Der Bundeskanzler reist in ein Land, das liebend gern Erdgas liefern will? Bei Umweltschützern lässt das die Alarmglocken schrillen, seit Olaf Scholz mit dem Gasgeschäft in Senegal auch gleich noch eine Verpflichtung vom Glasgower Klimagipfel abräumte – offensichtlich von ihm befürwortet. In Glasgow hatte sich neben anderen Industrieländern auch Deutschland verpflichtet, keine fossilen Projekte im Ausland mehr zu finanzieren.
Der Senegal-Deal habe auf dramatische Weise in die falsche Richtung gewiesen, erinnerte Constantin Zerger von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) am Donnerstag bei einem Medientermin. Der Energie- und Klimaexperte sieht Parallelen zu der seit März 2021 bestehenden Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und Kanada.
Hinter den Kulissen sei es dabei zuletzt vermehrt um Flüssigerdgas (LNG) gegangen, sagte Zerger. Kanadas Regierung und dortige Unternehmen hätten sehr offensiv dafür geworben, Deutschland kanadisches Gas zu verkaufen.
Wenn Scholz am Sonntag zusammen mit Wirtschaftsminister Habeck und einer deutschen Wirtschaftsdelegation nach Kanada reist, befürchtet Zerger, dass Gasgeschäfte Teil der Gespräche werden, auch wenn es dafür noch keine offizielle Ankündigung gebe.
Ein wachsender Bedarf nach Flüssigerdgas wird aus Zergers Sicht in Deutschland aber gerade geschaffen. Denn die großen landseitigen LNG-Terminals, die Deutschland an der Küste errichten will, brauchten langfristige Gas-Lieferverträge für zehn, 15 oder auch 20 Jahre.
Indigener Protest
Die Furcht, der deutsche Regierungschef könnte den Lockrufen der kanadischen Öl- und Gasindustrie erliegen, treibt auch Ron Tremblay um, Grand Chief der indigenen Bevölkerungsgruppe der Wolastoqiyik im Osten Kanadas. Deren Gebiet zieht sich beiderseits des Wolastoq (Saint John River) über rund 1.000 Kilometer durch mehrere Bundesstaaten und gilt als kulturelles Zentrum der First Nations, wie die indigenen Völker in Kanada genannt werden.
Tremblay, von jenseits des Atlantiks zugeschaltet, erinnerte beim DUH-Termin daran, dass es schon 2013 massive Versuche gab, Fracking-Projekte am Wolastoq durchzusetzen. Damals kam es auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Fracking-Gegnern und Polizei.
Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen kritisierten zu der Zeit, Kanada dürfe seine Energieprobleme nicht auf Kosten indianischer Landrechte lösen. Zudem drohten Grund- und Trinkwasser durch die beim Fracking eingesetzten Chemikalien kontaminiert zu werden.
Auch er sei 2013 wegen des Widerstands gegen die Fracking-Projekte verhaftet worden, erzählte Ron Tremblay. "Wir wollen nicht, dass so etwas noch einmal passiert und unser Territorium zerrissen wird", erklärte der Grand Chief.
Teilweise aus Fracking
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine versuche die kanadische Öl- und Gasindustrie, Deutschlands Energieunsicherheit auszunutzen, um den Flüssigerdgas-Export zu fördern, stützte Caroline Brouillette vom Climate Action Network Canada beim Medientermin die Befürchtungen deutscher Umweltschützer. Dazu gehöre auch der Bau neuer LNG-Infrastruktur an der Ostküste des Landes.
Dem Ausbau der Gasförderung stehe nicht nur Kanadas Klimaverpflichtung entgegen, den CO2-Ausstoß bis 2030 um 30 Prozent gegenüber 2005 zu senken, betonte Brouillette, sondern auch das Ziel, die Emissionen aus dem Öl- und Gassektor zu reduzieren. Die Ausweitung der LNG-Produktion stehe dazu im Widerspruch.
Die Klimaschützerin widersprach auch dem Eindruck, kanadisches Gas sei sauber. Das sei bei Weitem nicht der Fall. Erdgas werde in Kanada entweder durch Fracking oder durch Bohrungen im Meer vor der Küste gewonnen – beides berge das Risiko, Umwelt und Klima zu schädigen.
Insgesamt sind nach Brouillettes Angaben an der kanadischen Ostküste vier LNG-Projekte geplant. Allerdings sei keines dieser Vorhaben so weit fortgeschritten, dass es Deutschland in den kommenden zwei oder drei Wintern helfen könnte.
Tatsächlich benötigten die geplanten LNG-Terminals noch drei bis zehn Jahre, um betriebsbereit zu sein. "Kanadisches Gas wird Deutschlands Energieprobleme nicht lösen", fasste die Aktivistin zusammen.
Wasserstoff – nur grün oder auch blau?
Bei der Kanzler-Reise soll zwischen Deutschland und Kanada auch eine Wasserstoff-Partnerschaft abgeschlossen werden. Gegen Wasserstoffprojekte habe die DUH nichts, erklärte Zerger. Für die kommende Dekade rechne er mit größeren Wasserstoffimporten nach Deutschland.
Selbstverständlich müsse auch die Wasserstoff-Produktion in Kanada zu einer regionalen und nachhaltigen Entwicklung beitragen, die die Rechte der First Nations anerkennt und die betroffenen Gemeinden beteiligt, sagte Zerger. Und natürlich ist für den DUH-Experten auch nur der Import von grünem Wasserstoff akzeptabel.
Nach Zergers Eindruck will die kanadische Seite aber auch sogenannten blauen Wasserstoff an die Kundschaft bringen, hergestellt aus Erdgas und ergänzt mit CCS. Der Kanzler solle deutlich machen, dass es um grünen Wasserstoff gehe und nicht um angeblich "sauberes", sogenanntes clean hydrogen, forderte der DUH-Experte.
Aus Zergers Sicht müssen Scholz und seine Begleitung mit klaren Forderungen nach Kanada fliegen. Es dürfe keine Shopping-Tour für Flüssiggase geben, der Fokus habe klar auf den erneuerbaren Energien zu liegen. Neuen Erdgasprojekten in Kanada für den deutschen Markt müsse der Kanzler eine klare Absage erteilen – und solche Projekte dürften auch nicht finanziert werden.
Senegal lässt grüßen.