Wärmebild eines ungedämmten und eines daneben stehenden gedämmten Hauses.
Nur gedämmt sind Häuser fit für das nächste Jahrzehnt. Die Technologien sind da, es fehlt die Politik. (Foto: Passivhaus Institut/​Wikimedia Commons)

Klimareporter°: Frau Metz, Deutschland hat 2021 die Klimaziele im Gebäudesektor verfehlt – wie schon im Vorjahr. Eine Überraschung für Sie?

Barbara Metz: Nein, das war ganz klar mit Ansage. Wir sehen, dass die hohen Emissionen im Gebäudesektor nicht durch irgendwelche Sondereffekte zustande gekommen sind, sondern dass es strukturelle Probleme gibt, weil man im letzten Jahrzehnt nichts gemacht hat.

Es wurden weder Standards angehoben noch wurde irgendetwas wirklich an der Fördersystematik verändert. Allein die steuerliche Absetzbarkeit von Sanierungsmaßnahmen zu verabschieden, hat zehn Jahre gedauert. Es war völlig klar, dass die Klimaziele so nicht erreicht werden können.

Derzeit entwickelt das zuständige Bundeswirtschaftsministerium ein Sofortprogramm, damit im nächsten Jahr die Ziele im Gebäudesektor eingehalten werden können. Was müsste da aus Ihrer Sicht drinstehen?

Das wiederholte Nicht-Erreichen der Klimaziele im Gebäudesektor zeigt, dass schon das erste Sofortprogramm nicht ausgereicht hat. Deshalb haben wir vor Kurzem Klage eingereicht.

Wir fordern ein Programm mit Maßnahmen, die den Vorgaben des Klimaschutzgesetzes beziehungsweise den darin vorgeschriebenen Emissionsmengen für den Gebäudesektor gerecht werden. Die Klage bezieht sich auf das erste Sofortprogramm aus dem Jahr 2020, aber das grundlegende Problem wird ja fortgeschrieben mit dem Programm, was am 15. Juli fällig sein wird. 

Wir haben tatsächlich nicht die Hoffnung, dass da die notwendigen Dinge drinstehen werden. Denn Ziel dieses Sofortprogramms ist es, möglichst schon im nächsten Jahr zu wirken und nicht erst 2030. Das ist natürlich im Gebäudesektor so eine Sache, denn insgesamt haben wir es hier mit einem sehr trägen System zu tun. Umso tiefgreifender müssen Maßnahmen jetzt sein, um bereits kurzfristig Wirkung zu entfalten.

Bereits vorgelegt wurde vom Wirtschaftsministerium der Entwurf für eine Novelle des Gebäudeenergiegesetzes. Ist das nicht ein Fortschritt?

Zunächst einmal ist es wirklich bedenklich, dass es nicht mal eine offizielle Anhörung geben soll. Stattdessen soll der Entwurf durchgemogelt werden, indem er einfach an ein anderes Gesetz drangehängt wird. Öffentlichkeitsbeteiligung sieht anders aus. Und es macht uns schon Sorgen, dass sich dieses Vorgehen auch an anderer Stelle zeigt.

Zudem sieht die Fassung des Ministeriums lediglich einen etwas höheren Neubau-Standard für das kommende Jahr vor, den Effizienzhaus-Standard 55. Das heißt: Das Haus benötigt noch 55 Prozent der Energie des im Gesetz festgeschriebenen Referenzgebäudes. Das ist aber nicht kompatibel mit den Klimazielen, weil die betreffenden Gebäude dann vor 2050 noch mal energetisch saniert werden müssten. Das reicht nicht, um den Gebäudesektor mit kurzfristiger Wirkung – also vor 2030 – maßgeblich umzulenken. 

Ich bin erschrocken darüber, dass im Gebäudesektor so wenig passiert. Das zuständige, grün geführte Wirtschaftsministerium hat eigentlich Leute, die genau wissen, was jetzt notwendig wäre. Deswegen bin ich erstaunt, dass im Gesetzentwurf nichts Konkretes drinsteht und die notwendigen Maßnahmen fehlen – auch solche, die eigentlich im Koalitionsvertrag vereinbart wurden. Weder der Neubaustandard Effizienzhaus 40 ab 2025 ist festgeschrieben noch die Vorgabe von 65 Prozent Erneuerbaren für neue Heizungen ab 2024.

Das ist fatal, weil gerade dieses Jahrzehnt für die Gebäude absolut entscheidend ist. Um die Klimaziele für 2030 einzuhalten und den Gebäudesektor bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu machen, muss jetzt grundlegend umgelenkt werden. Und das heißt vor allen Dingen, dass der wirkliche Riese, nämlich der Gebäudebestand, angegangen werden muss.

Kann die Bauwirtschaft denn die strengeren Standards schon einhalten?

Technisch ist das überhaupt keine Frage. Es gab ja bisher auch schon entsprechende Förderung und häufig wurde der Effizienzhaus-40-Standard bereits gebaut. Aber insgesamt ist Bauen sehr, sehr teuer geworden. Das liegt weniger an Effizienzmaßnahmen als an Materialkosten, Lieferengpässen, Fachkräftemangel und Grundstückpreisen. Es ist wichtig, hier sauber zu trennen.

Außerdem muss man grundsätzlich auf den Prüfstand stellen, wie viel Neubau noch notwendig ist. Mit so einer Forderung macht man sich unbeliebt, aber das Einfamilienhaus ist einfach aus der Zeit gefallen. Das können wir uns nicht mehr leisten angesichts limitierter Ressourcen und Flächen, die dafür verbraucht werden – zumal es noch sehr viel Leerstand an anderer Stelle gibt. Wir brauchen andere Konzepte.

Wir müssen neu denken, wie wir bauen und uns stärker auf den Bestand konzentrieren – also auf die Gebäude, die schon da sind und wie man die optimaler nutzen kann. Zum Beispiel sollten Industriegebäude, die nicht gebraucht werden, für Wohnungen oder ähnliche Dinge genutzt werden. Das wäre das richtige Signal.

Vielleicht sind die geplanten Veränderungen so umfangreich, dass das Wirtschaftsministerium das nicht mit einer einzigen Gesetzesnovelle abarbeiten kann?

Es wird ständig behauptet, da kommt noch was. Mir ist das Prinzip Hoffnung ehrlich gesagt zu unsicher. Es kann natürlich sein, dass sich das Bundeswirtschaftsministerium darüber Gedanken macht. Dann wäre es aber auch sinnvoll, mit den Akteuren, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen, zu sprechen. Das passiert jedoch nicht. 

Das Gebäudeenergiegesetz ist das Herzstück für energiesparsame Gebäude. Und wenn bei der Novellierung dieses Gesetzes relevante Vorgaben fehlen, dann frage ich mich, wo diese Regelungen denn sonst verankert werden sollen.

Es gibt seit Jahren klare Ideen, was man eigentlich tun müsste. Für den Neubau ist es verhältnismäßig einfach, da sind die Standards mit dem Effizienzhaus 40 klar gesetzt. Wir müssen aber auch viel stärker umlenken in Richtung Sanierung. Das hat Minister Habeck ja auch immer wieder gesagt. Bloß, im Gesetzentwurf steht nichts dazu drin.

Zwar wurde die Förderung für die energetische Sanierung aufgestockt, aber das Geld muss auch viel gezielter eingesetzt werden. Und die Förderung setzt rein auf Anreize – die Zeit dafür ist abgelaufen, das muss man so klar sagen. Es braucht jetzt stärkere ordnungsrechtliche Vorgaben, sonst werden die Klimaziele im Gebäudesektor auch im Jahr 2045 noch verfehlt. 

Die EU will ja bei den schlechtesten Gebäuden – also denen mit der geringsten Energieeffizienz – ansetzen. 

Das ist eine sehr sinnvolle Maßnahme. Allein in Deutschland gehören 45 Prozent der Gebäude den schlechtesten Effizienzklassen an, dort liegen enorme Einsparpotenziale. 

Dann brauchen wir aber auch ein wirksames Instrument, um festzulegen, welche die schlechtesten Gebäude sind. Das wäre eigentlich der Energieausweis, der momentan aber alles andere als rechtssicher ist. Längst nicht jedes Gebäude hat so einen Energieausweis. Man müsste beispielsweise in der Gebäudeenergie-Novelle festlegen, dass es Bedarfsenergieausweise für jedes Gebäude in Deutschland braucht. Denn nur so finden wir heraus, wo wir mit dem Sanieren anfangen müssen. 

Es ist nicht nachzuvollziehen, warum genau solche Dinge jetzt nicht auf den Weg gebracht werden, um den Menschen Planungssicherheit zu bieten. Man kann natürlich hoffen, dass das alles schon in der Schublade liegt, aber das glaube ich ehrlich gesagt nicht. 

Möglicherweise hat der Angriff auf die Ukraine die Prioritäten verschoben.

Porträtaufnahme von Barbara Metz.
Foto: Stefan Wieland

Barbara Metz

Die studierte Politologin und Soziologin ist Bundes­geschäfts­führerin der Deutschen Umwelt­hilfe. Zuvor baute sie bei der Organisation den Bereich Energie­effizienz auf – mit Fokus auf nachhaltige Sanierung.

Es ist sicherlich sinnvoll, dass man sich jetzt darüber Gedanken macht, wie man die Energieversorgung für den nächsten Winter sichert. Das geht aber deutlich leichter, wenn der Energieverbrauch gar nicht so hoch ist. Und im Gebäudesektor können wir sehr viel Energie einsparen. Darüber gar nicht zu sprechen, ist eine extreme Schieflage.

Geht es um Verbrauch, wird immer an individuelle Verantwortlichkeiten appelliert – wie das Runterdrehen der Heizung –, aber strukturelle Probleme durch unseren ineffizienten Gebäudebestand kommen gar nicht vor. Gerade im Gebäudesektor wäre es möglich, Energie zu sparen, indem wir mehr sanieren.

Und es wäre sinnvoll, Energie dezentral zu erzeugen. Es würde auch Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen, wenn auf öffentlichen Dächern in ihrer Kommune, auf dem eigenen Dach oder auf Parkplätzen Energie erzeugt würde, die sie wiederum nutzen können. Das wäre im Vergleich zu den Gaskosten günstig, wird aber bislang gar nicht thematisiert.

Zumindest die Großwärmepumpen sollen in der Gesetzesnovelle etwas bessergestellt werden.

Wenn man das vor 20 Jahren gemacht hätte, wäre das vielleicht gut gewesen. Die Bundesregierung hat offenbar verstanden, dass sie hier tätig werden muss – aber sie tut das nur sehr halbherzig. Sie hat zwar die Großwärmepumpen bessergestellt im Vergleich zu vorher. Aber sie sind immer noch schlechter als Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen gestellt.

Das ist ein Problem, weil das letztlich ein Rumschrauben an einer alten Struktur ist, die immer die Fossilen befördert hat. Und das funktioniert heute nicht mehr. Man braucht ein komplettes Umdenken.

Es wäre auch möglich gewesen, Öl und Gas im Neubau zu verbieten, aber das ist nach wie vor gestattet. Deutschland hat sich 50 Prozent erneuerbare Wärmeversorgung bis 2030 zum Ziel gesetzt, ohne genau zu wissen, wie das gemacht werden soll. Mit der leichten Besserstellung von Großwärmepumpen wird das definitiv nicht gelingen. Da darf man sich keine Illusionen machen.

Wie bekommen wir nun die Wende im Gebäudesektor noch hin?

Ganz klar, wir brauchen ordnungsrechtliche Vorgaben für die Bestandssanierung, angelehnt an die Mindesteffizienzstandards, die von der EU kommen. Da müssen wir jetzt tätig werden und können nicht auf Brüssel warten. Und wir brauchen andere Fördersysteme, die dafür sorgen, dass die sozialen Härten abgefedert werden. 

Grundsätzlich verhindert das Wirtschaftlichkeitsgebot für den Gebäudebestand eine Perspektive auf das Klima, denn es stellt individuelle Wirtschaftlichkeit vor gesellschaftliche Belange. So kommt man zu Fehlschlüssen wie dem, dass es günstiger sei, abzureißen und neu zu bauen. Das ist aber alles kurzfristig gedacht und verlagert Probleme und vor allem Kosten auf nachfolgende Generationen.

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vor einem Jahr hat deutlich gemacht, dass die Klimaziele eine Bedingung sind, die immer mitgedacht werden muss und die praktisch über allem steht. Das ist noch nicht in der Politik und der Gesellschaft angekommen. Aber mit einer betriebswirtschaftlichen Perspektive auf den Gebäudebereich erreichen wir die Klimaziele nicht.

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