Medienleute, die sich mit Klima und Energie beschäftigen, erfreuen sich derzeit der besonderen Aufmerksamkeit des Bundeswirtschaftsministers.
Zum einen wegen des EEG 2021, dessen Entwurf Anfang September recht überraschend aus dem Hause Altmaier ans Bundeskanzleramt ging – und auf dem Weg fleißig geleakt wurde. Warum die Reform der Ökostromförderung die Energiewende retten soll, ist für die Öffentlichkeit doch recht erklärungsbedürftig.
Zum anderen zauberte Peter Altmaier – und das war nun wirklich ein Coup – einen 20-Punkte-Plan für eine "Klima- und Wirtschafts-Charta" aus seinem Berliner Schreibtisch, und das des Nachts, wie verschiedentlich kolportiert wird.
Bei beiden Papieren möchte der CDU-Minister die Deutungshoheit behalten und betätigt sich als persönlicher Erklärer, wirbt geradezu geduldig um das Verständnis der Medien, entgegen früheren Gewohnheiten.
Der Erfolg ist überschaubar. Bislang gewährte ihm wohl nur das Nachrichtenmagazin Der Spiegel ein freundliches Interview, in dem der Minister über seine 20 Punkte ausführlich referieren konnte.
In maßgeblichen politischen Gremien dagegen – wie der Bundestagsfraktion von CDU und CSU – konnte Altmaier nach allem, was bekannt ist, mit seinem Klima-Konsens-Papier nicht reüssieren.
Schlimmer noch: Bei der Bundestagsdebatte am Donnerstag über den Klimaschutzbericht 2019 schwiegen die Redner der Koalition eisern zu Altmaiers Plan. Nur die Linke (kritisierend) und die FDP (zustimmend) brachten die Volte des Wirtschaftsministers zur Sprache.
Der ganz große Konsens
Linken-Fraktionsvizin Gesine Lötzsch bemängelte, die 20 Punkte seien "exakt nach Verabschiedung der wichtigsten Gesetze zu diesem Thema, nämlich des Klimaschutzgesetzes und des Kohleausstiegsgesetzes" gekommen. Erst habe Altmaier also seine "verkorkste" Klimapolitik in Beton gegossen und jetzt versuche er, sich ein "grünes Mäntelchen" umzuhängen.
Aus Sicht der Linken enthält des Ministers Plan auch sinnvolle Vorschläge, etwa den, jedes Jahr einen festen Anteil des Bruttoinlandsprodukts für Klimaschutz und Wirtschaftsförderung bereitzustellen. "Das ist erst mal keine schlechte Idee", sagte Lötzsch. Die Frage sei nur: Was heißt das konkret?
Ja, wie hoch soll der Anteil sein? Das interessierte auch die vom Minister umgarnten Medien, aber auch die bekamen bisher keine Zahl zu hören.
Klar, das wäre präjudizierend. Altmaier will ja den ganz großen Konsens und noch mit allen relevanten gesellschaftlichen Kräften reden: der Klimabewegung, den Gewerkschaften und, nicht zu vergessen für einen Unionspolitiker, den Kirchen.
Vielleicht spricht Altmaier zuerst mit den Freien Demokraten. Als einziger Redner lobte Lukas Köhler von der FDP-Fraktion am Donnerstag den Wirtschaftsminister – für dessen marktwirtschaftlichen Ansatz in den 20 Punkten.
Der Umweltethiker Köhler, der als klimapolitischer Sprecher der Fraktion fungiert, schlug auch gleich vor, die LULUCF-Emissionen, die Treibhausgase aus Landnutzungsänderungen also, in den auch von Altmaier so gelobten Emissionshandel zu integrieren.
Handeln mit Treibhausgasen – allüberall
Der FDP-Politiker denkt hier vor allem daran, die Unternehmen für Klimamaßnahmen – oder was diese dafür halten – mit der Zuteilung handelbarer Emissionszertifikate zu belohnen. "Da müssen natürlich alle Emissionen, aber auch alle Reduktionen von Emissionen berücksichtigt sein", forderte Köhler im Parlament.
Wie seinen 20 Punkten zu entnehmen ist, schwebt auch Altmaier die große marktwirtschaftliche Lösung des Klimaproblems vor. Im Prinzip soll dazu praktisch jedes menschengemachte CO2-Molekül irgendwie handelbar gemacht werden. Besser noch, CO2 wird zu einem Wertstoff erklärt.
Eine Firma will klimaneutral zu werden? Kein Problem, sie engagiert eine andere Firma, die CO2-Reduktionsprojekte irgendwo in der Welt durchführt und das so gewonnene Emissionsbudget in Form von Zertifikaten an die erstere Firma verkauft.
Was heute schon zwischen Ländern läuft – der Handel mit heißer Luft – soll marktwirtschaftlich allüberall verankert werden. Dass das dem Klimaschutz nur begrenzt helfen und jede Menge Greenwashing erzeugen wird, ist heute schon klar.
Aber gerade die energieintensiven Industrien brauchen langsam Lösungen, wie sie mit überschaubaren Kosten grün werden können. Mit denen hat Altmaier, bevor er mit seinen 20 Punkten aus dem Haus kam, ausführlich auf seiner jüngsten Branchentour gesprochen.
Kohlekraftwerke erzeugen nur simplen Strom (und ein bisschen Wärme). Da gibt es die Erneuerbaren als Alternative. Bei Stahl, Zement und Chemie sieht das anders aus. Für Klimaneutralität genügt eine Umstellung auf grüne Brennstoffe nicht. Das macht der Industrie Sorgen.
Bewerbung für die nächste Regierung?
Altmaiers 20 Punkte lesen sich denn auch wie eine von der Wirtschaft diktierte Gebrauchsanleitung für die Politik: Wer Klimaschutz will, muss uns Fördergelder geben, uns bei den Steuern entlasten und darf auf keinen Fall die Sozialkosten erhöhen.
Dass Altmaier solche Forderungen in den Vordergrund rückt, ist nicht verwerflich – das gehört für so einen Ressortchef zum Amtsverständnis. Wozu er sich aber darüber hinaus als großer Konsensstifter beim Klima profilieren will, konnte er bislang nicht schlüssig erklären.
Ihm müsste doch klar sein, dass seine klimapolitische Glaubwürdigkeit nahe null liegt – als Erfinder und unbeirrter Verteidiger der Strompreisbremse, als unablässiger Propagandist des gescheiterten Ausschreibungsregimes bei den Erneuerbaren und als Verkünder der von ihm verbreiteten, aber nie bewiesenen Zahl, die Energiewende werde eine Billion Euro kosten.
In diesen Punkten räumt Altmaier übrigens bisher nicht ein, Fehler gemacht zu haben, oder korrigiert sich.
Altmaiers Klimarhetorik wirkt so, als würde Angela Merkel plötzlich einen queerfeministischen Runden Tisch initiieren wollen. Im politischen Berlin rätselt man deswegen noch: Ist die plötzlich entflammte Zuwendung des Ministers zum Klimaschutz eine Bewerbung für die neue hellgrüne Regierung nach der Bundestagswahl?
Oder ist das Altmaiers letzter Coup, weil jetzt schon klar ist, dass für ihn nach der Bundestagswahl kein Platz mehr im Kabinett sein wird?