Klimareporter°: Frau Rostek, das Ende April beschlossene Solarpaket gibt der Energiewende neue Triebkraft, sagt die Erneuerbaren-Branche, manche sehen sogar einen Booster für Ökoenergie. Sie dagegen verlangen jetzt ein Biomasse-Paket. Warum das?
Sandra Rostek: Mit dem Solarpaket werden, wie der Name ja bereits andeutet, hauptsächlich Anpassungen bei der Photovoltaik vorgenommen. Es gab zwar auch einzelne Verbesserungen für die Bioenergie, aber die bleiben Flickwerk.
Es fehlt ein grundlegendes Bekenntnis zur Bioenergie und eine entsprechende umfassende Überarbeitung des gesetzlichen Rahmens. Daher fordern wir, dass nach Photovoltaik und Windenergie nun auch steuerbare erneuerbare Energien wie eben Bioenergie in den Fokus genommen werden – zum Beispiel mit einem eigenen "Biomasse-Paket".
Was müsste denn in so ein Paket gepackt werden?
Dringend benötigen wir ab 2025 eine Erhöhung der Ausschreibungen für Biomasse-Anlagen auf jährlich 1.800 Megawatt. Zuletzt wurden hingegen nur 288 Megawatt ausgeschrieben.
Im Gegenzug könnte die geplante Förderung neuer fossiler Gaskraftwerke zum Ausgleich der fluktuierenden Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie entsprechend reduziert werden.
Außerdem muss wegen der Inflation und gestiegener Zinsen der Flexibilitätszuschlag für laufende Biogas- und Biomethan-Anlagen von derzeit in der Regel 65 Euro je Kilowatt auf mindestens 120 Euro erhöht werden. Das würde einem deutlichen Ausbau der flexiblen Stromerzeugung dienen. Derzeit werden erst etwa 2.200 Megawatt von den insgesamt 6.000 Megawatt Biogas-Stromerzeugung flexibel betrieben.
So eine Perspektive für den Weiterbetrieb würde, nebenbei gesagt, auch den mit Biogas betriebenen Wärmenetzen dabei helfen, die neuen Anforderungen der kommunalen Wärmeplanung zu erfüllen. Gerade im ländlichen Raum sind diese Anlagen häufig nahezu alternativlos.
Mit dem Biomasse-Paket muss es auch eine Rückbesinnung der Biomethan-Förderung auf die Kraft-Wärme-Kopplung geben. Diese Anlagen benötigen eine Volllaststundenzahl von mindestens 2.800, um für Stadtwerke wieder attraktiv zu sein.
Die Ampel sieht die Rolle von Biomethan im künftig klimaneutralen Stromsystem vor allem als Spitzenlastkraftwerke, sogenannte "Peaker". Dafür interessiert sich die Branche aber herzlich wenig, für die entsprechenden Biomethan-Ausschreibungen gab es bisher nicht eine einzige Bewerbung. Dagegen waren die Ausschreibungen für die EEG-Förderung von Biogas zuletzt dreifach überzeichnet. Warum verstehen sich hier die Branche und die Bundesregierung nicht?
Sandra Rostek
leitet seit 2015 den Verbände-Verbund "Hauptstadtbüro Bioenergie". Sie hat Politik- sowie Geistes- und Kommunikationswissenschaften studiert. Nach Stationen bei der Deutschen Energie-Agentur (Dena) leitet sie seit 2014 das Berliner Büro des Fachverbands Biogas und ist seit 2022 Politikchefin im Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE).
Diese "Peaker" sollen nur wenige Volllaststunden im Jahr laufen dürfen und keine Wärme auskoppeln. Deswegen gehen die Biomethan-Ausschreibungen am Markt vorbei. Es ist doch gerade die Stärke der biogenen Kraft-Wärme-Kopplung, dass sie neben Strom auch Wärme bereitstellen kann. Wir hatten von Anfang an prophezeit, dass diese "Peaker"-Ausschreibung ein Flop wird.
Bei den dreifach überzeichneten Ausschreibungen für Biogas und feste Biomasse geht es nicht um neue, sondern überwiegend um bestehende Anlagen. Diese bewerben sich um eine Anschlussvergütung im EEG nach dem Ende des üblichen 20‑jährigen Förderzeitraums.
Es ist offenkundig, dass das ausgeschriebene Volumen zu niedrig ist. Diejenigen Anlagen, die keinen Zuschlag haben, stehen dann vor dem Aus.
Offenbar reden wir und die Ampel-Koalition hier tatsächlich noch aneinander vorbei – ein weiteres Argument für ein Biomasse-Paket.
Die Biogasbranche könnte nach eigenen Angaben ihre Leistung von heute 6.000 Megawatt bis 2030 verdoppeln. Entsprechend flexibel betrieben, könnten diese 12.000 Megawatt auch viele der neuen Erdgaskraftwerke überflüssig machen, die die Bundesregierung als "Backup" im Stromsystem plant. Ist so eine Verdopplung angesichts der aktuellen Krise der Biogasbranche nicht sehr ehrgeizig?
Mit nur zwei kleinen Änderungen im EEG wären wir dazu voll auf Kurs: Das Ausschreibungsvolumen muss erhöht und der EEG-Zuschlag für flexible Leistung aus Biogas an die aktuelle wirtschaftliche Lage angepasst werden.
Dann hätten die Bestandsanlagen eine klare Perspektive und es könnte investiert werden. Noch ist die Verdopplung durchaus möglich. Und vor allem ist sie höchst sinnvoll. Statt umständlich neue fossile Großkraftwerke zu bauen, sollten wir doch erst einmal die bestehenden Erneuerbaren-Kraftwerke fit für die Zukunft machen. Das ist kostengünstiger und besser fürs Klima.
Ihren Ausbauplänen steht doch entgegen, dass die Ampel-Koalition die Nutzung von Energiepflanzen für Biogas bis 2030 stark reduzieren, wenn nicht sogar gänzlich beenden will. Wo soll die Biomasse für die 12.000 Megawatt herkommen?
Mit der Flexibilisierung werden die Biogasanlagen unter anderem mit zusätzlichen Gasspeichern und Blockheizanlagen ausgestattet. Die Erzeugung wird dann in die Zeitfenster verschoben, in denen kein Strom aus Wind oder Photovoltaik zur Verfügung steht. Dafür wird aber keine zusätzliche Biomasse gebraucht.
Bis 2030 sehen wir zudem noch große erschließbare Potenziale bei Rest- und Abfallstoffen sowie landwirtschaftlichen Nebenprodukte. So kann trotz des Ausbaus der Erzeugung der Einsatz von Energiepflanzen weiter reduziert werden.
In der Branche wird auch argumentiert, Deutschland importiere derzeit etwa 70 Prozent seiner Energieträger, vor allem fossile wie Öl, Gas und Steinkohle. Da sei es doch nur normal, wenn Deutschland künftig auch Biomasse importiere, um Ökoenergie zu erzeugen. Welche Rolle werden Biomasse-Importe künftig haben?
Wir sind – wie gesagt – der Meinung, dass es in Deutschland noch jede Menge ungenutztes Biomasse-Potenzial gibt, das wir zunächst einmal erschließen sollten.
Um eine steigende Nachfrage nach Biomasse zu bedienen, können Importe grundsätzlich ein Baustein sein. Was ökonomisch und ökologisch nachhaltig ist, muss dann je nach Herkunft und Anwendung – ob Strom, Wärme oder Kraftstoff – genau bewertet werden. Unterm Strich ist für uns eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft der Maßstab.
Gülle beispielsweise, die zu mehr als 90 Prozent aus Wasser besteht, lässt sich eher schlecht über weite Strecken transportieren. Altholz wird hingegen unabhängig vom Einsatzort in Kraftwerken europaweit gehandelt.
In Deutschland dienen 60 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche allein dazu, Futtermittel für Tiere anzubauen. Energetisch gesehen ist das ziemlich ineffizient. Eine reduzierte Tierhaltung käme nicht nur direkt dem Klimaschutz zugute – auf den frei werdenden Flächen könnte auch mehr Biomasse zur Erzeugung von Strom und Wärme wachsen. Was halten Sie davon?
Die Landwirtschaft ist im Umbruch. Auch die Flächenknappheit nimmt weiter zu wegen des Ausbaus der erneuerbaren Energien, aber auch der natürliche Klimaschutz benötigt Flächen. Aus der "Froschperspektive Biogas" kann ich aber einfach sagen: Unsere Branche arbeitet mit dem, was uns zur Verfügung gestellt wird.
Biogas gilt als klimaneutral, weil beim Verbrennen nur so viel CO2 frei wird, wie die Pflanze vorher aufgenommen hat. Tatsächlich aber entstehen durch den Einsatz von Dünger, den Ernteaufwand und durch Methanschlupf in den Anlagen zusätzliche Klimagase.
Laut einer Bilanz des Umweltbundesamtes vermied Biogas im Jahr 2022 brutto zwar rund 25 Millionen Tonnen CO2, setzte aber selbst auch rund zehn Millionen Tonnen frei. Real verbesserte Biogas also die deutsche CO2-Bilanz nur um rund 15 Millionen Tonnen. Muss der Klimaeffekt der Branche nicht besser werden?
Natürlich muss es immer der Anspruch sein, den bestmöglichen Klimaschutz zu erreichen. Die Branche ist hier auf einem guten Weg.
Zum einen spiegeln die genannten Zahlen auch Anlagen wider, die bald seit 20 Jahren in Betrieb sein werden und die noch anderen Anforderungen unterlagen, als sie heute gelten. Sowohl beim Emissionsschutz als auch beim Düngerecht hat die Politik in den letzten Jahren die Anforderungen an Biogasanlagen stark nach oben geschraubt.
Bewerben sich diese Anlagen nun um den Weiterbetrieb, nehmen sie zum anderen umfangreiche Investitionen vor und kommen auf den Stand der Technik.
Im Übrigen muss man das in den richtigen Kontext setzen: Wer würde denn alternativ gesicherte Leistung bereitstellen? Kohle? Erdgas? Da muss man sich auch ehrlich machen.