Karikatur: Die Eltern erklären dem Sohn, wie er das Vermögen vermehren soll, während vor der Tür das Klima kollabiert.
Fragen des Lebens. (Karikatur: Gerhard Mester, Copyright: SFV/​Mester)

Die Länder der Europäischen Union sind Vorreiter beim Klimaschutz, zumindest verglichen mit anderen Industriestaaten. Zwischen 1990 und 2019 ist der Treibhausgas-Ausstoß unionsweit um rund ein Viertel gesunken. Eine neue Studie zeigt nun, dass die Einsparleistung bei den konsumbedingten Emissionen sozial sehr ungleich verteilt ist.

Denn während die Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen CO2 einsparten, haben die reichsten zehn Prozent ihren Ausstoß sogar gesteigert. Sie stärker am Klimaschutz zu beteiligen wäre danach also ein Gebot der Fairness.

Die Entwicklungsorganisation Oxfam hat die Emissionen verschiedener Einkommensgruppen zwischen 1990 und 2015 untersucht, daran beteiligt war das renommierte Stockholm Environment Institute (SEI). In diesem Zeitraum ist nicht nur die ökonomische Ungleichheit in den EU-Mitgliedsländern – außer in Belgien – gewachsen, wie Daten des "World Inequality Lab" der École d’Économie de Paris zeigen.

Auch die ökologische Schieflage hat sich verschärft. Flugreisen und Autofahrten mit immer größeren und PS-starken Autos spielen hier eine große Rolle, und da sind überproportional die Sehr-gut- und Topverdiener dabei. Titel der Studie: "Confronting Carbon Inequality in the European Union".

In den untersuchten 15 Jahren sanken die konsumbedingten CO2-Emissionen EU-weit um rund zwölf Prozent. Die ärmste Hälfte der Haushalte reduzierte ihren CO2-Ausstoß dabei um fast ein Viertel (24 Prozent), diejenigen mit mittlerem Einkommen um 13 Prozent. Im Gegensatz dazu legten die reichsten zehn Prozent der Europäer:innen um drei Prozent zu, das reichste Prozent sogar um fünf Prozent.

Oxfam teilt dazu mit: "Insgesamt waren die reichsten zehn Prozent der EU-Bürger:innen für genauso viele Emissionen verantwortlich wie die ärmere Hälfte der EU-Bevölkerung – jeweils 27 Prozent der gesamten EU-Emissionen." Haushalte mit einem mittleren Einkommen waren für 46 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich.

Wer viel verdient, emittiert auch viel

Das reichste Prozent der Europäerinnen und Europäer hatte laut der Studie 2015 ein Jahreseinkommen von 89.000 Euro aufwärts (Deutschland: 171.000 Euro), bei den reichsten zehn Prozent waren es mindestens 41.000 Euro (67.000). Die mittleren 40 Prozent lagen zwischen 20.000 und 41.000 Euro (32.000 bis 67.000), die ärmere Hälfte kam auf unter 20.000 Euro (32.000).

Laut Untersuchung ist auch die Ungleichheit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten groß. So seien die reichsten zehn Prozent der Menschen aus Deutschland, Spanien, Italien und Frankreich für ebenso viele Emissionen verantwortlich wie die gesamte Bevölkerung von 16 EU-Staaten zusammen.

Andererseits verursachten beispielsweise die reichsten zehn Prozent der Haushalte in Polen – rund 3,8 Millionen Menschen – einen höheren Treibhausgasausstoß als die gesamte Bevölkerung Schwedens oder Ungarns, wo jeweils knapp zehn Millionen Menschen leben. Als Gründe dafür nennen die Studienautoren die exzessive Nutzung von Kohleenergie in Polen sowie die große soziale Ungleichheit in dem Land.

Auch in Deutschland geht die Schere auseinander. Zwischen 1990 und 2015 waren die reichsten zehn Prozent für gut ein Viertel (26 Prozent) der CO2-Emissionen verantwortlich und damit für fast genau so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung (29 Prozent).

40 Prozent der Deutschen mit mittlerem Einkommen verursachten 45 Prozent der Emissionen. Die Reduktion des CO2-Ausstoßes hierzulande sei vor allem eine Leistung der ärmeren 90 Prozent, schreibt Oxfam. Die ärmere Hälfte der Deutschen habe fast ein Drittel eingespart, die 40 Prozent der Bürger mit mittlerem Einkommen hätten 27 Prozent geschafft.

Die reichsten zehn Prozent haben dagegen laut den Daten nur 13 Prozent reduziert. Das reichste eine Prozent sparte sogar überhaupt nichts ein.

Oxfam fordert Vielflieger-Abgabe

Oxfam-Studienautorin Mira Alestig kommentierte die Ergebnisse so: "Es kann nicht sein, dass sich Gutverdiener:innen in Deutschland und Europa einen Lebensstil auf Kosten des Klimas leisten, während die Emissionsreduzierung der vergangenen Jahrzehnte auf das Konto der Gering- und Durchschnittsverdiener:innen in Europa geht."

Weit radikalere Einschnitte beim CO2-Ausstoß seien nötig, um die Klimaziele der nächsten Dekade zu erreichen. Dazu müssten alle ihren fairen Beitrag leisten, so die Oxfam-Expertin.

Für den Klimaschutz reiche es nicht, eine Solaranlage zu haben und Bioprodukte zu kaufen, machte Alestig im Deutschlandfunk-Interview deutlich. "Je mehr man verdient, desto mehr fliegt man und desto mehr fährt man mit dem Auto."

Oxfam fordert als Maßnahmen etwa ein Verbot klimaschädlicher SUVs und Steuern auf häufiges Fliegen. Die Einnahmen sollten Regierungen in klimaeffiziente Mobilität, in öffentliche Infrastruktur sowie in soziale Sicherung investieren.

Um die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, wie im Pariser Klimavertrag angestrebt, sind alle EU-Bürger:innen beim CO2-Sparen gefragt – allerdings doch in sehr unterschiedlichem Maße. Laut Oxfam-Kalkulation müsste die ärmere Hälfte die durchschnittlichen Emissionen bis 2030 in etwa halbieren. Die reichsten zehn Prozent müssten dagegen auf ein Zehntel des bisherigen Werts runter, das reichste Prozent gar auf ein Dreißigstel.

Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag wird es zwar um das neue CO2-Ziel der Union für 2030 gehen, vorgeschlagen sind von der EU-Kommission "mindestens 55 Prozent" gegenüber 1990. Eine soziale Differenzierung ist dabei allerdings nicht vorgesehen.

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