Kohlekraftwerk mit rauchenden Schornsteinen und dampfenden Kühltürmen vor orangefarbenem Abendhimmel.
Kohlekraftwerk: Die steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre lässt sich sehr genau messen, die Auswirkungen sind mit Unsicherheiten verbunden. (Foto: Martin Lisner/​Shutterstock)

Seit Beginn der Industrialisierung ist die globale Durchschnittstemperatur bereits um mehr als ein Grad Celsius gestiegen. Die Folgen zeigen sich weltweit. Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen, Waldbrände nehmen zu, der Meeresspiegel steigt, Schäden und Verluste steigen.

Nur: Wie geht es weiter? Was passiert, wenn der Mensch noch mehr CO2 in die Atmosphäre bringt? Wie sensibel reagiert das Erdklima darauf? Wie gefährlich wird es?

Die Frage beschäftigt die Klimawissenschaft seit Langem. Von der Antwort hängt ab, wie schnell und wie drastisch der CO2-Ausstoß sinken muss, um eine bedrohliche Überhitzung des Planeten noch zu verhindern. Doch die Prognosen weisen bislang einen ganz erheblichen Rest an Ungewissheit auf. Das macht die Klimasensitivität – so der Fachausdruck – zur großen Unbekannten der Klimaforschung.

Um zu ermitteln, wie empfindlich das Klima auf einen steigenden CO2-Gehalt reagiert, berechnen die Forschenden mit ausgefeilten Computermodellen, welcher Temperaturanstieg zu erwarten ist, wenn sich die CO2-Konzentration gegenüber vorindustriellem Niveau verdoppelt. Im Grunde handelt es sich um ein Gedankenexperiment, um eine Kennzahl zur künftigen Klimaentwicklung zu bestimmen, mit der man rechnen und planen kann.

Im 18. Jahrhundert kamen 280 CO2-Moleküle auf eine Million "Luftteilchen", wissenschaftlich 280 ppm. Heute sind es schon über 415 ppm. Im Mai wurde – trotz vorübergehend rückläufiger Emissionen wegen des Corona-Lockdowns – ein neuer Tageshöchstwert von 418 ppm erreicht.

Jedes Jahr kommen derzeit 2,5 ppm dazu. Da sich der Anstieg beschleunigt, rechnen Forscher:innen damit, dass die Verdopplung auf 560 ppm bereits in der zweiten Jahrhunderthälfte erreicht sein wird – es sei denn, es würden massive Anstrengungen unternommen, um die Emissionen zu reduzieren.

Nicht nur Kohlendioxid spielt eine Rolle

Bisherige Berechnungen, was dies für das Klima bedeutet, liegen seit 40 Jahren mehr oder weniger unverändert zwischen 1,5 und 4,5 Grad. 1979 hatte ein US-Forschungsteam um den Meteorologen Jule G. Charney in einer wegweisenden Studie zur Klimasensitivität dieselbe Bandbreite an Unsicherheit ermittelt.

Auch der jüngste Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC von 2013 bestätigt die Werte des "Charney-Reports". Die Wahrscheinlichkeit, dass die Klimasensitivität in dieser Spanne liegt, beziffert der IPCC auf 66 Prozent ("likely"). Die beste Schätzung für einen Mittelwert ("best guess") ergibt rund drei Grad.

Der Grund für die große Unsicherheit: Nicht nur CO2 spielt eine Rolle. Hier ist die Berechnung einfach. Eine Verdopplung hätte eine erwärmende Wirkung von gut einem Grad zur Folge.

Deutlich schwieriger zu bestimmen ist die Wirkung von Rückkopplungseffekten, die ebenso berücksichtigt werden müssen, etwa Wasserdampf, Wolken, der Albedo-Effekt oder auch die Wärmeaufnahme durch die Ozeane. Viele diese Variablen sind noch nicht vollständig verstanden.

Insofern ist es durchaus eine Sensation, was ein 25-köpfiges internationales Team um den Klimaforscher Steven Sherwood von der University of New South Wales in Sydney nun vorgelegt hat. Die Studie zur Klimasensitivität, an der die Wissenschaftler:innen vier Jahre lang gearbeitet haben und die mehrere Berechnungsmethoden miteinander kombiniert, grenzt die Bandbreite an Unsicherheit erstmals ganz erheblich ein.

Laut dem über 160-seitigen Papier, das in der Fachzeitschrift Reviews of Geophysics veröffentlicht wurde, liegt die Klimasensitivität mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln zwischen 2,6 und 3,9 Grad.

Die Ergebnisse sind sowohl eine gute als auch eine schlechte Nachricht. "Der schlimmste Fall ist unwahrscheinlicher geworden", sagt Reto Knutti, Schweizer Klimatologe von der ETH Zürich und Mitautor der Studie, gegenüber Klimareporter°.

Die neuen Berechnungen bestätigen weder den bisherigen höchsten Schätzwert von 4,5 Grad noch die sehr viel höheren Schätzungen, die jüngst neue Computermodelle ergeben hatten. Diese neuen Modelle – die nicht in die Studie eingeflossen sind und noch vom IPCC überprüft werden müssen – schätzen die Klimasensitivität auf 2,8 bis 5,8 Grad. Sollten diese Schätzungen zutreffen, wäre dies ein bedrohlicher Trend.

Bestmöglicher Fall ausgeschlossen

Allerdings ist auch der niedrige Wert von 1,5 Grad vom Tisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Klimasensitivität unter zwei Grad liegt, sieht die Studie bei weniger als fünf Prozent.

"Wir dürfen nicht mehr auf den bestmöglichen Fall einer vernachlässigbaren Klimaänderung hoffen", sagt Knutti. "Das heißt, wir haben noch eine Chance, die Pariser Klimaziele zu erreichen, aber nur wenn wir weltweit das Ziel von netto null Treibhausgasemissionen vor 2050 erreichen."

Aus Sicht des Klimaforschers Hartmut Graßl, der nicht an der Studie beteiligt war, liefert die Studie eine erwartete Einengung der Klimasensitivität.

"Die recht niedrigen Erwärmungsraten bei einer Verdoppelung der Kohlendioxidkonzentration harmonierten schon lange nicht mehr mit den weltweit zu beobachtenden Folgen der laufenden mittleren Erwärmung mit den zugehörigen Klimaänderungen, etwa bei den Niederschlagsextremen", sagt Graßl gegenüber Klimareporter°.

Die Einhaltung des Paris-Abkommens werde dadurch etwas erleichtert. "Die Gesellschaft hat nun verstärkte Argumente für eine stringentere Klimapolitik", sagt Graßl. "Für das Nichtstun Plädierende haben schlechtere Karten, Klimapolitik ist noch etwas dringender."

Die Studie wird in den nächsten Sachstandsbericht des IPCC einfließen, der im kommenden Jahr veröffentlicht wird.

Redaktioneller Hinweis: Hartmut Graßl ist Mitglied des Herausgeberrates von Klimareporter°.

Der Beitrag wurde am 29. Juli ergänzt.

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