Thermografie eines mehrstöckigen Stadthauses an einer Straßenecke, die rote Farbe deutet auf schlecht gedämmte Fassaden hin.
Bei der energetischen Gebäudesanierung im Bestand hinterließ die Merkel-Ära eine große Leerstelle. (Foto: R. Donar/​Shutterstock)

Frieren als Waffe gegen Putin? Umfragen zeigen: Viele Bundesbürger:innen sind bereit, ihren Energieverbrauch zu drosseln, um die Abhängigkeit von Gas-, Öl- und Kohleimporten aus Russland zu senken – auch durch Maßnahmen, die den persönlichen Komfort schmälern.

Energiesparen ist das Gebot der Stunde. So hat auch die Bundesregierung eine groß angelegte Kampagne angekündigt, um die Bürger:innen und die Wirtschaft über die großen Potenziale aufzuklären, die hier brachliegen.

Was bringt eine um ein, zwei Grad gedrosselte Raumtemperatur, was der Verzicht auf Stand-by bei TV, PC und Drucker? Wie viel hilft es, bei der Neuanschaffung von Elektrogeräten besonders sparsame Alternativen zu wählen? Dieses Wissen will die Scholz-Regierung unters Volk bringen – und die Leute animieren, es anzuwenden.

Aber es sollen auch "niedriginvestive Maßnahmen" gefördert werden, die schnell umsetzbar sind. Der Einbau von intelligenten Heizkörper-Thermostaten zum Beispiel, die die Temperatur absenken, wenn Räume nicht genutzt werden.

Es sind die "schlafenden Riesen" der Energiewende: das Energiesparen und vor allem die höhere Energieeffizienz – also das Erzielen der gleichen Dienstleistung mit weniger Strom, Kraftstoff oder Heizenergie. Tatsächlich zeigen Energieszenarien für Deutschland wie auch für die Welt insgesamt, dass die angestrebte Klimaneutralität nur dann schnell genug erreichbar ist, wenn die vorhandenen umfangreichen Einsparpotenziale erschlossen werden.

So ist laut Untersuchungen etwa des Thinktanks Agora Energiewende hierzulande sogar eine Halbierung des Energieverbrauchs bis 2045 drin, und das bei einem weiteren Wirtschaftswachstum von etwa 1,2 Prozent pro Jahr.

Logisch, dass das den Ausbau der erneuerbaren Energien stark entlasten würde: Wird nur noch die Hälfte der Energie gebraucht, sind auch nur noch halb so viele Windräder, Solaranlagen und Wasserstoffimporte nötig wie bei einem Szenario ohne diese Einsparung. Eine forcierte Effizienzstrategie könnte die Umstellung in den nächsten zwei Jahrzehnten also deutlich erleichtern.

Große Potenziale bei Gebäuden und Verkehr

Die Ampel-Koalition peilt ja an, bis 2035 den Stromsektor komplett auf erneuerbare Energien umzustellen. Insgesamt, also etwa auch bei Wärme und Prozessenergie in der Industrie, soll die "Netto-Null" bei den Treibhausgasen 2045 erreicht sein.

Was schnell umgesetzt werden kann, hat die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff) kürzlich aufgezeigt, in der 200 Firmen, darunter Konzerne wie Covestro, Rockwool und Siemens zusammengeschlossen sind. Sie präsentierte eine Liste mit 50 Maßnahmen, die auf Verbraucher:innen, Hausbesitzer:innen und Industriefirmen zielen. Darin geht es von "Wasser-Durchflussbegrenzer im Bad einbauen" über "Heizungspumpe niedriger stellen" bis "Druckluft-Leckagen abdichten".

Fachleute gehen davon aus, dass eine große, medienwirksame Energiespar-Kampagne dieses Potenzial relativ rasch mobilisieren könnte. "Bei der Heizenergie zum Beispiel wäre ein Einspareffekt von gut zehn Prozent drin", sagt Peter Hennicke, der frühere Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und langjährige Effizienzexperte.

Hennicke verweist auf das Beispiel von Japan. Dort hatte die Kampagne der Regierung in Tokio zu Stromeinsparungen nach der Fukushima-Katastrophe sogar bis zu 20 Prozent Reduktion gebracht.

Doch diese zehn, 20 Prozent wären nur der Einstieg. Bereits bis 2030 könnten quer über alle Sektoren etwa 40 Prozent eingespart werden, wenn die bis dahin hebbaren Potenziale auch ausgeschöpft würden, so das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe in einer Studie.

Am meisten brächten dabei zwei Bereiche: erstens die energetische Sanierung des Gebäudebestandes, vor allem durch Wärmedämmung, Dreifachfenster und Umstellung auf Wärmepumpen-Heizungen, zweitens eine konsequente Verkehrswende durch E-Mobilität, die Verlagerung vom Auto auf Bus, Bahn und Fahrrad sowie Verkehrsvermeidung, etwa durch Homeoffice.

Ersparnis übersteigt Investitionen plus Förderung

"Das funktioniert allerdings nur mit starker staatlicher Förderung", betont Experte Hennicke. Allerdings brächte das auch ökonomische Vorteile.

So hat das Wuppertal Institut unlängst ein Konzept für ein Sofortprogramm zum "Heizen ohne Öl und Gas bis 2035" vorgelegt, das zeigt: Die erzielbare Energiekosten-Einsparung liegt höher als die nötigen Investitionen inklusive der staatlichen Förderung. Das heißt: Unter dem Strich steht ein volkswirtschaftlicher Gewinn. Hennicke: "Das Einsparen von Kilowattstunden ist in fast allen Fällen deutlich billiger, als zusätzliche Energie bereitzustellen."

Wie ein Energiesystem ohne Fossile aussehen kann

2035 soll der Strom in Deutschland erneuerbar sein, zehn Jahre später die gesamte Energie. Damit das klappt, muss sich einiges ändern: bei den Stromnetzen, bei unserem Stromverbrauch, bei den Kraftwerken, bei unseren Heizungen. Was konkret passieren muss, beschreibt Klimareporter° in der Serie "Erneuerbar mit System".

Die Themen der weiteren Teile:

  • 100 Prozent Ökostrom
  • Biogas statt Erdgas gegen die "Dunkelflaute"
  • Strom aus Wasserstoff statt aus Erdgas?
  • zentrale Großspeicher und dezentrale Heimspeicher
  • Klimakonzepte für die Wärmeversorgung

Trotzdem sei dieser Ansatz in den letzten Jahrzehnten nicht ausreichend verfolgt worden, und auch die Ampel müsse hier noch nachlegen, fordert der Experte. Es sei eine "gewaltige Querschnittsaufgabe, die Millionen Verbraucher, Geräte, Gebäude, Fahrzeuge und Produktionsprozesse betrifft".

Daher brauche es – wie beim Klimaschutzgesetz für CO2 – verbindliche Reduktionsziele für Energie und zudem klare Verantwortlichkeiten in den jeweiligen Ministerien, etwa für den Gebäude- und Verkehrssektor.

Hennicke fordert ein "Energiespargesetz", das verbindliche Ziele mit Zeithorizont 2030 und 2045 beinhaltet, sowie die Errichtung einer Bundeseffizienzagentur als Pendant zur Bundesnetzagentur. Die Effizienzagentur soll das Erreichen der Einsparziele verantwortlich konzipieren, koordinieren, finanziell unterstützen und regelmäßig evaluieren.

Ohne einen solchen Push werde "der schlafende Riese Energieeffizienz niemals erwachen", warnt der Experte.

Anzeige