Außer in China beschleunigt sich der Kohleausstieg. Das zeigen zwei neue Entwicklungen aus dieser Woche.

Zum einen sieht der neueste Entwurf für Indiens Strompolitik nicht länger den Bau von neuen Kohlekraftwerken vor. In dem Land sind Kohlemeiler mit einer Kapazität von 234.000 Megawatt am Netz und weitere 32.000 Megawatt im Bau, das zeigen Daten des Global Energy Monitor (GEM).

 

Doch für die rund 20.000 Megawatt, die zwar eine Baugenehmigung haben, deren Bau aber noch nicht begonnen hat, bestehe kein Bedarf mehr, sagte ein ungenannter indischer Regierungsvertreter dem Nachrichtenportal Climate Home News: "Nach monatelangen Überlegungen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir keine neuen Kohlekraftwerke benötigen, abgesehen von denen, die bereits in der Pipeline sind."

Falls der Entwurf tatsächlich verabschiedet wird, würde Indien damit auch eine gute Basis für den G20-Gipfel im September in Delhi schaffen, wo nicht zuletzt über eine Forderung von UN-Chef António Guterres diskutiert werden soll.

Guterres hatte bei der Vorstellung des jüngsten Berichts des Weltklimarats IPCC im März gefordert, dass weltweit keine neuen Kohlekraftwerke mehr gebaut werden. Außerdem sollen die reichen Länder bis zum Jahr 2030 und die ärmeren Länder bis zum Jahr 2040 aus der Kohleverstromung aussteigen.

Diese Forderungen werden bereits von den größten Industrienationen, den G7-Ländern, unterstützt. Deren Energieminister haben sich im April in Japan darauf geeinigt, bis zum Jahr 2035 "einen vollständig oder überwiegend dekarbonisierten Energiesektor" zu schaffen.

Experten erwarten nur halb so viele Neubauten

Die zweite gute Nachricht kommt aus Berlin. Das Mercator-Institut MCC hat dort eine Studie vorgelegt, die untersuchte, mit wie vielen neuen Kohlekraftwerken weltweit noch zu rechnen ist.

Die GEM-Daten zeichnen hier ein furchterregendes Bild: Weltweit sind Kohlemeiler mit einer Kapazität von knapp 2,1 Millionen Megawatt am Netz, weitere 437.000 Megawatt befinden sich in verschiedenen Planungs- und Bauphasen. Die globale Kohlekraftwerksflotte würde also noch um gut ein Fünftel wachsen, wenn alle Vorhaben umgesetzt werden.

Die MCC-Studie zeigt jedoch, dass das unwahrscheinlich ist. Der Klima-Thinktank hat Energieexperten in den wichtigsten Kohleländern gefragt, mit wie vielen neuen Kraftwerken in ihren Ländern noch zu rechnen ist, und kommt auf einen deutlich niedrigeren Wert. Die Experten erwarten nur 215.000 Megawatt an neuen Kraftwerken. Das ist weniger als die Hälfte der vom GEM erfassten Projekte.

Die MCC-Studie hat auch untersucht, warum geplante Kraftwerke oft nicht über die Planungsphase hinauskommen: "Die Politik ist entscheidend, ob neue Kraftwerke gebaut werden." Denn eigentlich sind in den meisten Ländern die erneuerbaren Energien längst die wirtschaftlichste Option.

"Doch Experten stimmen darin überein, dass andere Faktoren als die relativen Kosten im Entscheidungsprozess berücksichtigt werden, wenn es um Kohlekraftwerke geht", heißt es weiter. Dies könnten regionale Arbeitsplätze, Steuerzahlungen oder der Einfluss der Kohleindustrie sein.

 

Das habe aber auch sein Gutes. Wenn man die "spezifischen politisch-ökonomischen Gründe der einzelnen Länder für den Bau neuer Kohlekraftwerke" kenne, dann könne man "wirksame Maßnahmen zur Verhinderung dieser Anlagen entwickeln".

Sieben von zehn neuen Kohleblöcken entstehen in China

Das ist nirgends dringlicher als in China, denn das Land hat mehr neue Kraftwerke in der Pipeline als alle anderen Länder zusammen.

Letztes Jahr ist dort die Kapazität der Kraftwerke in den verschiedenen Planungs- und Bauphasen auf 366.000 Megawatt gestiegen, während in allen anderen Ländern dieser Wert auf 172.000 Megawatt gefallen ist. Von allen Kraftwerken in Entwicklung befinden sich also 68 Prozent in China.

Dieser Bauboom ist nicht zuletzt eine Folge der Wirtschaftskrise während der Coronapandemie. Zur Stimulierung der Wirtschaft baut China in solchen Fällen Kohlekraftwerke. Wie man auf die "politisch-ökonomischen Gründe" für dieses Verhalten einwirken kann, um den Bau neuer Kraftwerke in China zu verhindern, sagt die Studie allerdings nicht.