Globale Treibhausgasemissionen 1970 bis 2023 nach Sektoren (linke Achse, Balken) und pro Kopf (rechte Achse, schwarze Linie). (Bild: aus der Studie)

Vor einigen Tagen ist die neue Statistik der globalen Treibhausgasemissionen erschienen. "Edgar" ist ihr Name. Herausgegeben wird sie vom wissenschaftlichen Dienst der EU-Kommission. Ihr Vorteil ist, dass sie langfristig und umfassend ist. Keine Quelle, kein Treibhausgas wird ausgelassen.

In der zentralen Abbildung sind die Emissionen zu sehen, wie sie seit 1970 stetig ansteigen – also seit dem Beginn der kollektiven globalen Anstrengung, so etwas wie Klimapolitik und damit die Abkehr von demjenigen Wirtschaftsform-Zeitalter einzuläuten, das 200 Jahre zuvor mit der sogenannten industriellen Revolution herbeigeführt wurde. Wir können erkennen:

Erstens: Die Emissionen steigen so gut wie jedes Jahr. Es hat bislang keine Trendwende gegeben, lediglich dreimal einen kurzzeitigen Einbruch: nach dem ökonomischen Kollaps des "Ostblocks" Anfang der 1990er Jahre, aus Anlass der Weltfinanzkrise 2009 und aus Anlass der Corona-Pandemie 2020.

Zweitens: Die Emissionen pro Kopf der Weltbevölkerung sind in den 1980er und 90er Jahren gesunken, haben aber 2007 den ursprünglichen Wert wieder erreicht: Bei 6,5 Tonnen CO2‑Äquivalent pro Kopf und Jahr liegt der globale Durchschnittswert.

Drittens: Die absoluten jährlichen Emissionen der Menschheit sind von 32 Milliarden Tonnen im Jahr 1990 bis heute auf 53 Milliarden Tonnen angestiegen. Das Ziel war in der Startphase der Klimapolitik, dass die globalen Emissionen bis 2050 halbiert werden, also auf 16 Milliarden Tonnen sinken sollten. Bei einer linearen Absenkung entspricht das für 2023 einem Ziel von 23,2 Milliarden Tonnen.

Die Lücke zwischen den gemessenen 53 Milliarden und den angestrebten 23,2 Milliarden Tonnen gibt einen ersten Hinweis auf das Ausmaß des Versäumens: Statt um 8,8 Milliarden Tonnen zu sinken, sind die Emissionen um 21 Milliarden Tonnen gestiegen.

Und dies misst sich wie gesagt an dem Jahrzehnte alten Ziel der Halbierung bis 2050. Inzwischen ist klar, dass die Welt zur Mitte des Jahrhunderts auf netto null kommen muss.

Bild: Wuppertal Institut

Jochen Luhmann

studierte Mathematik, Volks­wirtschafts­lehre und Philosophie und promovierte in Gebäude­energie­ökonomie. Er war zehn Jahre als Chef­ökonom eines Ingenieur­unternehmens und 20 Jahre am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie tätig. Er ist im Beirat der Vereinigung Deutscher Wissen­schaftler und dort Mitglied der Studien­gruppe Europäische Sicherheit und Frieden.

Viertens: Die jährlichen Klimagas-Emissionen sind ein Indikator, der das Ausmaß des Problems deutlich unterschätzt. Die Pointe beim Klimawandel ist die lange Verweildauer von einmal entlassenen Klimagasen in der Erdatmosphäre – sie wirken dann viele Jahre lang. Ein passender Indikator ist also nur einer, der die Verweildauer mitberücksichtigt.

Nehmen wir Linearität an, so geht es in den 33 Jahren aktiver Klimapolitik seit 1990 um insgesamt 1.400 Milliarden Tonnen tatsächlich ausgestoßener Treibhausgase, die einem ursprünglichen Zielwert von 800 Milliarden Tonnen gegenüberstehen. Setzt man diese beiden Summen ins Verhältnis, dann wäre der erhaltene Faktor 1,75 ein Maß für die Verfehlung.

Doch auch das ist noch ein unrealistisches Maß. Denn wir können schwerlich ab morgen einem Emissionspfad folgen, der ab 2025 dem ursprünglichen Ziel entspricht. Das wäre unrealistisch. Wir sind systemisch "gezwungen", für die Rückkehr auf den Pfad des Beabsichtigten ab heute etwa derselben Kurvengestalt zu folgen, wie sie für den Anstieg gegolten hat.

Wir dürfen damit den Verfehlungsfaktor guten Gewissens verdoppeln, wenn wir der Realität ins Auge sehen wollen. Die Verfehlung bei den wirksamen Emissionen wird also deutlich unterschätzt.

Fünftens: Es wird zwar vielfach gemeint, die Ursache des Klimawandels sei das in der Abbildung Gezeigte, also die Emissionen der langlebigen Klimagase mit Einfluss auf die Sonneneinstrahlung. Das stimmt aber so nicht. Die Ursache ist der resultierende Anstieg der Konzentration von solchen Gasen in der Erdatmosphäre.

Leider gibt es eine Darstellung dieses Resultats nicht für alle Klimagase, sondern nur für CO2. Man kann sie sich aber leicht vorstellen: Man halbiere die Emissionen pro Jahr – so viel entziehen Ozeane und Landmassen der Atmosphäre – und summiere diese auf. Mit dieser rasenden Geschwindigkeit nimmt die Ursache zu – und damit der resultierende Klimawandel.

Das gilt aber nur so lange, wie die mit rund 50 Prozent angenommene Aufnahmerate des Erdsystems, überwiegend der Ozeane und auch der Biosphäre, konstant bleibt.

 

Sechstens: Mit westlichen Augen betrachtet, also für die Bewohner der mittleren und höheren Breiten der Nordhalbkugel, fällt die Kategorie "Gebäude" auf – wegen ihres geringen Umfangs und ihrer Konstanz.

Das täuscht. Das Heizen von Gebäuden mit Brennstoffen ist nur für eine Minderheit der Weltbevölkerung die übliche Form der thermischen Gebäudekonditionierung. Anderswo ist es meist umgekehrt, dort müssen Gebäude gekühlt werden, um die gewünschte Innentemperatur zu erreichen.

Gemäß den methodischen Verabredungen der UN-Klimastatistik fällt die Klimatisierung aber unter Stromverbrauch, nicht unter Gebäude.