Wer erfahren will, wie die Natur CO2 entsorgt, trete an den Rand eines Moores, versenke einen hohlen Bohrer in den wässrig-weichen Grund und ziehe das Material sorgsam heraus – so wie man das von Gletscherforschern kennt, wenn sie einen Eisbohrkern hervorholen und begutachten.
Der Unterschied: Der Moorkern ist eine Art Erdwurst, am oberen Ende erscheint er grün-wässrig und schlägt dann schnell ins Braune um. Das ist der Bereich, wo abgestorbene Pflanzenteile unter Wasser, also unter Luftabschluss, nicht oxidieren, sondern sich über die Zeitläufte hinweg in Torf verwandeln – und dabei Kohlenstoff für kleine Ewigkeiten festlegen.
Den Kohlenstoff hatten sich die Moorpflanzen zuvor per Fotosynthese aus dem Kohlendioxid der Luft geholt. Die Flora der Erde ist also ein perfekter CO2-Abscheider. Das ganze Klimaproblem begann in dem Moment, als die Menschheit den über Jahrmillionen tief oder weniger tief in der Erde gespeicherten Kohlenstoff in kurzer Zeit hervorholte und meist verfeuerte.
Bei der braunen Erdwurst reicht es schon, sie dem Luftsauerstoff auszusetzen. Werden Moore entwässert und ihre Böden gar noch um und um gepflügt, zersetzen sich die abgestorbenen Pflanzenreste. Es entweichen große Mengen Treibhausgase: CO2, Methan und Lachgas.
Das macht die deutschen Ex-Moore, muss man sagen, zu wahren Klimakillern. Knapp sieben Prozent der gesamten inländischen Treibhausgasemissionen gehen auf das Konto entwässerter Moore, doppelt so viel, wie die Luftfahrt hierzulande verursacht.
Und bis so ein Moor wieder zu einem Klimaspeicher wird – das dauert. Bis nach einer Wiedervernässung das Torfwachstum überhaupt in Gang kommt, können ein paar Jahre ins Land gehen. Und auch dann wächst die Torfschicht nur um einen einzigen Millimeter im Jahr.
Gute Klimageschäfte mit Biomasse
Gerade aber machen Moore als großartige CO2-Senken Karriere. Sie sind – neben den Wäldern – wichtigster Teil des neu entdeckten "natürlichen" oder "naturbasierten" Klimaschutzes. Für den legte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) kürzlich ein Aktionsprogramm auf und stattete es mit vier Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre aus.
Intakte Moore zu schaffen oder Wälder aufzuforsten, gehört aus Sicht der Emissionsbilanzierung zu den sogenannten Landnutzungsänderungen. Die daraus resultierenden "negativen Emissionen" hat Deutschland bei der für 2045 geplanten Klimaneutralität schon fest eingeplant.
Will Deutschland von heute an auf einem 1,5-Grad-Klimapfad wandeln, müssten hierzulande jährlich mindestens 50.000 Hektar vernässt werden – eine Fläche fast so groß wie der Bodensee –, rechnete das Greifswald Moor Centrum aus. Tatsächlich aber werden derzeit jedes Jahr nur mickrige 2.000 Hektar vernässt.
Von der großflächigen Wiedervernässung hält die konventionelle Agrarwirtschaft in Deutschland nichts. Viel lieber würde sich zum Beispiel, wenn sie den Humusgehalt des Bodens verbessert – und damit den Kohlenstoffgehalt –, dafür CO2-Zertifikate ausstellen lassen und an Unternehmen verkaufen, die damit ihre Emissionen "kompensieren" und sich für klimaneutral erklären können. Carbon Farming nennt sich das dann.
Ähnlich sehen viele naturbasierte Lösungen aus: Ob bei Wäldern, Seegraswiesen oder Algenwäldern – überall, wo Biomasse nicht gleich genutzt wird, könnte sie zu einer CO2-Senke erklärt und in begehrte Zertifikate verwandelt werden.
Damit ließen sich sicher gute Klimageschäfte machen – das grundsätzliche Problem aber bleibt: Niemand weiß mit Sicherheit zu sagen, wie viel CO2 in naturbasierten Systemen wirklich gebunden wird und für wie lange.
Zudem sind viele Natursysteme in ihrer CO2-Aufnahmefähigkeit eingeschränkt. Wie groß beispielsweise der Wald-CO2-Speicher in Deutschland wirklich ist, weiß nach den jüngsten Dürrejahren niemand so genau. Die Schätzungen reichen von 30 bis zu 60 Millionen Tonnen CO2-Aufnahme jährlich.
Manche Experten gehen sogar davon aus, dass der Wald aufgrund vielfacher Schäden bald zu einer CO2-Quelle wird. Letztes Jahr erschreckte eine Studie die Klimawelt, wonach der größte Regenwald des Planeten am Amazonas von 2010 bis 2018 pro Jahr etwa 290 Millionen Tonnen Kohlenstoff emittierte, also keine Senke mehr war.
Die Gründe: Zu viel Abholzung, zu viel Dürre, zu viele Waldbrände. Es sei fraglich, ob die tropischen Regenwälder in der Zukunft noch große Mengen CO2 speichern könnten, kommentierte der Atmosphärenforscher Scott Denning von der Colorado State University in der Fachzeitschrift Nature.
Zeitraum für technische Lösungen sehr kurz
All die Unsicherheiten schlagen auf die globalen Klimabilanzen durch. Der gerade erschienene dritte Teil des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC bezifferte jetzt die Treibhausgas-Mengen, die sich durch Landnutzungsänderungen im Zeitraum von 2020 bis 2100 dauerhaft der Atmosphäre entziehen lassen, auf 40 bis 290 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent.
Zum Vergleich: Der weltweite Ausstoß aller Treibhausgase – CO2, Methan, Lachgas und andere – liegt derzeit bei knapp 60 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr. Durch natürliche CO2-Senken lassen sich also aus heutiger Sicht ein bis fünf globale Jahresemissionen kompensieren – in den kommenden 80 Jahren.
Viel größere Hoffnungen ruhen deswegen auf der technischen Abscheidung von CO2: Potenziell ließe sich rund eine Billion Tonnen CO2 in der Erde speichern, wird derzeit unentwegt eine Zahl aus dem neuen IPCC-Bericht zitiert. Tausend Milliarden Tonnen – damit ließen sich auf Jahrzehnte alle CO2-Emissionen versenken.
Was dabei meist ausgespart wird: Zu unklar sind die Kosten der einzelnen Systeme, die realen Abscheidungsraten und das Tempo, mit dem die Technologien, wie es neudeutsch heißt, "hochskaliert" werden können.
2019 nahmen kalifornische Forscher für eine Studie an, eine Staatengruppe würde ein globales Crash-Programm zum Aufbau einer CO2-Abscheidungs-Industrie starten. Zum Einsatz käme Direct Air Capture (DAC), die direkte CO2-Abscheidung aus der Luft.
Die dafür mobilisierbaren finanziellen Ressourcen veranschlagte die Studie auf umgerechnet 800 Milliarden bis 1,3 Billionen Euro. Am Ende kamen die Forscher zu einem ernüchternden Ergebnis: Selbst ein riesiges DAC-Notfallprogramm könnte um 2050 jährlich nur rund 2,2 bis 2,3 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre holen.
Zum Vergleich: Der angekündigte Frontier-Fonds, den jetzt US-Internetkonzerne wie Google und Facebook sowie die Unternehmensberatung McKinsey einrichten wollen, verspricht, bis 2030 für 850 Millionen Dollar CO2 zu kaufen, das sicher im Boden gespeichert wurde.
Prognosen mit hohen Unsicherheiten
2030 – in acht Jahren – müssen aber die Treibhausgasemissionen bereits um rund 24 Milliarden Tonnen oder fast 40 Prozent gesunken sein, heißt es im neuen IPCC-Bericht. Und schon kurz nach 2050 muss die Welt CO2-neutral sein, will sie das 1,5-Grad-Limit einhalten, das inzwischen als notwendig erkannt wurde.
Die Zeit, um mit technischen Lösungen für negative Emissionen das Klima entscheidend zu stabilisieren, ist mittlerweile arg kurz geworden.
Der IPCC-Bericht veranschlagt die Potenziale technischer CO2-Entnahmetechnologien (Carbon Dioxide Removal, CDR) für die restlichen 80 Jahre dieses Jahrhunderts auf 30 bis 780 Milliarden Tonnen.
Berücksichtigt wurden dabei zwei großtechnische Verfahren: Bioenergie mit CO2-Speicherung (BECCS) sowie die direkte CO2-Abscheidung aus der Luft mit anschließender Verpressung (DACCS), in beiden Fällen also mit CCS-Technologie.
Das geht wohl nicht anders, denn nur bei unterirdischer Festsetzung des CO2, zum Beispiel in alten Gaslagerstätten, wird der CO2-Kreislauf dauerhaft unterbrochen. Nur dann gibt es eine realistische Chance, dass das Klimagas von dort über relevante Zeiträume von Jahrhunderten und Jahrtausenden nicht mehr an die Luft zurückkehrt. Bei "natürlichen" Senken kann das eigentlich nur das Moor bieten, sofern es immer schön nass bleibt.
Dass die Spannbreite der technikbasierten Einspar-Prognosen durch den Faktor 25 markiert wird, zeigt vor allem eins: Nichts Genaues weiß man nicht. Bisher steht eigentlich nur fest, dass die meisten Klimaszenarien, die das 1,5- oder das Zwei-Grad-Limit noch einhalten, massive negative Emissionen einberechnen. Wie sich aber solche CO2-Senken im nötigen Maß einrichten lassen, das ist noch ziemlich unklar.
Ozeane als "natürliche" Senke
Im Übrigen hätte die Erderwärmung das 1,5- und wohl auch das Zwei-Grad-Limit längst gerissen, wenn die Menschheit nicht durch eine natürliche CO2-Senke davor bisher bewahrt würde – und zwar durch die Ozeane.
Forscher fanden 2019 heraus, dass die Weltmeere zwischen 1994 und 2007 insgesamt etwa 124 Milliarden Tonnen CO2 aufnahmen – fast ein Drittel gesamten menschengemachten CO2-Emissionen in diesem Zeitraum.
Und zum Glück steigt bisher die Senkenleistung der Meere proportional zum Anstieg der atmosphärischen CO2-Konzentration. Je höher der CO2-Gehalt in der Luft, desto mehr wird vom Meer absorbiert. Ob dieses irgendwann gesättigt sein wird und die Aufnahme stoppt, ist ungewiss.
Was uns Menschen bisher vor dem Schlimmsten rettet, hat "nur" für die Meeres-Lebenswesen potenziell tödliche Folgen. Denn das im Meer gelöste CO2 macht das Wasser saurer.
Eine weitere und im Wortsinne noch ungelöste Frage ist: Wenn die Menschheit versucht, den CO2-Gehalt in der Luft per natürlicher oder technischer Senke zu verringern, gibt der Ozean dann das gelöste Klimagas möglicherweise wieder ab?
In dem Fall könnten wir uns wohl mit den CO2-Senken abstrampeln, wie wir wollten – der Klimawandel würde sich einfach nicht abschütteln lassen. Da könnte die Menschheit ein wässrig-blaues Wunder erleben. CO2 zu machen ist unglaublich leicht, CO2 zu entsorgen unglaublich schwer.