Anfang November gab es den bisher dunkelsten Strom-Tag in diesem Jahr. Weil die Sonne so gar nicht schien und wenig Wind wehte, standen am Abend des 6. November, ausweislich der Energy-Charts des Fraunhofer-Instituts ISE, bei der Windkraft an Land zeitweise nur um die 100 Megawatt Leistung zur Verfügung – von bundesweit installierten 60.000 Megawatt.

Gedeckt wurde das Stromdefizit vor allem durch bis zu 35.000 Megawatt fossile Kraftwerksleistung, überwiegend mit Braunkohle und Erdgas betrieben. Zwar stieg der Strompreis im Markt in jener Novemberwoche teilweise auf über 80 Cent je Kilowattstunde, aber die Stromkunden spürten von der Flaute nichts.

 

In künftigen Dunkelflauten soll das nicht anders sein und auch der Strompreis soll nicht durch die Decke gehen. Dann sollen allerdings nicht mehr fossile Anlagen in die Lücke springen, sondern möglichst CO2-freie.

Das aktuelle Vorhaben der Bundesregierung, um die konventionellen Kraftwerke zu ersetzen, nennt sich Kraftwerkssicherheitsgesetz (KWSG). Es sollte, hieß es in der Branche, am gestrigen Mittwoch im Bundeskabinett beschlossen werden. Dazu kam es aber nicht.

Viel Kritik an der Vorlage aus dem Haus Habeck

Zurzeit werde das Gesetz regierungsintern abschließend beraten, teilte das Wirtschaftsministerium auf Nachfrage mit. Zu weiteren Details wie Terminen wolle man sich aktuell nicht äußern.

Die Begeisterung über die Vorlage aus dem Haus von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hält sich ohnehin in Grenzen.

Ein Kritikpunkt ist: Zwar werden mit dem Gesetz 12.500 Megawatt Kraftwerksleistung geplant, davon sind aber genau besehen nur etwa 10.000 Megawatt wirklich neu und zusätzlich. So sollen schon bestehende Erdgaskraftwerke im Umfang von 2.000 Megawatt irgendwann auf Wasserstoff umgestellt werden.

Das Kraftwerkssicherheitsgesetz

Das KWSG plant die Ausschreibung von insgesamt 12.500 Megawatt Kraftwerkskapazität. Davon sollen 7.000 Megawatt wasserstofffähige ("H2-ready") Gaskraftwerke sein.

Für 5.000 Megawatt davon sollen die Anbieter ein festes Wasserstoff-Umstiegsdatum ab dem achten Jahr der Inbetriebnahme vertraglich zusichern, sofern dann ein H2-Anschluss und genügend Wasserstoff vorhanden sind.

Weitere 2.000 Megawatt sollen durch Umrüstung vorhandener Erdgaskraftwerke auf Wasserstoff geschaffen werden.

Außerdem plant das KWSG den Bau von 5.000 Megawatt reiner Erdgaskraftwerke, die dann beim Übergang zur Klimaneutralität entweder stillgelegt oder mit Technik zur CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) ausgestattet werden sollen.

Weiter ist im KWSG der Bau von 500 Megawatt reiner H2-Kraftwerke sowie von 500 Megawatt Langzeitspeichern vorgesehen.

Schon die Flaute im November, in der die fossile Leistung auf 35.000 Megawatt hochgefahren werden musste, zeigt, dass das KWSG ziemlich eng gestrickt ist. Und künftig geht es nicht nur darum, eine Dunkelflaute abzusichern, sondern es gilt zudem, den durch E‑Autos, Wärmepumpen oder die Herstellung grünen Wasserstoffs steigenden Strombedarf jederzeit zu decken. Zudem gehen mit dem beschlossenen Kohleausstieg in den nächsten zehn Jahren mehrere tausend Megawatt Braun- und Steinkohle vom Netz.

Nicht grundlos empfahl der nationale Wasserstoffrat einen Zuwachs von fast 24.000 Megawatt an wasserstoffbasierten Reservekraftwerken bis 2035. Die Bundesnetzagentur befand für eine sichere Versorgung eine Aufstockung um 17.000 bis 21.000 Megawatt für nötig.

Neue Kapazität reicht gerade für NRW

Auch Christian Untrieser hält die nur rund 10.000 Megawatt an wirklichem Ausbau für viel zu wenig. Das sei "sehr enttäuschend" und reiche einfach nicht, erklärte der Sprecher für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie der nordrhein-westfälischen CDU-Landtagsfraktion diese Woche auf einer Konferenz der brancheneigenen Agentur für Erneuerbare Energien.

Einen Großteil der neuen KWSG-Kapazitäten benötige sein Bundesland für sich allein, denn man wolle die energieintensive Industrie und ihre Wertschöpfung in Nordrhein-Westfalen behalten, erklärte Untrieser. "Dekarbonisierung ist einfach, lässt man die großen Verbraucher weg – sie ist schwer, wenn diese hierbleiben sollen", sagte er.

Der Unionspolitiker gab auch zu verstehen, aus seiner Sicht werde das Kraftwerksgesetz bis zur vorgezogenen Bundestagswahl nicht mehr vom Bundestag beschlossen. Nach dem 23. Februar werde man sich möglichst schnell zusammensetzen und eine Grundlage für die Ausschreibung der neuen Kraftwerke schaffen, kündigte Untrieser an.

Nadine Bethge von der Deutschen Umwelthilfe ist sich sicher, dass die CDU das Gesetz vor der Wahl "in keinster Weise" mittragen wird, wie die Energieexpertin gegenüber Medien erklärte.

Das liegt für Bethge auch an einer tief sitzenden Verärgerung in der Union. So habe die Ampel-Regierung CDU und CSU nie zu den sich über mehr als ein Jahr hinziehenden Beratungen der "Plattform Klimaneutrales Stromsystem" eingeladen. Erst bei der allerletzten Sitzung seien Unionsvertreter um Teilnahme gebeten worden, was diese dankend abgelehnt haben sollen.

Markt soll sich künftig um Dunkelflaute kümmern

Die Plattform Klimaneutrales Stromsystem und das KWSG haben viel miteinander zu tun. Denn in Deutschland soll ab 2028 für Strom ein sogenannter Kapazitätsmarkt installiert werden. Dieser soll dafür sorgen, dass die Kraftwerksbetreiber von sich aus mehr für den Ausgleich von schwankender Erzeugung und ebenso schwankendem Stromverbrauch tun. Vereinfacht gesagt: Der Markt soll sich künftig auch um die Dunkelflaute kümmern.

Gaskraftwerk in Nordrhein-Westfalen: Viele neue Erdgas-Anlagen möchte das Bundeswirtschaftsministerium bauen. (Bild: Dirk Vorderstraße/​Wikimedia Commons, CC BY 2.0)

Auch die Erneuerbaren-Branche ist über den Zubau zehntausender Megawatt wenig glücklich. Zwar sei Deutschland in den Dunkelflauten noch auf fossile Leistung angewiesen, aber diese Zeiten würden immer weniger, je mehr die Wind- und Solarenergie in ganz Europa ausgebaut werde, sagte die Präsidentin des Erneuerbaren-Verbandes BEE, Simone Peter, auf der erwähnten Konferenz.

Die reale Entwicklung scheint tatsächlich einige Annahmen des KWSG zu erschüttern. So gibt es derzeit einen Boom bei Stromspeichern. Große Solar- und Windparks setzen Peter zufolge immer öfter auf Speicherung, damit sie das, was sie in ihren Spitzenzeiten generieren, in die Zeiten mit wenig Wind und Sonne übertragen können.

Auch den anhaltenden Ausschluss der Bioenergie hält die Erneuerbaren-Branche nach wie vor für falsch. Biogas könne Strom deutlich preiswerter bereitstellen als die mit dem KWSG geplanten "H2-ready"-Anlagen, betonte Jürgen Karl, Chef des Lehrstuhls für Energieverfahrenstechnik an der Universität Erlangen-Nürnberg, auf der Konferenz.

Karl hatte kürzlich im Auftrag der Biogasbranche in einer Kurzstudie ausgerechnet, dass allein mit Biogas bis 2030 bis zu 12.000 Megawatt an flexibler Leistung geschaffen werden könnten. "Biogasanlagen sind kurzfristig die einzige relevante Alternative zum Wasserstoff zur Absicherung längerer Dunkelflauten", heißt es in der Ausarbeitung. Zudem nutze eine Flexibilisierung von Biogas bestehende Infrastrukturen.

 

Weil mit dem Kraftwerksgesetz erst einmal 10.000 Megawatt fossile Gaskraftwerke in die Welt gesetzt werden – H2-ready hin oder her –, verdunkelt sich auch die Klimabilanz zunächst erheblich. Mit dem staatlich geförderten Bau der fossilen Kraftwerke würden Deutschlands Klimaziele ebenso Makulatur wie das Ziel einer klimaneutralen Stromversorgung bis 2035, zeigt eine kürzlich veröffentlichte Analyse des Thinktanks FÖS im Auftrag des Ökoenergieversorgers Green Planet Energy (GPE).

Laut der Analyse bleiben in der Klimabilanz der Erdgaskraftwerke die sogenannten Vorkettenemissionen bei Gasförderung und -transport komplett außen vor. Zudem erlaube das KWSG den zeitweisen Einsatz von "blauem", also aus Erdgas hergestelltem Wasserstoff. Auch das verfälsche die Klimabilanz.

Problematisch sei weiter, dass die Fördergelder für die neuen Gaskraftwerke nicht gedeckelt sind. Aufgrund des kleinen Bieterkreises an Unternehmen und fehlender Gebotshöchstwerte sei sogar eine fossile "Überförderung" zu befürchten, warnt Carolin Dähling von Green Planet Energy.