt ging an den Entwickler Waterkant Energy, eine Tochter der Luxcara, einer Hamburger Erneuerbaren-Investmentfirma mit Offshore-Erfahrungen aus den Niederlanden.
Für die zusammen 1.800 Megawatt der zweiten Runde müssen die Firmen nach Angaben der Bundesnetzagentur nur 784 Millionen Euro an die Staatskasse zahlen. Das sind knapp 450.000 Euro pro Megawatt.
Beim ersten Zuschlag dagegen kostete das Megawatt am Ende gut das Vierfache: 1,8 Millionen Euro.
Der enorme Unterschied rührt vor allem daher, dass in der ersten Runde allein das Geld zählte. "Die Bieter mit der jeweils höchsten Zahlungsbereitschaft für eine Fläche erhielten den Zuschlag", erklärt die Bundesnetzagentur.
Dagegen wurden beim zweiten Verfahren auch sogenannte qualitative Kriterien berücksichtigt – erstmalig bei einer solchen Ausschreibung in Deutschland. Bei zu erreichenden 100 Punkten konnten die Projekte jeweils bis zu zehn Punkte erringen für den Beitrag zur Dekarbonisierung des Offshore-Ausbaus, für die Menge der erzeugten grünen Energie, für geringere Schallbelastung und Versiegelung des Meeresbodens sowie für den Beitrag zur Fachkräftesicherung.
Diese Verpflichtungen später einzulösen, kostet zusätzliches Geld – das zogen die Unternehmen gewissermaßen virtuell von der Summe ab, die sie für den Zuschlag zu zahlen bereit waren. Mit dieser Zahlungsbereitschaft gab es immer noch die meisten Punkte zu erringen, bis zu 60 von den maximal 100.
Selbst bei der teilweise qualitativ orientierten Ausschreibung sei zu kritisieren, dass der monetäre Anteil ein so starkes Gewicht hat, sagt Stefan Thimm, Geschäftsführer beim Bundesverband der Windparkbetreiber Offshore (BWO). Zudem gebe es bei den Qualitätskriterien noch rechtliche Unsicherheiten, etwa welche Technologien für die Windrad-Gründung Punkte bringen. Das sei für die Bieter nicht sehr vorteilhaft, so Thimm.
Einen weiteren Grund für die sehr viel geringeren Erlöse bei der zweiten Ausschreibung sieht der BWO-Chef darin, dass die vergebenen Flächen kleiner und damit die Kosten pro Megawatt größer sind.
Der Offshore-Betreiberverband verlangt für die Zukunft eine breitere Akteursvielfalt beim Ausbau der Windkraft auf See, sprich einen deutlich besseren Zugang für kleinere Betreiber. Deutschland müsse deswegen, so Thimm, zu einer Abkehr vom "unsäglichen Instrumentarium" der Ausschreibungen und zu einer intelligenteren Vergabe kommen. Ziel müsse ein Wettbewerb um den besten Windpark auf See sein.
Nabu fordert Schifffahrts- und Militärflächen für Windkraft
Mit dem mehr oder weniger erkauften Zuschlag erhalten die erfolgreichen Bieter keine freie Bahn für ihre Projekte, sondern nur den Anspruch auf Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens für den Windpark auf See sowie auf einen Netzanschluss an Land.
Die Lage für die Windkraft wird hier nicht einfacher. Die Nordsee und besonders die Ostsee leiden schon heute unter der Mehrfachnutzung. Ziviler und militärischer Schiffsverkehr, Fischerei, Segler, Tourismus und nicht zuletzt eben der forcierte Bau großer LNG-Terminals belasten die Meeresumwelt.
Ende Juni veröffentlichte der Naturschutzbund Nabu dazu eine Studie zur räumlichen Planung der Offshore-Windenergie in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der deutschen Nord- und Ostsee. Innerhalb dieser 200-Seemeilen-Zone befinden sich alle bestehenden und noch geplanten Windparks.
Die Studie zweier privater Institute für den Nabu ergab, dass sich unter Berücksichtigung des Naturschutzes in der Nord- und Ostsee knapp 80.000 Megawatt Windkraft errichten lassen. Auf den ersten Blick eine gute Nachricht, verglichen mit den für die deutsche Klimaneutralität angestrebten 70.000 Megawatt bis 2045.
So einfach ist es aber nicht. So hält die Nabu-Studie alle derzeit in der Ostsee in der marinen Raumplanung vorgesehenen Offshore-Gebiete für ungeeignet. Allerdings gebe es in den anderen Flächen der AWZ Platz für Windparks. Ähnlich sieht das Ergebnis der Analyse für die Nordsee aus.
In Zahlen: Von den möglichen knapp 80.000 Offshore-Megawatt liegen laut Studie nur 20.000 in den bisher vorgesehenen Offshore-Gebieten von Nord- und Ostsee und 60.000 Megawatt außerhalb davon.
Auf diesen alternativen Flächen würden Offshore-Windparks aber viel stärker mit anderen Nutzungen kollidieren. Einen naturverträglichen Ausbau gibt es deswegen für den Nabu nur mit der politischen Bereitschaft, auch traditionelle Nutzungen im Meer zu hinterfragen.
So müssten etwa Seeschifffahrts-Flächen oder militärische Übungsgebiete für die Windenergie zugänglich gemacht werden, wie Kim Detloff erläutert. Der Nabu-Experte warnt vor einer Sackgasse, in die sich die Bundesregierung mit dem aktuellen Offshore-Ausbau auf Kosten des Meeresnaturschutzes begebe.
Allerdings beseitigt das Ausweichen in die alternativen Gebiete nicht automatisch alle Naturschutzprobleme, wird in der Nabu-Studie betont. Auch dort seien Konflikte zu lösen, unter anderem indem Windparks kleiner gebaut werden, um Kollisionen beim Vogelzug zu vermeiden.
Aus Sicht des Naturschutzbundes müssen grundsätzlich die marinen Ökosysteme vorgeben, wo und wie viel Offshore-Windenergie installiert werden kann. Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger fordert: "Es darf nicht nur darum gehen, wo in der ohnehin überlasteten Nord- und Ostsee noch Platz ist. Es ist an der Zeit, Raumkonkurrenzen aufzulösen."
Angesichts der zunehmenden Nutzung der Meere wird die Raumkonkurrenz vermutlich erst einmal zunehmen.