Von Luxusreisen zahlreicher Europarats-Abgeordneter nach Aserbaidschan hatte der Thinktank Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) schon 2012 berichtet. Mit teuren Zuwendungen im Gepäck und nicht selten mit politischen Ansichten ganz im Sinne des kleinen, erdöl- und erdgasreichen Staates kehrten die Politiker:innen zurück.
Neben hohen Geldbeträgen – die meist über Umwege die Abgeordneten selbst oder mit ihnen verbundene Vereine erreichten – waren es Schmuck, teure Teppiche und eben Kaviar, die bei den Besucher:innen Überzeugungsarbeit leisten sollten und schließlich den geflügelten Begriff "Kaviar-Diplomatie" prägten.
Im Zentrum dieses bis heute andauernden Korruptionsskandals, in den auch viele deutsche Unionspolitiker:innen verwickelt sind, steht der staatliche aserbaidschanische Ölkonzern Socar. Allen Skandalen zum Trotz ist der Einfluss des Unternehmens in Europa in den letzten Jahren stetig gewachsen, wie ein am heutigen Mittwoch veröffentlichter Bericht der Nichtregierungsorganisationen Urgewald und CEE Bankwatch aufdeckt.
Fossile Brennstoffe machen in Aserbaidschan nach Angaben der Internationalen Energieagentur IEA 90 Prozent der Exporteinnahmen, 60 Prozent der Staatseinnahmen und 30 bis 50 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Als größtes Unternehmen des Landes, dessen Einnahmen zu 99 Prozent aus Öl- und Gasgeschäften stammen, ist Socar von entscheidender Bedeutung für die Volkswirtschaft.
Während Aserbaidschans Ölförderung seit einigen Jahren abnimmt, produziert und exportiert das Land Jahr um Jahr mehr Erdgas.
Eine Analyse der britischen Menschenrechtsorganisation Global Witness kam zu dem Ergebnis, dass Aserbaidschan in den nächsten zehn Jahren insgesamt 411 Milliarden Kubikmeter Erdgas zu fördern plant. Das würde 781 Millionen Tonnen CO2 freisetzen – deutlich mehr als zum Beispiel die jährlichen Treibhausgasemissionen Deutschlands.
Dabei haben zahlreiche europäische Unternehmen ihre Finger in den fossilen Expansionsplänen Aserbaidschans im Spiel.
Deutsche Banken finanzieren Gasprojekte von Socar
Die Mineralölkonzerne Eni, BP und Total halten Anteile an dem größten Gasfeld des Landes, Schah Denis, und betreiben gemeinsam mit Socar Pipelines. Darunter ist der Südliche Gaskorridor, der Aserbaidschan mit Italien verbindet.
Urgewald und CEE Bankwatch heben die Rolle der Banken hervor. "Die globale Fossilindustrie kann ohne Banken nicht existieren – sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Finanzierung der Klimakrise. Aserbaidschan und Socar sind da keine Ausnahme", heißt es in dem Report.
Von 2021 bis 2023 durfte sich Socar über Kredite und weitere Finanzierungshilfen in Höhe von 6,8 Milliarden US-Dollar freuen. Der Mammutanteil stammte von Banken aus den USA und Japan.
Aber auch die niederländische Bank ING, die Schweizer Bank Cantonale de Genève und einige deutsche Banken – Raiffeisenbank, DZ Bank, Rabobank – finanzierten Aserbaidschans Gas-Expansion.
Dabei ist die ehemalige Sowjetrepublik mit zehn Millionen Einwohner:innen nur für ein Prozent der weltweiten Öl- und Gas-Produktion verantwortlich. Dass die fossile Abhängigkeit Aserbaidschans dennoch von globaler Bedeutung ist, ergibt sich aus der besonderen Rolle, die das Land in diesem Jahr einnimmt.
In wenigen Wochen beginnt in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku die COP 29, die 29. Weltklimakonferenz. Der Petrostaat hat als Gastgeber die wichtige Aufgabe, die Verhandlungen vorzubereiten und zu leiten.
Es sei fatal, bemängelt Urgewald-Energieexpertin Regine Richter, dass sich erneut ein auf fossilem Wohlstand erbautes Regime anschicke, den Ton bei den Klimaverhandlungen vorzugeben. "Die Länder mit Klima-Ehrgeiz müssen umso stärker ihren Einfluss geltend machen, sonst wird es eine verlorene COP", so die Ko-Autorin der Analyse.
Zusammen mit dem Einfluss europäischer Banken und Unternehmen auf den fossilen Extraktivismus am Kaspischen Meer wächst auch der Einfluss von Aserbaidschan und Socar in Europa. Der Konzern betreibt mittlerweile ein Tankstellennetz in der Schweiz und auch erste Tankstellen in Österreich.
Seit dem Ukrainekrieg ist Aserbaidschan außerdem ein wichtiger Erdgaslieferant für die Europäische Union. Der Gasexport in die EU soll laut einem Abkommen bis 2027 auf 20 Milliarden Kubikmeter pro Jahr ansteigen – mehr als doppelt so viel wie heute.
Wie viel Kaviar ist nötig?
Die wachsende europäische Abhängigkeit steht nicht nur aufgrund der fragwürdigen Klimapolitik des Landes in der Kritik.
Präsident Ilham Alijew regiert den Staat in Vorderasien seit mehr als zwei Dekaden diktatorisch, wie schon sein Vater Heidar Alijew die zehn Jahre vor ihm. Die Situation für die politische Opposition wie auch für Umwelt- und Menschenrechtsgruppen hat sich in den letzten Jahren immer weiter verschärft.
Gegenwärtig befinden sich rund 300 politische Gefangene in Haft. Die US-Denkfabrik Freedom House sieht in Aserbaidschan eines der unfreisten Länder der Welt und platziert es noch hinter Russland. Ähnlich schlecht schneidet Aserbaidschan beim Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen ab.
Socar ist laut dem Urgewald-Report eine "zutiefst politische Organisation" und eng verbunden mit dem Alijew-Regime. Tatsächlich war Ilham Alijew, bevor er seinem Vater auf den Präsidentenstuhl folgte, Vizepräsident von Socar. Heute ernennt und erlässt er die Mitglieder des 14-köpfigen Vorstands des Staatskonzerns.
Socar ist auch Teil der aserbaidschanischen Propaganda-Maschinerie. So vertrat das Unternehmen auf Social Media die Regierungslinie zu den Militäroperationen in Bergkarabach, in dessen Folge die armenische Mehrheitsbevölkerung vertrieben wurde.
Über die öffentliche Schützenhilfe hinaus war Socar laut dem Bericht auch an der Bestechung und Beeinflussung von Politiker:innen in der EU und den USA beteiligt.
Dabei scheinen die Bestechungstaktiken des Landes nach wie vor zu wirken. Das reicht von Europaratsabgeordneten, die als Wahlbeobachter:innen nach Aserbaidschan reisen und dem Urnengang europäische Standards attestieren, bis zu vier CDU-Politiker:innen, die mit identischen Briefen das deutsche Außenministerium aufforderten, seine Position im Bergkarabach-Konflikt zu überdenken.
Wie viel Kaviar wohl nötig ist, um auch noch bei diesem Klimagipfel ein Fossil-Ausstiegsdatum aus dem Abschlusstext herauszuhalten? CEE-Bankwatch-Koordinatorin Manana Kochladze ist in jedem Falle skeptisch, was die bevorstehenden Verhandlungen angeht: Ein Gipfel-Gastgeber, der Umwelt- und Menschenrechtsaktivist:innen systematisch bedrohe, wecke nicht gerade Zuversicht.