Was ist schlechter: gar kein Klimaschutz oder die Vorspiegelung von Klimaschutz? (Bild: Greg Goebel/​Wikimedia Commons)

Das Bundesverfassungsgericht hat noch gestern Abend den Antrag abgeschmettert, die heutige Abstimmung über das Klimaschutzgesetz zu stoppen. Der erneute Versuch, per Gericht in den Bundestag hineinzuregieren, bleibt nur eine Fußnote der Geschichte.

Heute wird die Ampel-Koalition mit ihrer Reform den Klimaschutz auf Jahre abräumen. "Das Klima in der Koalition ist wichtiger als das Weltklima", sagt Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer.

Mit dem neu gefassten Gesetz beginnt in Deutschland ein neues Zeitalter, das des fiktiven Klimaschutzes. Künftig zählt nicht mehr, ob CO2-Emissionsvorgaben tatsächlich erreicht werden, sondern was an Emissionen vorausgesagt wird. Die Klimapolitik lebe künftig in einer fiktiven Welt der Prognosen, so beschreibt es Rechtsanwalt Remo Klinger.

Und der erste Herr der Prognosen ist der grüne Wirtschaftsminister. Kürzlich lieferte Robert Habeck mit den "Treibhausgas-Projektionen 2024" – sie bilden den Zeitraum bis 2030 ab – die Blaupause dafür, wie das fiktive Leben künftig so läuft.

Die Habecksche Prognose – Deutschland hält das vom Klimagesetz vorgeschriebene CO2-Budget bis 2030 ein – geht nur auf, weil Finanzierungsprobleme im Klima- und Transformationsfonds, der warme Winter, die schlechte Konjunktur und Luftbuchungen ausgeblendet wurden.

Aber wen stört das wirklich, wenn es endlich mal eine sogenannte "gute Nachricht" übers ewige Ärgernis gibt. Bezeichnend für das Medieninteresse ist auch, dass die einen derzeit angebliche Verfehlungen Habecks beim Atomausstieg hochkochen, während andere ihn schon langsam als Kanzlerkandidat der Grünen in Stellung bringen. Klimaschutz? War da mal was?

Kaum Widerspruch aus der Wissenschaft

Dabei ist längst klar: Für Deutschland geht es real gar nicht mehr um die Einhaltung eines 1,5‑Grad-Limits. Sein CO2-Budget dafür hat dieses Land schon aufgebraucht, wies jüngst der Sachverständigenrat für Umweltfragen in einem Gutachten nach. Und selbst das Budget fürs 1,75-Grad-Limit droht Deutschland rasch zu überziehen.

Dass sich die Ampel-Koalition dazu ausschwieg, war nicht weiter verwunderlich. Aber auch aus Klimabewegung und -wissenschaft war nicht viel Unterstützung für den Umweltrat zu vernehmen.

Auch das für die Prognosen eigentlich zuständige Umweltbundesamt wird klimapolitisch noch weiter entmachtet. Mit dem neuen Gesetz dürfen nun sechs Ministerien und das Bundeskanzleramt darüber befinden, wie sich das Forschungskonsortium zusammensetzt, das die Klimaprognosen erstellt. Und wenn was nicht passt, wird es passend gemacht.

Die gesetzgeberische Auskehrleistung bei dem, was nun auch unter Mithilfe der Grünen durchs Parlament gefegt wird, ist gründlich. Neue ernsthafte Klimamaßnahmen sieht das geänderte Gesetz erst wieder ab 2029 vor. Dann sollen Maßnahmen für den Zeitraum ab 2030 vorgelegt werden. Wer im Detail wissen will, was das Gesetz bringt, kann nur die jüngste Analyse der Deutschen Umwelthilfe zurate ziehen. Auch hier hält sich die sonst so kritische Wissenschaft bisher zurück.

Was tut die Klimabewegung?

Das hindert die Ampel-Koalition nicht daran, sich international weiter als klimapolitische Vorreiterin zu präsentieren. So forderte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) gestern vor Beginn des Petersberger Klimadialogs eine globale Superreichen-Steuer zur Bekämpfung von Armut und Klimawandel.

Hierzulande wird das entmachtete Klimagesetz das Gegenteil zur Folge haben. Die Überbleibsel des Gesetzes, das Svenja Schulze einst als Umweltministerin auf den Weg brachte, lassen nicht nur die Lücke bei den CO2-Emissionen anwachsen, sondern auch die soziale Ungleichbehandlung. "Das, was jetzt passiert oder eben nicht passiert, führt dazu, dass die Reichen weniger in ihrer Freiheit eingeschränkt werden als die Armen", sagt Rechtsanwältin Roda Verheyen.

Dabei stimmt es wenig optimistisch, dass die Umwelt- und Klimabewegung außer den Appellen ans Gewissen der Abgeordneten, abtrünnig zu werden, sich vor allem weiter auf die rechtliche Auseinandersetzung fokussiert.

Das klimapolitische Arbeitsprogramm für Anwälte hat seine Berechtigung, doch allein mithilfe der Gerichte wird sich die Losung "Klimaschutz ist Menschenrecht" nicht in die nötige konkrete Klimapolitik umsetzen lassen. Gerichte schreiben keine Gesetze, sondern geben höchstens Leitlinien vor.

Die Klimabewegung, die den fiktiven Klimaschutz stoppt, ist noch nicht wiederauferstanden.