Die ersten Hilfsmaßnahmen sind noch nicht vollständig abgeschlossen und noch lässt sich auch nicht abschätzen, wie teuer und anstrengend der Wiederaufbau in den von der Flutkatastrophe betroffenen Regionen sein wird. Aber klar ist: Es wird lange dauern und teuer werden.
Es zeichnet sich ab, dass die Ereignisse dieses Sommers die aktuelle Energie- und Klimapolitik prägen werden. Die Flutkatastrophe wird – auch durch die Parallelität all der Flut-, Dürre- und Feuerkatastrophen an vielen Orten der Welt – dem Klimadiskurs wohl eine markant andere Richtung geben. Anders aber, als manche von uns vielleicht gedacht haben.
Ja, der Klimawandel ist da. Schneller und vor allem gravierender als auch von vielen Wissenschaftlern erwartet. Er trifft Menschen überall auf der Welt, die nicht damit gerechnet haben.
Die vollständige Wirkung dieser Ereignisse ist kaum modellierbar, denn das dynamische System der Atmosphäre, der Ozeanografie und der Meteorologie mit all seinen Kipppunkten und Wechselwirkungen ist viel zu kompliziert, als dass es persönliches Leid in den unterschiedlichsten Regionen der Welt abbilden könnte.
Eine Reihe von regionalen Katastrophen ist überdies wirkmächtiger als ein langsam ansteigender gemittelter globaler Trend, von dem man in den Nachrichten hört. Kaum jemand mit Vernunft und Herz kann sich dem entziehen.
In der Folge dieser Erfahrungen und der berechtigten intensiven Berichterstattung über den Klimawandel wird vielen Menschen bewusst, dass die Herausforderungen enorm sind. Es ist ein Dreiklang, den der Klimawandel mit all der bereits sichtbaren Brutalität einfordert.
Ein Dreiklang, der fortan immer stärker im Mittelpunkt der Klimapolitik stehen muss und wird: erstens eine viel stärkere Ausrichtung auf Anpassungsmaßnahmen und Katastrophenschutz, zweitens eine deutlich ambitioniertere Emissionsreduktion im eigenen Land und drittens eine konsequent geführte internationale Klimapolitik auf allen Ebenen.
Schnellere Anpassung, mehr Katastrophenschutz
Bei Anbahnung von Gefahren und Katastrophen ist es ein menschliches Bedürfnis, sich selbst zu schützen: die Familie, das unmittelbare Umfeld, das Dorf oder die Kommune.
Andreas Kuhlmann
leitet seit 2015 die Deutsche Energie-Agentur (Dena). Er studierte in Heidelberg, Bonn und Corvallis (USA) Physik mit Nebenfach Volkswirtschaft. Unter anderem war er in EU‑Parlament und Bundestag, bei der SPD, im Bundesarbeitsministerium und beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft tätig.
Immer mehr rückt also die Frage in den Vordergrund, was muss getan werden, damit das "eigene Umfeld" in Zukunft sicher ist. Damit die Wälder nicht abbrennen, die Landwirtschaft nicht unter Dürre leidet und man in der nächsten Großstadt-Hitze bestehen kann.
Vor allem auch ganz konkret: Wie können die eigenen Häuser und Dörfer in Zukunft von Flutkatastrophen besser geschützt werden? Und auch die Sorge um klimabedingte Migration wird stärker in den Vordergrund rücken.
Schwierige Debatten stehen uns bevor, so bitter es ist. Insgesamt zeichnen sich Diskussionen und Forderungen ab, die teuer, aufwendig und gesellschaftspolitisch schwierig werden. Sie werden Auswirkungen auf die unterschiedlichsten Politikfelder haben und die Politik in Zukunft massiv in Anspruch nehmen.
Druck auf die deutschen Klimaziele in der EU
Das Verständnis für einen Mangel an Mut und Entschlossenheit beim eigenen Klimaschutz wird schwinden. Das heißt: Raus aus der Defensive! Keine Kompromisse oder nur die, die unbedingt erforderlich sind. Klimaneutralität muss schnell erreicht werden. So schnell wie möglich.
Auch das wird Konsequenzen haben: Strukturbrüche werden schneller kommen, als viele hofften. Keine Zeit mehr für ewig lange Planungen und Risikoabwägungen. Mehr Druck, mehr Entscheidungen, mehr Aktion, mehr Risiko sind gefragt.
Das wiederum heißt: Der Strukturwandel in betroffenen Regionen wird sich beschleunigen müssen. Menschen werden sich zurückgesetzt fühlen, neue gesellschaftliche Spannungen entstehen.
Allein mit klimapolitischen Instrumenten wird man dem nicht ausreichend begegnen können. Ein bisschen Rückverteilung von CO2-Preis-Geldern hier oder da wird sicher nicht reichen.
Die notwendigen Entwicklungen der nahen Zukunft treffen auf jene der Vergangenheit, die zu einer größer werdenden Schere zwischen Milieus mit niedrigen und mit hohen Einkommen geführt haben. Das ist umso stärker hinderlich.
Die transformativen Veränderungen brauchen daher einen stärkeren Fokus auf die Leistungsfähigkeit aller sozialen Gruppen in Deutschland. Dabei geht es um Sozialpolitik, aber vor allem um Steuerpolitik, Bildungspolitik und Fiskalpolitik. Im Bund, in den Ländern und in den Kommunen.
Zu vermeiden sind eine Vertiefung gesellschaftlicher Spannungen und eine wachsende Polarisierung. Diese Gemengelage könnte sonst den klimapolitisch erforderlichen Maßnahmen den Boden entziehen.
Konsequente internationale Klimapolitik
Die internationale Klimapolitik ist im gegenwärtigen deutschen Diskurs gnadenlos unterschätzt. Eine auf globalen Klimaschutz ausgerichtete Außenpolitik muss zum zentralen Politikfeld Deutschlands und der EU werden.
Wenn man dem lobenswerten European Green Deal etwas Kritisches entgegenhalten kann, dann, dass er zu wenig über den europäischen Tellerrand schaut. Ja, er enthält internationale Komponenten, aber das ist zu wenig.
Gleiches gilt für die deutsche Außenpolitik. Eine erfolgreiche internationale Klimapolitik ist unabdingbar. Jede Tonne CO2 trägt zum Klimawandel bei – ob in Deutschland oder sonst in der Welt ausgestoßen.
Es braucht Vereinbarungen, die den geplanten europäischen CO2-Grenzausgleich und in Zukunft einzuführende Leitmärkte für klimaneutrale Produkte im internationalen Wettbewerb erst möglich machen. Das wiederum ist die Grundlage dafür, dass die Wünsche nach Carbon Contracts for Difference für die verschiedensten Produkte und Prozesse uns finanziell nicht überfordern werden.
Klimapolitik – national, europäisch, global – wird nur funktionieren, wenn die Anstrengungen in diesem Politikfeld deutlich erhöht und gemeinsame handelspolitische Lösungen gefunden werden.
Einen kühlen Kopf behalten
"I want you to panic", hat Greta Thunberg den Wirtschaftsführern der Welt 2019 in Davos zugerufen. Angesichts der aktuellen Katastrophen klingt das fast wie eine düstere Prophezeiung.
Angst aber ist keine gute Begleiterin. Panik wächst und sie wird dazu führen, dass die Anstrengungen größer werden, sich aber sehr auf Schutzmaßnahmen vor Ort richten.
Die Aufgabe wird es sein, einen kühlen Kopf zu behalten und eine kluge Politik zu entwickeln, die den beschriebenen Dreiklang zu einem gangbaren Pfad macht. Die personellen und finanziellen Ressourcen sollten so effizient wie möglich eingesetzt werden. Die nächste Bundesregierung braucht viel Managementkompetenz, Entschlossenheit und eine eindeutige Richtung.