Die aktuellen Zustände im Verkehr sind keine Naturgewalten. Sie sind Ergebnisse aktiver politischer Entscheidungen der Siedlungs-, Wirtschafts- und Verkehrspolitik der letzten Jahrzehnte sowie der gesellschaftlichen Tradierung einer angenommenen Normalität.

Neben Gesundheitsschäden durch Luftverschmutzung und Lärm zeigen sich die Folgen des verkehrlichen Flächenfraßes auch durch den zunehmenden sommerlichen Hitzestress in städtischen Wärme-Inseln sowie durch mehr Starkregen und Überschwemmungen.

 

Zugleich werden Forderungen nach mehr Flächengerechtigkeit bei der Nutzung des öffentlichen Raums immer lauter, besonders in Städten und urbanen Ballungszentren. Auch das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2021 stellt unmissverständlich klar: Nur mit einer Transformation des autozentrierten Verkehrssystems lassen sich die Klimaziele erreichen.

Bei der sozial-ökologischen Transformation haben die Kommunen eine Schlüsselrolle. Sie sind es, die konkrete Änderungen des Status quo vor Ort erreichen müssen.

Um die Transformation zu bewältigen, genügt es nicht, dass wissenschaftliches Wissen vorliegt, das den Handlungsdruck unterstreicht. Darüber hinaus braucht es einen konstruktiven Dialog und Offenheit, um die unterschiedlichen lokalen Perspektiven, Problemsichten und Lösungsideen einzubeziehen und in einen Aushandlungsprozess zu bringen. Für diesen Modus der gemeinsamen Wissensproduktion hat sich in der Transformationsforschung der Begriff "Ko-Produktion" etabliert.

Das Ziel ist, unterschiedliche Wissensbestände und -akteure zu integrieren, um "sozial robustes Wissen", wie es die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny fordert, für lokale Nachhaltigkeitsprobleme zu erzeugen.

Die Idee der gemeinschaftlichen Ko-Produktion von Transformationswissen ist komplex. Das zeigt sich gerade bei gesellschaftlich konfliktreichen Themen.

In der praktischen Forschung an den lokalen Transformationsbaustellen geht es dabei um konkrete Formate, die diesen Austausch und Dialog ermöglichen und unterstützen können. Welche (wissenschaftlichen) Formate eignen sich eigentlich für die transdisziplinäre Kommunikation im öffentlichen Raum und speziell für jene zwischen Wissenschaft und lokal betroffenen Menschen?

Eine öffentliche Diskussion vor Ort

Ein anschauliches Beispiel dafür bieten zwei öffentliche Veranstaltungen der Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), die in diesem Jahr im "Projekt Graefekiez" in Berlin-Kreuzberg organisiert wurden. In dem Innenstadtquartier sollen die Stellflächen für Autos eine Zeitlang reduziert werden.

Foto: David Außerhofer

Juliane Haus

ist wissen­schaftliche Mitarbeiterin in der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung des Wissenschafts­zentrums Berlin für Sozial­forschung (WZB) und beobachtet die Verkehrs­geschehnisse aus der Stadtrand-Sicht. Ihr Beitrag erscheint auch im WZB-Blog der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität.

Im April wurden dort bei einer ersten öffentlichen Informationsveranstaltung das Projekt und einige der Forschungs- und Beteiligungsakteure vorgestellt. Für den ersten Samstag im Juni hatte dann die WZB-Forschungsgruppe zu einer sogenannten Fishbowl-Diskussion zum Thema "Parken oder Nicht-Parken im Graefekiez" eingeladen.

In der Diskussionsrunde vor Ort nahmen – neben den Wissenschaftler:innen – Anwohner:innen und Gewerbetreibende aus dem Kiez teil und auch die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann (Grüne). Mit Blick auf das Vorhaben einer transdisziplinären Wissensproduktion war das eine interessante Mischung ganz unterschiedlicher Akteur:innen.

Mit dem Fishbowl-Format verbindet sich die Absicht, die Diskussion in einer größeren Gruppe zu ermöglichen. Dazu wird die Gruppe in einen inneren und einen äußeren Kreis unterteilt. Im inneren Kreis stehen häufig Stühle bereit, auf denen die Personen Platz nehmen, die sich durch eine Frage oder Anregung aktiv in die Diskussion einbringen möchten.

Danach können jeweils Personen des äußeren Kreises diesen Platz einfordern, um selbst zu sprechen. Nur die Personen im inneren Kreis haben Rederecht, und dies auch erst, wenn sie an der Reihe sind.

Einige kommen immer, andere kommen nie

Beide öffentlichen Veranstaltungen zogen erwartungsgemäß auch gut mobilisierte Kritiker:innen an. Einzelnen Beteiligten ging es offenbar sogar um gezielte Desinformation.

Wie sehr das Thema Mobilitätswende polarisiert, trat in der Fishbowl-Diskussion noch deutlicher zutage als in der Informationsveranstaltung. Fast alle Statements stiegen mit einer Pro- oder Kontra-Positionierung zu dem Verkehrsversuch und zur lokalen Parkplatz-Reduktion ein und illustrierten dies mit persönlichen Erfahrungen und Betroffenheitsbekundungen.

Deutlich wurde aber auch, dass eine weitere Suche und Sensibilisierung für Formate notwendig ist, die auch andere Personengruppen anspricht und aktiviert.

Bei beiden Vor-Ort-Veranstaltungen zeigte sich sehr deutlich, dass trotz des hohen Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund, gerade mit türkischen Wurzeln im Projektgebiet, sich niemand aus dieser Gruppe an den Diskussionsformaten beteiligen wollte.

Bei aller kritischen Selbstreflexion ist aber auch klar, dass solche Formate lediglich als Angebot gedacht sind, um einen Raum für Kommunikation, Information und Austausch zu bieten.

Ein inklusives Angebot ist bestrebt, möglichst viele Perspektiven zu integrieren. Zugleich gilt es anzuerkennen, dass sich das Problem der Selbstauswahl nicht lösen lässt. Entscheiden sich Menschen, an Befragungen oder Veranstaltungen nicht teilzunehmen, ist das ebenso ihr Recht wie nicht zur Wahl zu gehen.

Toleranzgrenze überschritten

Daran anknüpfend stellt sich dennoch die Frage, wie sehr sich Wissenschaft anstrengen sollte und muss, um ihre Inhalte zu vermitteln.

Nicht nur im Fall der Fishbowl-Runde zeigte sich: Solche öffentlichen Formate ziehen auch Menschen an, die schlichtweg kommen, um Wut und Grundsatzkritik zu äußern, und nicht an den Argumenten der anderen Seite oder an einer wirklichen Diskussion interessiert sind.

Bei der "Fishbowl"-Diskussion Anfang Juni am Zickenplatz im Berliner Graefekiez ging es teilweise hoch her. (Bild: Christian Kielmann)

Offenheit gegenüber Kritik gehört zum wissenschaftlichen Geschäft und kommt auch in solchen Situationen nicht überraschend. Zudem befeuert die Art der Berichterstattung vieler Medien über die Mobilitätswende oft ganz bewusst eine Polarisierung und Meinungsspaltung.

Kritik, Diskreditierung und Ablehnung gegenüber wissenschaftlichen Studien und Erkenntnissen und das Infragestellen der demokratischen Legitimation solcher Versuche – im Fall des Graefekiezes war das ein Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung – stellen jedoch eine kommunikative Herausforderung dar.

Die Intensität der Auseinandersetzung vor Ort überschreitet dabei häufig die Toleranzgrenze vieler Forschender. Verbale Attacken von Kritiker:innen sind oft nicht sachbezogen, sondern werden schnell persönlich und übergriffig.

Gebraucht werden hier entsprechende Kommunikationsstrategien und auch ein dickes Fell, um solche Situationen souverän zu bewältigen. Teams – gerade mit jungen Forschenden – tun gut daran, die eigenen Kompetenzen und Kapazitäten regelmäßig zu reflektieren und auch Raum dafür zu schaffen, dass Überforderung mitgeteilt werden kann.

Für diesen Aspekt des "Festbeißens" einzelner Kritiker:innen an Forschenden erwies sich eine striktere Redeorganisation wie im Fishbowl-Format als durchaus positiv.

Wenn nur die eigene Sicht zählt

Eine zweite wichtige Erfahrung betrifft die Legitimation und Anerkennung von wissenschaftlichen Studien und Ergebnissen, aber auch von darauf aufbauenden politischen Entscheidungen. Im Fall des Graefekiezes wurde im Jahr 2021 im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine repräsentative Befragung durchgeführt. Diese ermittelte die Zustimmungswerte für Verkehrswendemaßnahmen in dem Stadtbezirk mit knapp 300.000 Einwohner:innen.

Eine wissenschaftliche Legitimation, die sich aus repräsentativen Stichproben ergibt, wird von Kritiker:innen jedoch vielfach nicht anerkannt – mit dem einfachen Verweis darauf, dass man selbst nicht befragt wurde.

So bleibt ein grundlegendes Problem: Wie kann Wissenschaft glaubhaft die Legitimität ihres eigenen Vorgehens vermitteln und beanspruchen und durch repräsentative Erhebungen überzeugen, wenn die Bürger:innen aus einer subjektiven Perspektive schlicht feststellen, dass sie persönlich nicht gefragt wurden, die geplanten Veränderungen sie aber persönlich betreffen.

Hier zeigt sich eine deutliche Verbindung zur angesprochenen starken Inwertsetzung der eigenen Erfahrungen und Problemsichten und dem Anspruch, dass eine lokale Veränderung auch eine Verbesserung für einen selbst bringen muss.

Raus aus der Wohlfühlzone

Aber ist diesen Menschen abzusprechen, dass ihnen an einer Verbesserung ihrer Lebensumstände gelegen ist? Zeigt sich nicht auch hier, dass es bisher vielfach nicht gelungen ist, der Sorge vor Veränderungen starke positive Gegenentwürfe und Narrative entgegenzustellen?

Ein Austausch von Meinungen und Positionen unter Gleichgesinnten ist wissenschaftlich eingeübte Praxis und auch notwendig, trägt jedoch wenig zur Bewältigung der Transformations-Herausforderungen bei. Der Blick über den Tellerrand und das Verlassen der eigenen Wohlfühlzone der gleichgesinnten (wissenschaftlichen) Gemeinschaft sind zentral, um in der Auseinandersetzung mit allen gesellschaftlichen Gruppen das notwendige Transformationswissen aufzubauen.

Ko-Produktion braucht diese aktive Auseinandersetzung mit anderen, heterogenen Wissensbeständen und Perspektiven. Je inklusiver dies erfolgt, umso besser ist das für die angestrebte Perspektivenvielfalt.

Um dort hinzukommen und die Idee der Ko-Produktion nicht nur als Formel zu nutzen, sind praktische Einblicke und eine kritische Reflexion der eingesetzten Formate ein wichtiger Baustein.

 

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).