Stau auf der Autobahn.
Stau im Bundesverkehrsministerium – jetzt auch schwarz auf weiß bestätigt vom Klima-Expertenrat. (Foto: Gerhard Gellinger/​Pixabay)

Der Verkehrssektor crasht das deutsche Klimaziel für 2030 – was für Klimaschützer seit Monaten klar ist, bestätigt jetzt der Expertenrat für Klimafragen auch schwarz auf weiß. Der Rat stellte am heutigen Donnerstag seinen Prüfbericht zu den Sofortprogrammen vor, die die zuständigen Ministerien im Juli vorgelegt hatten.

Beim Verkehr bescheinigt der Rat dem Minister Volker Wissing (FDP), dass die vorgeschlagenen Maßnahmen bis 2030 insgesamt 14 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Das reiche aber nicht aus, um auf einen Minderungspfad zu kommen, der den Vorgaben des Klimaschutzgesetzes entspricht, erklärte Brigitte Knopf, stellvertretende Ratsvorsitzende. Rechnerisch ergebe sich eine "Erfüllungslücke" von 261 Millionen Tonnen.

Erfüllungslücke bedeutet: Die Emissionsmenge aus dem Verkehr liegt 2030 um insgesamt 261 Millionen Tonnen über dem Budget, das vom Klimagesetz für die Zeit von 2020 bis 2030 vorgegeben ist. Die vom Rat errechneten 261 Millionen bewegen sich dabei nahe der 270 Millionen Tonnen, auf die das Wirtschaftsministerium die Lücke schon vor einigen Wochen bezifferte.

Bleibt es beim aktuellen Emissionsniveau, dürfte der Verkehrssektor, um sein gesetzliches CO2-Bugdet einzuhalten, nach den Angaben des Rates im Jahr 2029 gar keine Treibhausgase mehr emittieren und müsste 2030 sogar enorme Minusemissionen erbringen.

Das erscheint wenig realistisch. Wenn nicht andere Sektoren mehr einsparen als klimagesetzlich vorgeschrieben, droht das deutsche Klimaziel für 2030 am Verkehr zu scheitern.

Das Verkehrsministerium geht offenbar weiter davon aus, dass sein Sofortprogramm nur die drei Millionen Tonnen CO2 auszugleichen habe, um die der Verkehr sein konkretes Klimaziel für 2021 überzog. Zu weiteren Maßnahmen für den Sektor wird im Hause Wissing auf das in den Herbst verschobene Klimaschutzprogramm der Bundesregierung verwiesen.

Angesichts dessen beschränkte sich der Klimarat auf die Feststellung, dass das Sofortprogramm des Verkehrsministeriums den Paragrafen 8 des Klimaschutzgesetzes "nicht einhält". Dieser schreibt vor, dass das Sofortprogramm die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des jeweiligen Sektors "für die folgenden Jahre sicherstellt".

Wie sich möglicherweise weitere Maßnahmen des bisher nur in diversen Entwürfen vorliegenden Klimaschutzprogramms auf die Verkehrsemissionen auswirken, prüfte der Expertenrat nach eigenen Angaben nicht.

Umweltschützer reichen Klage ein

"Was der Verkehrsminister für den Klimaschutz tun will, ist so bedeutungslos, dass es dem Expertenrat nicht einmal eine vertiefende Prüfung wert ist", kommentierte Malte Hentschke-Kemper vom Bündnis Klima-Allianz den Vorgang. Bundeskanzler Scholz dürfe Verkehrsminister Wissing seine "Arbeitsverweigerung" in Sachen Klimaschutz nicht länger durchgehen lassen.

Wegen des Verstoßes gegen den Paragrafen 8 des Klimagesetzes erhebt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Klage vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, wie die Organisation jetzt mitgeteilt hat. Die DUH strebt eine Verurteilung der Bundesregierung an, sodass diese ein gesetzeskonformes Klima-Sofortprogramm vorlegen muss – vor allem mit sofort wirksamen Maßnahmen gegen die CO2-Emissionen im Verkehr.

Das von Wissing vorgelegte Sofortprogramm sei "eine Farce" und klar gesetzeswidrig, sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. "Ohne Tempolimit, Stopp der Dienstwagen-Förderung gerade bei besonders spritdurstigen Fahrzeugen und einen massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Bahn, inklusive 365-Euro-Klimaticket, ist kein gesetzeskonformes Sofortprogramm denkbar."

Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH in dem Rechtsstreit vertritt, kritisiert insbesondere die Rechtsauffassung des Verkehrsministeriums, dass das Sofortprogramm nur die Überschreitung der drei Millionen Tonnen auszugleichen habe.

Die einfache Logik sage, so Klinger, dass bei bloßem Ausgleich dieser Emissionen des Vorjahres im nächsten Jahr wieder eine Überschreitung von mindestens drei Millionen Tonnen drohe. Um eben dies zu verhindern, verlange das Klimaschutzgesetz ein Sofortprogramm, das die Einhaltung der Sektoremissionen für die folgenden Jahre sicherstelle. "Daran fehlt es", so Klinger.

Der Expertenrat hadert allerdings selbst mit der Ungenauigkeit der gesetzlichen Formulierung. Was mit "folgenden Jahren" und "sicherstellen" genau gemeint ist, müsse die Bundesregierung rechtlich klarstellen, forderte Brigitte Knopf am Donnerstag zum wiederholten Mal.

Gebäudesektor erreicht Ziele auf dem Papier

Die hier bestehende rechtliche Grauzone spielt auch bei der Bewertung des Expertenrats zu den Sofortmaßnahmen im Gebäudebereich eine Rolle.

Trotz des Sofortprogramms, konstatiert der Expertenrat, würde der Gebäudesektor von 2022 bis 2027 seine gesetzlichen Vorgaben weiter überschreiten. Erst ab 2028 gebe es Unterschreitungen, sodass die kumulierte "Erfüllungslücke" bis 2030 ausgeglichen werden könne. Aus Sicht des Rates erfüllt aber auch das nicht den Paragrafen 8.

Eine vertiefende Prüfung zeige zudem, dass die Realisierung der von den zuständigen Ministerien für Bau und Wirtschaft ausgewiesenen Minderungen "nur teilweise wahrscheinlich" sei, schränkt der Expertenrat weiter ein.

Rechnerisch würde der Gebäudesektor sein summarisches Einsparziel bis 2030 erreichen, wenn die von den Ministerien angegebenen Treibhausgasminderungen in vollem Umfang einträfen, sagte Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats. Ob die Einsparungen allerdings wirklich in dem Umfang realisierbar sind, erscheine fraglich.

Fraglich im Sinne des Klimaschutzes ist es auf jeden Fall, reale und spürbare CO2-Einsparungen immer weiter in die Zukunft zu verschieben. Im Verkehr ist diese Strategie offenbar schon gecrasht.

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