Klimareporter°: Herr Höhne, die USA werden unter Trump aussteigen, die deutsche Regierung ist kaum noch handlungsfähig, China will kein Geld geben – haben UN-Klimaverhandlungen wie jetzt in Baku überhaupt noch Sinn?

Niklas Höhne: Diese Klimagipfel sind sehr wichtig. Sie bringen das Thema voran, auch wenn sie allein nicht das Problem lösen können.

Wir haben wieder ein schreckliches Klimajahr hinter uns. Die globale Mitteltemperatur liegt jetzt seit 14 Monaten mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Wir haben Hitzewellen, Dürren, Flutkatastrophen, Hurrikans erlebt, wie es sie noch nie gab. Das Klima spielt verrückt – eine Warnung, dass wir extrem schnell gegensteuern müssen.

Vor diesem Hintergrund findet die Klimakonferenz statt. Zwei Wochen lang ist Klima das Nummer-eins-Thema auf der Welt, und das ist enorm wichtig.

 

Nüchtern betrachtet, haben die Gipfel wenig gebracht. In Baku findet bereits die 29. dieser Mega-Konferenzen statt, die 1992 auf dem UN-Erdgipfel in Rio beschlossen wurden. Der CO2-Ausstoß ist seither deutlich angestiegen, nicht gesunken.

In der Tat, die Emissionen sind stark angewachsen. Stark geändert hat sich aber unser Ausblick auf die Zukunft. Vor zehn Jahren haben wir noch berechnet, dass wir mit den damals umgesetzten Klimaschutz-Maßnahmen auf absolut katastrophale 3,5 Grad zusteuern.

Aktuell sind wir damit bei 2,7 bis 2,9 Grad, und wir landen immerhin schon bei 1,8 Grad, wenn alle Länder ihre angekündigten Klimaneutralitäts-Ziele einhalten.

Das reicht zwar noch nicht. Aber es zeigt, die internationalen Klimaverhandlungen haben eine Wende vorangetrieben.

Gibt es denn noch Hoffnung, dass die Staaten der Welt auf einen Pfad zum 1,5-Grad-Limit einschwenken, das sie laut Pariser Klimavertrag anstreben sollen?

Physikalisch ist es möglich, technisch ist es möglich. Die bisherigen Maßnahmen reichen dafür allerdings hinten und vorne nicht. Um das zu erreichen, müssen wir in einen Notfallmodus schalten und die globalen Treibhausgas-Emissionen extrem schnell auf null reduzieren.

Notfallmodus heißt, wirklich alle verfügbaren Mittel vom fossilen ins erneuerbare System umzulenken.

Bild: Rixa Schwarz

Niklas Höhne

ist Klima­forscher, Mit­begründer des New Climate Institute in Köln und Professor an der Universität Wageningen in den Nieder­landen. Er verfolgt die UN-Klima­verhandlungen seit dem ersten Klima­gipfel 1995 in Berlin.

Ist das denn realistisch? Selbst der Weltklimarat IPCC sagt, die 1,5 Grad sind langfristig nur zu halten, wenn überschüssiges CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernt wird.

Die meisten 1,5-Grad-Szenarien sehen das vor. Es ist aber sehr unsicher, ob es funktioniert. Wenn man es zum Beispiel über neue Wälder als CO2-Speicher versucht, können die wieder abgeholzt werden oder verbrennen. Oder es ist extrem teuer, wie bei den technischen Verfahren zur Abscheidung von CO2 aus der Luft.

Sich darauf zu verlassen, ist problematisch. Es ist immer besser, Emissionen zu vermeiden, statt sie später wieder aus der Atmosphäre zu holen.

Hinzu kommt: Wir haben die Technologien, um den Umstieg zu schaffen. Die erneuerbaren Energien sind so billig geworden, dass es gar keine guten Argumente gibt, jetzt noch neue Kohlekraftwerke zu bauen oder Erdöl-Lagerstätten aufzuschließen.

Das müssten Sie nur noch Donald Trump erläutern.

Dass Trump die Wahl gewonnen hat, ist natürlich keine gute Nachricht fürs Klima. Es ist aber, glaube ich, nicht ganz so schlimm, wie es auf den ersten Blick aussieht.

Auch Trump kann nicht gegen den Markt agieren und auch nicht alles zurückdrehen, was eingeführt worden ist. Auch in den USA sind die Erneuerbaren extrem günstig geworden, sie werden weiter schnell zulegen. Zudem ist die Hälfte der US-Bundesstaaten für Klimaschutz und nicht dagegen.

Hinzu kommt, dass von den Mitteln aus dem US-Klimagesetz, dem Inflation Reduction Act, der Großteil in republikanisch regierte Staaten fließt. Trump wird das Gesetz nicht komplett einstampfen.

Zurück zum Thema globale Erwärmung. Sind denn wenigstens die zwei Grad noch drin? Dieser Wert steht, quasi als zweite Haltelinie, ja auch im Paris-Vertrag. Und ist er tolerabel?

Im Paris-Vertrag steht als Ziel, deutlich unter zwei Grad zu bleiben und möglichst nahe an 1,5. Dabei zählt jedes Zehntelgrad, weil es die Wahrscheinlichkeit für Extremwetterereignisse und für das Auslösen von Klima-Kippelementen wie dem Abschmelzen der Eisschilde an Nord- und Südpol oder dem Austrocknen des Amazonas-Regenwaldes reduziert.

Aber ob zwei Grad tolerabel sind? Ich meine: Schon das, was wir heute erleben, ist nicht mehr tolerabel. Wir haben Regenereignisse, bei denen die Niederschläge eines ganzen Jahres an einem Tag fallen. Wir sehen Waldbrände, die nicht mehr zu löschen sind. Wir erleben Trockenperioden, die die Wirtschaft gefährden.

Bisher scheint die Weltgemeinschaft zu glauben, sie könne damit umgehen. Sie scheint den Ernst der Lage nicht wirklich erkannt zu haben.

Herr Höhne, Sie betreiben mit Ihrem Team den "Climate Action Tracker", der jedes Jahr die an die UN gemeldeten Klimaschutz-Pläne der Staaten weltweit analysiert. Gibt es hier Lichtblicke?

Die gibt es. Wir erwarten, dass der globale Treibhausgas-Ausstoß 2025 sein Maximum erreicht und danach heruntergeht. Das leitet, wenn es so passiert, die Trendwende ein.

Luftaufnahme: Ein rundes Stadion, daneben drei große Veranstaltungshallen-Komplexe, alles in Weiß, dahinter die Stadt im Nebel.
Das Nationalstadion in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku ist vom 11. bis 22. November Veranstaltungsort der 29. UN-Klimakonferenz. (Bild: Azərbaycan Prezidentinin Administrasiyası/​Wikimedia Commons)

Weiterer Lichtblick sind die erneuerbaren Energien. Sie boomen überall auf der Welt, und wir werden jedes Jahr überrascht, dass es schneller vorangeht. Windkraft wächst mit 14 Prozent pro Jahr, Solarenergie mit 30, Batterien als Erneuerbaren-Speicher sogar mit 50 Prozent. Hinzu kommt: Der E‑Autos-Absatz verdoppelt sich alle zwei Jahre.

Diese Entwicklung wird so weitergehen, und das wird die fossilen Energien Zug und Zug aus dem Markt werfen.

Kann der Gipfel in Baku hier denn echte Fortschritte bringen?

Die Ausgangslage ist nicht einfach. Wir haben mehrere Kriege, die die Welt beschäftigen, die USA fallen als Antreiber für die Klimawende weg, und das Gastgeberland ist ein Erdölstaat, was Zweifel an der Neutralität der Gipfelpräsidentschaft erzeugt. Trotzdem ist der Gipfel wichtig.

Ich hoffe, dass man dort das Hauptziel erreicht und eine deutlich höhere internationale Finanzierung für Klimaschutz und Klimaanpassung beschließt – oder sich zumindest auf einen Prozess dazu einigt. Die ärmeren Länder brauchen dringend mehr Unterstützung, die 100 Milliarden Dollar jährlich, die heute von Industrieländern dafür aufgebracht werden, reichen bei Weitem nicht aus.

Besonders wichtig beim Klimaschutz ist China, der mit Abstand weltgrößte CO2-Emittent vor den USA und der EU. Ist hier die Trendwende absehbar?

Auch hier ist die Trendwende absehbar. China hat zwar weiterhin einen extremen Energiehunger und baut deswegen sowohl die fossilen als auch die erneuerbaren Energien aus, letztere aber mit enormen Zuwachsraten.

Geht das so weiter, und vieles spricht dafür, dann werden Sonne, Wind und Co Kohle, Erdöl und Erdgas immer mehr verdrängen. Die Kohlekraftwerke, die derzeit noch gebaut werden, werden dann zunehmend stillstehen. Die Erneuerbaren produzieren Strom praktisch ohne laufende Kosten, während der Brennstoff für Kohle- und Gaskraftwerke teuer ist.

Hinzu kommt, dass in China die Trendwende zur E‑Mobilität bereits vollzogen ist. Rund 80 Prozent der neuen Pkw haben Elektroantrieb, und das macht nicht nur die Luft in den Städten sauberer, es entlastet bei CO2-freiem Strom auch die Klimabilanz.

Welche Rolle kommt nun der EU zu, wenn die USA als Schrittmacher ausfallen?

Die EU hatte schon immer die Rolle des Vorreiters, und wenn die USA ausfallen, wird das umso wichtiger. Vorreiter bedeutet zweierlei. Erstens: Die EU muss ihr Ziel der Klimaneutralität bis 2050 umsetzen, und das scheint mir mit der neuen Kommission in Brüssel gewährleistet.

Und zweitens: Die EU muss ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden. Das heißt, sie muss die internationalen Verhandlungen voranbringen und insbesondere armen Ländern helfen, die Klimawende hinzubekommen und die eintretenden Schäden zu bezahlen.

Es ist aber doch absehbar: Die Wirtschaft hierzulande und in der EU insgesamt wird fordern, den Klimaschutz zu lockern, wenn die Trump-USA das vormachen. Und wäre das nicht auch nachvollziehbar?

In gewissem Sinne schon, aber es wäre falsch. Unsere Unternehmen müssen die Technologien entwickeln und produzieren, die in der Zukunft auf den internationalen Märkten genutzt werden – seien es erneuerbare Energien, E‑Autos oder Effizienz. Selbst wenn der US-Markt hier schwieriger wird, weltweit ist die Richtung klar.

Daher sollte die deutsche Autoindustrie auch ihre E‑Auto-Strategie nicht zurückdrehen. Der Verbrennungsmotor wird global nur noch ein Nischenprodukt sein, auch wenn die Trump-USA das zu verzögern trachten.

COP 29 in Baku

Bei der 29. UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan geht es um ein neues Ziel für die internationale Klimafinanzierung. Klimareporter° ist mit einem Team vor Ort und berichtet täglich.

Hat Deutschland nach dem Aus der Ampel überhaupt noch eine Chance, Vorreiter beim Klimaschutz zu sein, wie es oft auf den UN-Klimagipfeln der Fall war?

Deutschland hat durchaus Gewicht, und es sollte weiter so agieren, zumal auch denkbare künftige Regierungen sicher ambitioniert Klimaschutz machen werden. Wir haben bereits 60 Prozent Ökostrom im Netz, das ist für ein Industrieland der Größe Deutschlands sensationell.

Und wir sind bei der internationalen Klimafinanzierung vorne mit dabei. Damit kann die deutsche Delegation in Baku durchaus punkten, auch wenn die politische Krise zu Hause das natürlich schwieriger macht.

Wie bewerten Sie denn, was die Ampel beim Klimaschutz in den drei Jahren bewegt hat?

Die Bilanz ist durchwachsen. Beim Erneuerbaren-Ausbau ist sie sehr gut, im Gebäudesektor mittelmäßig, und im Verkehrssektor haben wir einen Totalausfall – hier konnten ja nicht einmal so einfache Dinge wie ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen umgesetzt werden.

Ein wirklicher Rückschritt war die Entkernung des Klimaschutzgesetzes durch die Aufhebung der Einzelziele für die Sektoren wie Industrie, Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft. Um auf die Netto-Null beim CO2-Ausstoß zu kommen, muss in allen Bereichen sehr viel passieren, keiner kann für einen anderen die Kohlen aus dem Feuer holen.

 

Die nächste Bundesregierung wird wahrscheinlich von der Union geführt werden, entweder in einer neuen Groko oder in Schwarz-Grün. Welche Folgen wird das für den Klimaschutz haben?

Die Positionen der Unionsparteien bieten mehr Schnittmengen mit SPD und Grünen als mit der FDP. So will die Union an der Klimaneutralität 2045 festhalten, die Energiewende etwa durch mehr Freileitungen statt Erdverkabelung bei den Stromtrassen billiger machen, den Heizungsaustausch weiter fördern, des Erneuerbare-Energien-Gesetz umbauen, aber nicht abschaffen – und sie will einen sozialen Ausgleich für die CO2-Bepreisung einfuhren.

Ein Ausreißer sind die Ideen zum Wiedereinstieg in die Atomkraft, das würde die Energiewende eher verteuern als verbilligen, abgesehen vom Sicherheitsrisiko.

Insgesamt ist hier bei genügend Kompromissfähigkeit, wie sie in der Demokratie nötig ist, durchaus fortschrittliche Politik möglich.