Über einer ebenen Wüstenlandschaft mit wenigen trockenen Pflanzen braut sich am dunklen Himmel ein Sturm zusammen.
Klimawandel: Im globalen Norden eine Krise, im globalen Süden eine Katastrophe. (Foto: Martin Vorel/​Libreshot)

Viele fragen sich gerade: Warum sind Menschen bereit, zivilen Ungehorsam zu leisten und die damit verbundenen Risiken in Kauf zu nehmen? Besonders Menschen ab Mitte 30. Auch Ältere, die über 50 Jahre alt sind.

Die Frage ist leicht zu beantworten. Menschen tun es, weil sie wissenschaftliche Erkenntnisse und Prognosen ernst nehmen. Und weil sie sehen: Die Regierung handelt nicht und die Wachstumslobby bestimmt die Diskurse.

Die Natur in Deutschland schwindet. Das zweite Waldsterben hat begonnen und Wasserressourcen gehen zur Neige. Das ist nur der Beginn. Was da auf uns zukommt, sehen wir, wenn wir um uns blicken.

Die Erderhitzung und die Zerstörung der Natur durch uns Menschen nehmen weiterhin in rasantem Tempo zu. Die Folgen werden immer schwerwiegender.

Eine aktuelle Studie des Institute for Economics and Peace (IEP) in Sydney zeigt eine erschreckende Prognose auf. In 30 Jahren könnten etwa eine Milliarde Menschen – eine unvorstellbar große Zahl – ihre Lebensgrundlagen verlieren. Sie werden, so wie Millionen Menschen bereits heute, vor Krieg, Hunger, Krankheit, Zerstörung und Tod fliehen müssen. Wenn sie es überhaupt können.

Verantwortlich dafür sind die Klimaerhitzung und das Schwinden der natürlichen Lebensräume, verursacht durch Menschen. Nicht durch die Menschheit an sich: Eine Minderheit der Menschen auf der Erde lebt in einem nie dagewesenen materiellen Wohlstand. Doch dieser hat einen hohen Preis, den zu zahlen der Großteil der Menschen gezwungen ist, die nicht daran teilhaben können.

Während vergleichsweise wenige, vor allem im globalen Norden, von Wohlstand umgeben sind, ist die große Mehrheit im globalen Süden immer wieder von Dürre, Nahrungsmittelknappheit, Wassermangel, Wetterextremen, Überschwemmungen, Krankheiten, Vertreibung, Unterdrückung und Ausbeutung betroffen. Menschen hungern, leiden und sterben – jeden Tag.

Ursache dafür ist die historisch gewachsene Klimaungerechtigkeit, gleichzeitig ist sie auch das Ergebnis, der Kreis schließt sich. Die Klimakatastrophe und die ökologische Zerstörung haben eine rassistische Vorgeschichte, die bis heute anhält.

Die Zerstörung der Natur ging und geht stets einher mit der Ausbeutung und Unterwerfung von Menschen. Damals hieß es "unsere Kolonien", heute heißt es Entwicklungszusammenarbeit oder Freihandel – und ist doch nur Neokolonialismus. Das müssen wir verstehen, denn darin liegt der Ursprung allen Übels. Rassismus ist keine Ausnahme, sie ist die Normalität.

Die Wissenschaft ernst zu nehmen ist kein Alarmismus

Wissenschaftler:innen warnen seit Langem und immer eindringlicher vor der Klimakrise. Doch gehört werden sie kaum. Noch immer halten es Medienschaffende für angemessen, Klimawandelleugner:innen eine Bühne zu bieten, wissenschaftliche Stimmen als alarmistisch hinzustellen oder die Kritik von Klimaaktivistinnen und Menschenrechtlern selbst als Meinungsmache abzuwerten.

Noch immer werden die Menschen von großen Teilen der Politik mit Phrasen, taktischen Spielchen und leeren Versprechungen hingehalten. Und noch immer schicken Konzerne ihre Lobbyist:innen in einen perfiden Kampf gegen gesellschaftliche Interessen, streben um jeden Preis nach Profit und nehmen die Zerstörung der Natur ungeachtet der Warnungen aus den Wissenschaften in Kauf.

Tino Pfaff
Foto: XR

Tino Pfaff

Der Sozial­arbeiter und Sozial­pädagoge ist Presse­sprecher von Extinction Rebellion Deutsch­land. Zurzeit studiert er Gesellschafts­theorie an der Universität Jena. Unter anderem ist er Mitglied von Amnesty International und dem Flüchtlingsrat Thüringen.

Der drohende sozial-ökologische Kollaps ist keine Meinungssache. Er ist bitterer Ernst und betrifft uns alle, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.

Der wissenschaftliche Konsens zur menschengemachten Klimaerhitzung ist schlicht eine Tatsache. Das Erschreckende ist, dass die extremsten Prognosen sich zunehmend bewahrheiten. Die wissenschaftlichen Vorhersagen, auf die Umwelt-, Klima- und Menschenrechtsaktivist:innen verweisen, werden vor allem von Liberalen und Konservativen bis hin zu Ultrarechten als Alarmismus abgetan. Doch auch sie können die Realität nicht verändern.

Im vergangenen Jahr hat sich hinsichtlich des grönländischen Permafrostbodens eine dieser Extremprognosen bewahrheitet: Im Sommer 2019 wurde klar, dass das "ewige Eis" 70 Jahre früher auftaut und der Beginn der Heißzeit in dieser Region ein Dreivierteljahrhundert früher eintritt als in optimistischeren Prognosen angenommen.

Mittlerweile liegt die Vermutung nahe: Der entsprechende Kipppunkt könnte bereits überschritten sein. Das Eis taut immer schneller.

Doch wachgerüttelt hat dies die deutsche Regierung noch immer nicht. Schlimmer noch, sie gibt sich der ideologischen Verleugnung der Klima- und Ökokatastrophe hin. Statt konsequent den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechend zu handeln, beweist sie weiterhin ihre Abhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen.

Milliarden werden bedingungslos an Konzerne verschenkt, deren Geschäftsmodelle längst überholt sind. Gesellschaftliche Kompromisse werden in Hinterzimmern aufgekündigt, um die Mär vom ewigen Wachstum auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen um jeden Preis aufrechterhalten.

Dannenröder Forst: Symbol für fehlgeleitete Politik

Angesichts dieser Zusammenschau wirkt es sehr verstörend, wenn Entscheidungsbefugte im Jahr 2020 die Vernichtung von intakter Natur veranlassen. Neben der Klimaerhitzung stellt die direkte Naturzerstörung die zweite große Gefahr für unsere Lebensgrundlagen dar.

Symbolisch für diese konfuse Politik steht gerade der Dannenröder Wald in Mittelhessen. Eine Regierung, die die Wissenschaften ernst nimmt, rodet keine intakte Natur für den Bau einer Autobahn. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

Wir stehen tatsächlich an einem Scheideweg. Machen wir weiter in dem Glauben, wir könnten die Natur zerstören, ohne dass dies weitreichende Folgen für das Überleben der Zivilisation und der Arten auf dem Planeten hat, dann wird es nicht gut für die menschliche Zivilisation ausgehen. Es ist Zeit, dass wir uns weiterentwickeln und verstehen, was wir anrichten.

Warum ziehen in diesen Tagen Menschen in den Dannenröder Wald und lassen ihr "normales" Leben hinter sich? Auf diese Frage bekam ich von einer mutigen Bürgerin eine sehr eindringliche Antwort, die keiner weiteren Kommentierung bedarf:

"Ich habe mich, als ich aus Neugier in den Dannenröder Wald kam, in den Ort verliebt. Dass dieser gesunde Mischwald zerstört werden soll, ist für mich Symbol einer Gesellschaft, die sich den eigenen Boden unter den Füßen weggräbt.

Es ist wichtig, diesen Wald zu schützen, weil wir im Angesicht der drastischen Folgen der Klimakrise und der zerstörerischen Auswüchse des Kapitalismus anfangen müssen, neue Wege einzuschlagen, anstatt an alten Konzepten festzuhalten.

Der Kampf bedeutet für mich, dass ich mich konkret für eine Lösung einsetze. In der Besetzung protestieren wir nicht nur gegen die unnötige Autobahn, sondern leben auch eine neue Form der Gesellschaft. Zusammen streben wir ein System an, indem wir auch in Zukunft gut leben können.

Die Verantwortlichen sollen Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen. Ich übernehme durch meinen Aktivismus konkret Verantwortung für uns alle. Sie sollten sich daran ein Beispiel nehmen, anstatt unsere Form des Protestes zu kritisieren."