Bemaltes Holzschild im Dannenröder Wald.
Im Dannenröder Forst: "Bergmolche leben hier – besonders geschützte Art – bitte nicht stören". (Foto: Kathrin Henneberger)

Es ist schon dunkle Nacht, als ich den Dannenröder Forst betrete. Freundliche Menschen holen uns am Waldrand ab und führen uns über breite Wege und dann über kleine Pfade, immer weiter hinein in den Wald.

Mein Gästebett im "Danni" – so wie der Hambacher Forst wird auch der Dannenröder liebevoll abgekürzt – liegt in 18 Metern Höhe. Der Schein meiner Stirnlampe erfasst immer wieder den dicken Stamm der Stieleiche, als ich am Seil nach oben klettere. Sie muss über 200, wenn nicht gar 250 Jahre alt sein.

Wo ihre Krone ein wenig Licht durchlässt, wachsen junge Hainbuchen nach oben, die Äste streifen mich, ich halte kurz inne, um ihre gezackten Blattränder zu betrachten, und muss schmunzeln. Stieleichen und Hainbuchen. Im "Danni" wachsen dieselben Bäume wie im "Hambi".

Als ich die Hainbuchen unter mir lasse, sehe ich zwischen den Ästen der Eiche plötzlich den Sternenhimmel funkeln. Noch ein paar Meter, und es ist geschafft. Auf dem "Balkon" wartet bereits Kira auf mich, eine Aktivistin von Fridays for Future, mit der ich hier verabredet bin. Gemeinsam bewundern wir nun das Innere der Behausung.

In der ersten Etage sind Wohnzimmer und Küchenecke, die zweite dient zum Schlafen. Im Dach ist ein großes Fenster eingebaut, und als wir am nächsten Tag erwachen, ist das erste, was wir sehen, die von der Morgensonne angestrahlten knorrigen Eichenäste und die saftig grünen Blätter der Baumkrone.

Ich sehe kaum gelbe oder braune Blätter – und das freut mich. Hier scheint das Ökosystem noch besser intakt zu sein als im Hambacher Wald. Nur vereinzelt eindecke ich den Tag über frisch auf den Boden gefallenes Laub.

Im "Hambi" dagegen raschelt es dieser Tage schon bei jedem Schritt, als wäre es Oktober. Viele der frisch gefallenen Blätter sind aber nicht gelb oder braun, sie sind grün. Die Hitzewelle der letzten Wochen, die anhaltende Dürre und der nahe, aufgeheizte Braunkohletagebau setzte die Bäume massiv unter Druck, sie werfen einfach ihre Blätter ab.

Der "Danni" liegt dagegen ein paar hundert Meter höher über dem Meeresspiegel, und kein Tagebau bedroht den alten Wald bei Dannenrod im mittelhessischen Vogelsbergkreis. Jedoch soll durch den Dannenröder Forst und den nahen Herrenwald, der sogar europäisches FFH-Schutzgebiet ist, die Autobahn A49 gebaut werden.

Autobahnbau passt nicht ins 21. Jahrhundert

Seit letztem Herbst ist der Wald deshalb besetzt. Dort, wo die Schneise durch den Wald geschlagen werden soll, wurde eine Reihe von Baumhausdörfern errichtet, "Barrios" genannt. Sie tragen Namen wie "Oben" und "Unten", "Unterwegs" und "Nirgendwo".

Vernetzt sind die meist jungen Aktivist:innen mit dem schon seit Jahrzehnten bestehenden bürgerlichen Protest. Benachbarte Landwirt:innen versorgen sie mit Wasser, andere Anwohner:innen bringen gerne Lebensmittel vorbei, und jeden Sonntag findet ein Waldspaziergang statt, der wie bei den Hambacher Protesten ein beliebtes Tagesziel für Interessierte ist.

"Mir ging es ursprünglich um die Verkehrswende", erzählt Charlie von der Waldbesetzung. "Aber dann kam ich hierher und jetzt geht es mir auch um diesen Wald." Um ihn zu schützen, wollen sie Proteste organisieren, "so groß, dass sich die Regierungen nicht mehr trauen, solche Projekte wie den Bau einer Autobahn voranzutreiben".

Der "Danni" soll für die Verkehrswende werden, was der "Hambi" für die Anti-Kohle-Bewegung ist, und er soll die Klimabewegung dazu bringen, sich der nächsten großen Auseinandersetzung zu stellen: 20 Prozent der deutschen CO2-Emissionen stammen aus dem Verkehrssektor und müssen auch hier auf null gebracht werden. Geschafft ist davon bisher: gar nichts.

Die Verkehrswende ist viel schwieriger als die Strom- und die Wärmewende, weil sie das individuelle Verhalten der Menschen betrifft. An die Stelle des Autos treten Fahrrad, ÖPNV und Bahn. Dafür muss jetzt eine gerechte Infrastruktur geschaffen werden. Der Bau von Autobahnen gehört ganz sicher nicht dazu.

Schon gar nicht, wenn dafür ein 300 Jahre alter Wald gerodet werden soll oder, wie bei mir zu Hause, eine neue Autobahnbrücke das lokale Auenökosystem des Rheins gefährdet. Viele dieser Projekte wurden vor mehreren Jahrzehnten geplant und passen nicht ins 21. Jahrhundert, passen nicht in eine Zeit, in der wir schon die Auswirkungen der Klimakrise spüren können.

Sorge um Trinkwasser und seltene Arten

Wälder mit alten Bäumen, so wie der Dannenröder Forst, sind besonders schützenswert. Sie speichern nicht nur viel mehr Kohlenstoff als neu angepflanzte Bäume, sie können sich auch besser gegen die Klimakrise schützen.

Ein funktionierendes Waldökosystem erschafft sein eigenes Mikroklima. Je dichter das Kronendach, umso kühler ist es am Waldboden. Auf unserem Spaziergang von Barrio zu Barrio kommen wir oft an kleinen Tümpeln vorbei. Der tonige Boden macht die kleinen Waldpools möglich und schafft einen idealen Lebensraum für Tiere wie den Bergmolch.

Auch Feuersalamander leben im Wald – und natürlich Fledermäuse, Beispielsweise das Braune Langohr, erzählt Wolfgang Dennhöfer, "Danni-Experte" des Umweltverbandes BUND. Auch er ist heute im Wald und hat dicke Akten voller Landkarten dabei, über die wir uns beugen. "Die Autobahn wird ihren Lebensraum und ihre Flugrouten stören", erläutert er besorgt.

Porträtaufnahme von Kathrin Henneberger.
Kathrin Henneberger im Baumhaus. Die Klimagerechtigkeitsaktivistin und Autorin aus dem Rheinland setzt sich seit mehreren Jahren unter anderem für den Hambacher Forst ein. (Foto: privat)

Neben dem Schutz der lokalen Biodiversität ist dem Biologen noch etwas anderes sehr wichtig: die Trinkwassersicherheit der Region. Wie ein Fettauge schwimmen auf dem Grundwasserkörper hier Schadstoffe, die aus einer alten Rüstungsfabrik stammen.

Damit diese gefährlichen Stoffe nicht mit der Grundwasserströmung in Richtung der Trinkwasserbrunnen gelangen, wurde ein System von Abpump- und Einspeisepumpen gebaut und so die Strömung umgedreht. Zum Bau der Autobahn wird aber ein Teil der Brunnen geschlossen werden müssen. Das System könne ins Wanken geraten, fürchtet Wolfgang Dennhöfer.

Klimarettung, Ökologie, Trinkwasserversorgung – es spricht wirklich vieles dagegen, durch den Dannenröder Wald eine Autobahn zu bauen. Aber wie es scheint, möchte niemand die politische Verantwortung übernehmen, die Rodung zu verhindern.

Es sind junge Menschen, die dies stattdessen tun und bereit sind, sich selbst zwischen die Kettensägen und die hunderte Jahre alten Bäume zu stellen, die dabei das Risiko eingehen, verletzt oder festgenommen zu werden. Die Räumung könnte schon bald erfolgen, mit Ende September wird gerechnet.

"Einmal mehr müssen wir also jetzt alle zusammenkommen und auf vielfältigste Weise Teil des Protestes werden", sagt eine Aktivistin. Der nächste Bahnhof ist übrigens Stadtallendorf.

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