Zu den Folgen des Klimawandels und der dadurch bedingten Migration wird schon seit den 1970er Jahren geforscht. In den 1980ern kam dabei erstmalig der Begriff des "Umweltflüchtlings" auf. Der Weltklimarat IPCC schätzte 1990 die zu erwartende Zahl von Klimaflüchtlingen auf 150 Millionen bis zum Jahr 2050.
Nach diesem ersten Versuch, Migration und Klimawandel miteinander verbunden zu betrachten, wurden die Vernetzungen zwischen beiden Ereignissen lange missachtet und sind erst kürzlich wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) definiert Umweltflüchtlinge als "Personen oder Personengruppen, die aufgrund plötzlicher oder fortschreitender deutlicher Veränderungen der ihr Leben beeinflussenden Umwelt- und Lebensbedingungen gezwungen sind oder sich veranlasst sehen, ihre Heimat zu verlassen, sei es zeitweise oder permanent, und die sich innerhalb ihres Heimatlandes oder über dessen Grenzen hinaus bewegen".
Klimaflüchtlinge sind meist Binnenvertriebene
Nach den Schätzungen des International Displacement Monitoring Centre (IDMC) sind heute etwa 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Dabei sind viele Herkunftsregionen sowohl von Gewaltkonflikten als auch von Umwelt- und Klimakatastrophen betroffen.
17,5 Millionen Menschen mussten 2014 aufgrund von Extremwetterereignissen wie Fluten oder Stürmen ihre Heimat verlassen. Auch wenn es aufgrund der Komplexität von Migrationsprozessen und ungenauer Datenlage statistisch schwer fassbar ist, gehört der Klimawandel zu den wesentlichen Ursachen, die Menschen zu Flüchtlingen machen.
Bei den meisten Klimaflüchtlingen handelt es sich um Binnenvertriebene, die innerhalb ihres Landes fliehen und keine internationalen Grenzen überschreiten. Im Sinne des Völkerrechts sind die durch Klimawandel Vertriebenen deshalb keine Flüchtlinge und haben somit kein Recht auf internationalen Schutz.
Zur Person
Malte Hentschke arbeitet bei der Klima-Allianz Deutschland zu Effizienz, europäischer Klima- und Energiepolitik und klimabedingter Migration. (Foto: Klima-Allianz)
Hinzu kommt, dass die Genfer Flüchtlingskonvention (Klima-)Flüchtlinge nur dann anerkennt, wenn eine Klimawandelfolge zu einem gewaltsamen Konflikt führt.
Die Klimawandelfolgen können sich ganz verschieden auswirken. Sie gefährden Lebensgrundlagen, verschärfen (Ressourcen-)Konflikte und machen die Heimat von Millionen von Menschen zeitweise oder dauerhaft unbewohnbar.
Besonders betroffen sind die Menschen, die am wenigsten für den Klimawandel verantwortlich sind: die Ärmsten aus den ärmsten Staaten. Sie können sich viel schlechter an den Klimawandel anpassen, da ihnen die Ressourcen dazu fehlen. Sie sind schlichtweg zu arm.
Dagegen spüren die industrialisierten Länder mit ihren hohen CO2-Emissionen bislang verhältnismäßig wenig von den Folgen der globalen Erwärmung. Sie sind finanziell gut ausgestattet und können sich leichter anpassen.
Klimawandel als Ursache für Migration und Flucht
Die Klimafolgen, die Menschen in die Migration treiben, unterscheiden sich nach dem Auslöser.
Humanitäre Katastrophen wie Stürme, Starkregen, Dürren und Überschwemmungen zerstören die Lebensgrundlagen der Betroffenen. Trinkwasserverschmutzung, Ernteausfälle und Bodenverlust sowie die Zerstörung der Infrastruktur sind die Folgen. Sie zwingen die Menschen zur unmittelbaren Flucht. Eine Rückkehr in eine betroffene Region ist oft nicht möglich.
Ein anderer Grund sind ausbleibende Niederschläge, abnehmende Schmelzflüsse und das Austrocknen von regenarmen Gebieten. All dies hat eine zunehmende Wasserknappheit zur Folge. In 168 Ländern gibt es heute großflächige Wüstengebiete. Zwei Drittel Afrikas sind von Trockenheit und Dürren betroffen.
2011 flohen fast 300.000 Menschen vor Dürre und Hunger aus Somalia. Die Trockenheit schränkte die Wasser- und Nahrungsverfügbarkeit dramatisch ein und trieb die Lebensmittelpreise in die Höhe. Insgesamt waren 13 Millionen am Horn von Afrika direkt von der Dürre betroffen, bis heute leben Hunderttausende in notdürftigen Flüchtlingsunterkünften.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass momentan über zehn Millionen Menschen in Äthiopien unter Ernährungsunsicherheit leiden. Dort hat die Trockenheit im vergangenen Jahr durch die Folgen des Wetterphänomens El Niño stark zugenommen.
Der vom IPCC prognostizierte Meeresspiegelanstieg zwischen einem halben und einem Meter bis zum Jahr 2100 – einzelne Studien kommen auf viel höhere Werte – ist für hunderte Millionen Menschen in Küstengebieten und auf Inseln eine existenzielle Bedrohung.
Betroffen sind zum Beispiel die Hälfte von Bangladesch sowie die Pazifikinseln Kiribati und Tuvalu. Ein Meeresspiegelanstieg von einem Meter würde einen endgültigen Landverlust bedeuten.
Der Verlust von Ökosystemen und Biodiversität gefährdet die Ernährungssicherheit und damit die Lebensgrundlage vieler Menschen. Das trifft vor allem dort zu, wo Einkommensquellen unmittelbar von intakten Ökosystemen abhängen.
Ein Beispiel sind die Inuit in der Arktis. Dort schreitet der Klimawandel mit hohem Tempo voran und die Temperaturen erhöhen sich doppelt so stark wie im weltweiten Durchschnitt. So schmelzen die polaren Eisschilde und Gletscher immer schneller. Die traditionelle Lebensweise der Inuit und ihr soziales Gefüge sind durch die Veränderungen akut bedroht.
Letztendlich wirken sich all diese Faktoren auf die Gesundheit der Betroffenen aus. Weniger Wasser und steigende Temperaturen begünstigen die Ausbreitung von Keimen und Krankheitserregern beziehungsweise deren Überträgern. Klimabedingte Mangelernährung erhöht die Anfälligkeit für Krankheiten.
Anpassung vor Ort als Lösung
Migration wird also stets durch mehrere Faktoren beeinflusst. Perspektivlosigkeit, Armut, politische Konflikte oder soziale Ausgrenzung werden dabei durch den Klimawandel verschärft.
Auch wenn Prognosen zum Ausmaß klimabedingter Migration schwierig sind, bestätigt eine kontinuierlich wachsende Zahl von Länderstudien, dass die Folgen des Klimawandels im Hinblick auf Migrations- und Fluchtbewegungen bereits heute dramatisch sind. So werden immer mehr Menschen zu Flucht, Migration und Umsiedlung gezwungen, weil die Lebensgrundlagen vor Ort nicht mehr gesichert sind und somit ein Überleben unmöglich wird.
"Ein Drittel Bangladeschs wird am Ende dieses Jahrhunderts unter Wasser stehen. Die Malediven und etliche Inselstaaten werden verschwinden: unser Atlantis des 21. Jahrhunderts."
Joseph Stiglitz, Wirtschaftsnobelpreisträger
Der Blick auf die Flüchtenden verhindert allerdings oft, den Fokus auf die Gruppe der Verletzlichsten und Schutzbedürftigsten zu richten. Der Klimawandel wird die ohnehin prekäre Lage der Armen verschlimmern, aber er macht sie nicht notwendigerweise zu Flüchtenden.
Denn Migration ist teuer, aber die Folgen der Umweltveränderungen nehmen den Betroffenen ja gerade die notwendigen Ressourcen. Deshalb werden Millionen Menschen gar nicht in der Lage sein, von Orten abzuwandern, an denen sie den Umweltveränderungen so gut wie schutzlos ausgesetzt sind.
Mehr Konsequenz beim Klimaschutz und mehr Unterstützung bei der lokalen Anpassung an den Klimawandel sind nötig, damit weniger Menschen zu Migration und Flucht gedrängt werden. Im Vordergrund muss dabei stehen, die Klimawandelfolgen so gut es geht zu vermeiden und abzumildern. Wo sie dennoch auftreten, muss man sie möglichst begrenzen, die Betroffenen bei der Anpassung unterstützen und entsprechende Mittel und Ressourcen zur Verfügung stellen.
Umdenken in der Politik
Der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration wird mittlerweile auch in der Politik erkannt. Im Jahr 2012 riefen Norwegen und die Schweiz die Nansen-Initiative ins Leben, in der sich mehrere Staaten über "klimabedingte und grenzüberschreitende Migration" austauschen. Ergebnis dieses Prozesses ist eine sogenannte Schutzagenda, die Rahmenprinzipien und gute Beispiele für den Umgang der Staaten mit klimawandelbedingter Migration enthält.
Auch bei den UN-Klimaverhandlungen wird das Thema in den Blick genommen. Seit der Klimakonferenz 2010 in Cancún ist offiziell anerkannt, dass Klimawandel zu Migration führen kann. Drei Jahre später wurde bei den Verhandlungen in der polnischen Hauptstadt der "Warschau-Mechanismus" beschlossen, um den Umgang mit klimabedingten Verlusten und Schäden der betroffenen Staaten zu regeln.
Darüber wurde bei der letzten Konferenz in Paris noch einmal intensiv diskutiert, was im neuen Klimaabkommen seinen Niederschlag gefunden hat.
Die bisher geplanten oder zugesagten Klimaschutzanstrengungen der Staaten – einschließlich Deutschlands – reichen jedoch keinesfalls aus, um den Klimawandel und seine Folgen zu verhindern. Deshalb müssen die Industriestaaten dringend Maßnahmen ergreifen, die die Rechte von Klimaflüchtlingen stärken und ihnen eine Lebensperspektive eröffnen.
Mitarbeit: Léa Georges