37 Prozent aller Hitzetoten der letzten dreißig Jahre sind dem Klimawandel geschuldet. Das ist der statistische Mittelwert über all die Länder, die eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern unter Leitung von Ana Vicedo-Cabrera von der Universität Bern und Antonio Gasparrini von der London School untersucht hat. Die Ergebnisse sind jetzt im Fachjournal Nature Climate Change erschienen.
Diese 37 Prozent sind eine globale Abschätzung mit den zur Verfügung stehenden Daten. Die tatsächlichen Todeszahlen durch den Klimawandel im Zusammenhang mit Hitze liegen höchstwahrscheinlich höher.
Wir können gar nicht überschätzen, wie wichtig diese Studie ist, denn sie zeigt eindrücklich, wie tödlich der menschengemachte Klimawandel ist. Hier und heute – nicht irgendwann in ferner Zukunft irgendwo anders. Zu viele Menschen haben das noch nicht verstanden, und ich hoffe sehr, dass die neue Zahl hilft, es wirklich deutlich zu machen.
Die Studie nutzt die weltweit größte Datenbank zu Übersterblichkeit und Wetter, um an über 700 Orten die Zahl der Hitzetoten zu ermitteln. Anschließend werden mithilfe von zehn verschiedenen aktuellen Klimamodellen die Temperaturen an diesen Orten simuliert, und zwar unter zwei Szenarien.
Ein Szenario entspricht der Welt, wie sie faktisch ist, mit einer Modellatmosphäre, die sich so zusammensetzt wie die reale Atmosphäre der letzten 30 Jahre, inklusive aller Treibhausgase.
Das zweite Szenario simuliert eine Welt, in der die Menschheit in den letzten 30 Jahren keine fossilen Energieträger verbrannt hätte.
Nicht die erste Studie
Im Vergleich der beiden Szenarien ergibt sich die vom Klimawandel verursachte Änderung infolge der zu höheren Sterberaten führenden Hitze – und zusammen mit dem ersten Schritt die Zahl der Hitzetoten, die nur aufgrund des Klimawandels gestorben sind.
Dies ist nicht die erste Studie, die Hitzetote kausal dem Klimawandel zuordnet. Es gab bereits welche für einzelne Hitzewellen im Jahr 2003 in Paris und London sowie für ganz Großbritannien 2003 und 2018. Beide Studien kommen unter Verwendung ähnlicher Methoden zu dem Ergebnis, dass etwa die Hälfte der Hitzetoten dieser beiden Extremereignisse dem Klimawandel zuzuordnen ist.
Friederike Otto
Die Physikerin und Philosophin ist Mitbegründerin der Attributionsforschung, die den Anteil des Klimawandels an Extremwetterereignissen berechnet. Otto ist geschäftsführende Direktorin des Environmental Change Institute an der Universität Oxford.
Darüber hinaus wissen wir seit Langem, dass Hitzewellen, auf jeden Fall in Europa, die mit Abstand tödlichsten Extremwetterereignisse sind, und wir wissen auch, dass der Klimawandel in Bezug auf Hitzewellen ein echter "Gamechanger" ist.
An vielen Orten hat sich die Wahrscheinlichkeit für Hitzewellen, wie wir sie in den vergangenen Sommern oft erlebt haben, durch den Klimawandel vervielfacht, teilweise um das Hundertfache und mehr.
Es ist also kein Geheimnis, dass Hitze tötet und dass wir durch das Verbrennen von Kohle, Gas und Öl sehr viel mehr und heißere Hitzewellen erleben. Trotzdem nehmen wir sie nicht wirklich ernst.
Das Bemerkenswerteste an der Studie von Vicedo-Cabrera und Kollegen sind dabei nicht die 37 Prozent der Hitzetoten, von denen wir jetzt wissen, dass sie durch den Klimawandel umkamen, sondern es sind all diejenigen, von denen wir nie erfahren werden.
Denn ein Großteil der Weltkarte in der Studie ist leer. Nicht, weil es dort keine Hitzewellen oder keine erhöhte Sterblichkeit gibt, sondern weil niemand die Daten erhebt.
Kaum Daten aus Afrika
Besonders deutlich wird dies auf dem afrikanischen Kontinent, wo Hitzetote in den allermeisten Fällen nicht registriert werden. Und nicht nur das, auch Hitzewellen werden in den meisten Ländern nicht aufgezeichnet.
Das bedeutet auch, dass es keine Hitzewarnungen gibt, keine Informationen, wie und wo man sich schützen kann. Es werden also eher mehr Menschen sterben als in Ländern und Städten, in denen es Hitzeaktionspläne gibt.
Tacheles!
In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrats in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.
Die tatsächliche Zahl der Hitzetoten aufgrund des Klimawandels dürfte also deutlich höher sein als von Vicedo-Cabrera und ihrem Team berechnet.
Wir müssen endlich anfangen, diese dramatischen Zahlen und damit den menschengemachten Klimawandel ernst zu nehmen und unsere Mitmenschen zu schützen.
Die gleiche demografische Gruppe, die ein besonders hohes Risiko hat, schwer an Covid-19 zu erkranken, weist auch eine deutlich erhöhte Sterberate bei Hitze auf.
Die Maßnahmen, die wir gegen die Hitzefolgen ergreifen müssen, sind bekannt: Menschen informieren, öffentliche Wasserspender aufstellen, Städte begrünen, Häuser besser isolieren.
Diese Schritte haben nicht nur deutlich weniger Nachteile als die Coronamaßnahmen, sondern in den meisten Fällen auch zusätzliche Vorteile. Sie helfen nicht nur bei der Anpassung an den Klimawandel, den wir jetzt schon haben, sondern auch beim Vermeiden weiterer Treibhausgasemissionen und damit von noch viel mehr Hitze.
Vielleicht können diese und ähnliche sowie weitere Studien, die zeigen, wen und was wir schon alles durch den Klimawandel verloren haben, dazu beitragen, dass die Menschen und Ökosysteme, die wir noch schützen können, eine stärkere, einflussreichere Lobby bekommen.