Grafik: Katja Hommel nach Felix Müller/​Wikimedia Commons; Quelle/​Daten: Johan Rockström et al. 2009

Den Klimawandel zu stoppen ist die wohl komplexeste Herausforderung in der Geschichte der Menschheit, aber nicht die drängendste. Letztere muss die Abschaffung von Hunger und extremer Armut sein. Richtigerweise sind dies auch die beiden ersten Ziele in der Liste der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, der SDGs.

Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung von heute 7,2 Milliarden Menschen auf 9,8 Milliarden im Jahr 2050 und schließlich 11,2 Milliarden am Ende des Jahrhunderts. Damit für alle diese Menschen die SDGs erreicht werden können, muss auch die Weltwirtschaft weiter wachsen, nicht zuletzt die Nahrungsmittelproduktion. Damit wird fast zwangsläufig auch der Energie- und Ressourcenbedarf weiter zunehmen.

Vor diesem Hintergrund trifft es sich schlecht, dass die Klimakrise nicht das einzige globale Umweltproblem ist. Die Menschheit sprengt bereits heute in zwei weiteren Bereichen die "ökologischen Belastungsgrenzen" des Planeten: beim Verlust an Tier- und Pflanzenarten und beim Stickstoffkreislauf.

Beide Probleme sind vor allem eine Folge der Landwirtschaft respektive der Bodennutzung. Viele Tier- und Pflanzenarten haben kaum noch Rückzugsgebiete und durch den Einsatz von Stickstoffdünger auf Feldern sind selbst die Weltmeere mittlerweile überdüngt. Mit der Zunahme der Weltbevölkerung werden sich diese Probleme weiter verschärfen, wenn die Menschheit nicht entschieden gegensteuert.

Wie stark sie gegensteuern muss, erklärt der US-Evolutions- und Soziobiologe Edward Wilson in seinem Buch "Die Hälfte der Erde" aus dem Jahr 2016. Wilson fordert darin, dass die halbe Erde unter Schutz gestellt wird. "Wir sind verletzlich und wenn wir die aktuellen Trends bei der Nutzung der Erde fortsetzen, könnte es zu einer Katastrophe kommen", sagte Wilson dem US-Magazin National Geographic.

Doch zurück zum Klima. "Rockströms CO2-Gesetz" zeigt, dass wir der Atmosphäre CO2 entziehen müssen. Das größte Potenzial sehen Forscher hier zurzeit in BECCS. Die Abkürzung steht für "Bioenergy with Carbon Capture and Storage", also "Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung".

Praktisch soll das so funktionieren: Aus Pflanzenresten oder Energiepflanzen wird Biogas hergestellt. Dieses wird in einem Gaskraftwerk zur Stromerzeugung verbrannt. Das dabei entstehende CO2 wird abgesondert und schließlich in geeigneten Gesteinsformationen unter der Erde verpresst. Damit hätte BECCS eine negative CO2-Bilanz. Der ursprünglich in den Pflanzen enthaltene Kohlenstoff wäre der Atmosphäre "dauerhaft" entzogen.

Um das in großem Stil machen zu können, käme man um Energiepflanzen – und seien es Bäume – nicht herum. Doch auch die brauchen Platz. Damit besteht bei der Bodennutzung eine dreifache Nutzungskonkurrenz aus Nahrungsmittelproduktion, Artenschutzgebieten und Energiepflanzen.

Oder anders: Wir müssen den Planeten gleichzeitig menschen-, arten- und klimagerecht nutzen. Noch hat dieser Dreiklang aber weder ins öffentliche Bewusstsein noch in die Klimapolitik Eingang gefunden.

Die Menschheit als Teil des Erdsystems

Die Klimapolitik befindet sich vielmehr noch in einer ersten Phase, wo es darum geht, die Emissionen aus fossilen Energieträgern zu reduzieren. Um die Klimakrise zu stoppen, reichen Grünstrom und Elektroautos aber nicht aus. Mittelfristig wird daher eine zweite Phase erforderlich sein, in der es vor allem um die menschen-, arten- und klimagerechte Optimierung der globalen Bodennutzung geht.

Wie wichtig diese zweite Phase ist, zeigt eine Grafik von Johan Rockström, der das Konzept der "ökologischen Belastungsgrenzen" (englisch "planetary boundaries") zusammen mit anderen Erdsystem-Forschern im Jahr 2009 vorgestellt hat. Das Klima ist da nur ein Problem unter mehreren.

Die Belastungsgrenzen zeigen, wie stark der Mensch bereits in die planetaren Stoffkreisläufe eingreift und welchen Einfluss er auf das filigrane Netzwerk allen Lebens auf der Erde hat. Daher wurde auf dem Internationalen Geologischen Kongress im Jahr 2016 ein Beschluss über eine neue geologische Epoche gefasst. Viele Geologen sind überzeugt, dass wir nicht länger im Holozän mit seinem stabilen Klima leben, sondern im "Anthropozän" – dem Zeitalter des Menschen.

Für die Geologen ist der Begriff rein deskriptiv. Er beschreibt, dass der Mensch zum entscheidenden geologischen Faktor geworden ist. Der Begriff hat aber auch eine verantwortungsethische Komponente. Für den deutschen Philosophen Max Weber bedeutete dies, "dass man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat". Oder anders: Im Anthropozän hat der Mensch die Verantwortung für das Wohlergehen allen Lebens und das Funktionieren der planetaren Stoffkreisläufe übernommen.

Für die Herausgeber des Wissenschaftsmagazins Anthropocene Review hat dies weitreichende Folgen: "Das führt dazu, dass der Gegensatz zwischen Mensch und Natur aufgehoben wird." Um seiner Verantwortung gerecht zu werden, darf sich der Mensch also nicht länger im Gegensatz zur "Natur" definieren, die es zu unterjochen gilt.

Er muss sich vielmehr als Teil eines "Erdsystems" verstehen, als Teil eines kollektiven Ganzen, eines Meta-Organismus. Dann wird klar, dass die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse nur möglich ist, wenn auch den Bedürfnissen aller anderen Teile dieses Meta-Organismus Sorge getragen wird.

Für den Kampf gegen den Klimawandel bedeutet das konkret: Kurzfristig mögen technische, wirtschaftliche und politische Fragen im Vordergrund stehen. Langfristig wird aber eine philosophische Frage entscheidend sein: Wer sind wir?

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