Zwei Schaufelradbagger arbeiten in einem großen Tagebau.
Klimakrise hin oder her, im RWE-Tagebau Garzweiler wird immer noch weitergebaggert. (Foto: Raimond Spekking/​Wikimedia Commons, ​CC BY‑SA 4.0)

Mit dem Kohleausstieg geht in Deutschland eine lange industrielle Ära zu Ende. Denn Kohle wird auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik bereits seit über einem halben Jahrtausend genutzt, wenn auch zu Beginn nur in geringem Maße.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das "schwarze Gold", wie die Kohle genannt wurde, dann der Antrieb für die Industrialisierung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befeuerte sie die Elektrifizierung von Industrie, Betrieben und Haushalten, in den Weltkriegen die deutsche Waffenindustrie, und nach 1945 lieferte sie die Energiebasis für den wirtschaftlichen Wiederaufbau.

Doch mit Beginn der Klimaschutz-Diskussion um 1990 wurde die Kohle als Klimakiller Nummer eins identifiziert. Damit war ihr Ende besiegelt. Der Rest des fossilen Energieträgers, der bis zum Ausstieg 2030 oder spätestens 2038 noch vorhanden ist, muss in der Erde bleiben.

Historisch entwickelten sich fünf große Kohlegebiete, Reviere genannt. Im Ruhrgebiet und an der Saar wurde Steinkohle im Untertagebau gefördert, im Rheinland, nahe Leipzig und in der Lausitz Braunkohle im Tagebau.

Steinkohle wird inzwischen nicht mehr abgebaut. Ihre Gewinnung war über Jahrzehnte durch milliardenschwere Subventionen gefördert worden, da sie sich gegenüber billiger Importkohle nicht mehr lohnte. Im Jahr 2007 beschloss die damalige rot-grüne Bundesregierung, die Subventionen auslaufen zu lassen. Die letzte deutsche Zeche, das Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop im Ruhrgebiet, machte 2018 dicht.

Die Tagebaue für die billigere, aber besonders CO2-trächtige Braunkohle in West und Ost allerdings wurden weiter betrieben – und werden es nach wie vor.

Jahrzehnte des Nichtstuns

Dabei war schon 1990, kurz nach der Wende, klar: Ein kompletter Kohleausstieg ist notwendig, um die Klimaschutz-Erfordernisse zu erfüllen. Die erste Enquete-Kommission des Bundestages "Schutz der Erdatmosphäre" legte damals ihren Bericht vor, und sie empfahl darin bereits bis 2005 einen deutlichen Rückgang der Kohleverstromung, um den Energieträger mit der schlechtesten CO2-Bilanz auszusteuern.

In die Praxis umgesetzt wurde das nicht. Selbst unter der rot-grünen Bundesregierung, die 1998 ins Amt kam, und den nachfolgenden Merkel-Regierungen ab 2005 wurden neue Kohlekraftwerke gebaut. Das letzte davon, Datteln 4, ging im Ruhrgebiet sogar erst 2020 ans Netz.

Es dauerte ein volles Vierteljahrhundert nach dem Klima-Aufschlag von 1990, bis der Kohleausstieg ernsthaft auf die politische Agenda kam. Vorher hatte eine vereinte Lobby aus Stromkonzernen und Gewerkschaften, Union, FDP und großen Teilen der SPD verhindert, dass Kohlekraftwerke in nennenswertem Maße vom Netz gingen.

2016 handelte die Bundesregierung dann mit den Konzernen eine Teil-Stilllegung von einigen besonders klimaschädlichen Kohleblöcken für die Jahre 2016 bis 2019 aus. Sie wurden in eine "Sicherheitsbereitschaft" überführt, offiziell mit der Ansage, sie bei Bedarf wieder hochfahren zu können – gegen eine Entschädigung von satten 1,6 Milliarden Euro für den "Phantomstrom", aufzubringen von den Stromkunden über die Netzentgelte.

Der Druck, den Ausstieg zu beschleunigen, war nach der Verabschiedung des Pariser Klimavertrags Ende 2015 stark gewachsen. Die "Sicherheitsbereitschaft" senkte die deutschen CO2-Gesamtemissionen allerdings nur um 12,5 Millionen Tonnen oder gut 1,5 Prozent, viel zu wenig, um auf einen Paris-kompatiblen 1,5-bis-zwei-Grad-Pfad einzuschwenken.

Kompromiss in der Kohlekommission

Der Merkel-Groko dämmerte 2018: Ein echter Ausstiegsplan müsste her. Die Aufgabe, diesen zu entwickeln, übernahm sie jedoch nicht selbst, sondern delegierte sie an ein zivilgesellschaftliches Gremium, die "Kohlekommission". Mitglieder waren unter anderem Vertreter:innen von Industrie, Gewerkschaften, Umweltverbänden, Kirchen, Klimaforschung sowie der betroffenen Regionen.

Die Kommission legte 2019 ihre Blaupause für einen Kohleausstieg bis spätestens 2038 vor. Selbst Umweltschützer:innen lobten den Kompromiss, obwohl sie 2030 angepeilt hatten. Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser sprach von einem "Wendepunkt für die energiepolitischen Fragen in Deutschland".

Die Ausstiegs-Blaupause wurde von der Merkel-Regierung mit Abstrichen politisch umgesetzt, wobei vor allem die Braunkohle-Länder im Osten etwas für sich herausholten. Über 20 Jahre sollen danach rund 40 Milliarden Euro an Strukturhilfen für die Braunkohle-Regionen fließen, zudem wurde verabredet, die Ost-Braunkohle bis weit in die 2020er Jahre von Abschaltungen zu verschonen. Die ersten 3.000 Megawatt Kraftwerksleistung sollten allein im Westen vom Netz gehen.

Damit schien der Konflikt vorerst beruhigt, freilich um den Preis, dass die Paris-Vorgaben und auch die Beschlüsse der Bundesregierung zur Klimaneutralität bis 2050, später sogar 2045, nicht einzuhalten wären.

Die neue Ampel-Bundesregierung zog die Konsequenz daraus. Der Kohleausstieg solle "idealerweise" auf 2030 vorgezogen werden, formulierte das Dreierbündnis Ende 2021 in seinem Koalitionsvertrag.

Grüne lassen Lützerath fallen

Das politisch umzusetzen, war dann alles andere als einfach. Denn Putins Energiekrieg zwang die Ampel dazu, sogar vom Kohleausstiegspfad 2038 abzuweichen und eigentlich schon stillgelegte Kraftwerke wieder ans Netz nehmen zu lassen. Folge: Es wurde 2022 wieder mehr Kohle verbrannt, der CO2-Ausstoß im Energiesektor nahm zu.

Um trotzdem 2030 als Enddatum für die Kohle halten zu können, sondierte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das Kohleterrain in West und Ost. Im Sommer präsentierte er dann mit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (ebenfalls Grüne) einen Deal mit dem Energiekonzern RWE, der im rheinischen Revier Braunkohle abbaut und verstromt.

Danach soll zunächst mehr Kohle abgebaut werden, um die reaktivierten Kraftwerke betreiben zu können. Die Braunkohle-Nutzung insgesamt soll aber bei RWE bereits 2030 enden.

Kohle-Anfänge

Schon im späten Mittelalter wurde im heutigen Ruhrgebiet Kohle gefördert, etwa für die Nutzung im Schmiede-Handwerk. Die ersten Stollenzechen entstanden dort sowie an der Saar im 18. Jahrhundert. Im heutigen Ostdeutschland wurden die ersten Braunkohleflöze bereits im 17. Jahrhundert angelegt. Die Kohle war damals eine willkommene Alternative zum knapper werdenden Holz als Brennstoff, sie wurde in Form von Briketts zum Heizen genutzt.

Der Boom der Kohlenutzung begann mit der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – in der Eisen- und Stahlproduktion, beim Antrieb von Dampfmaschinen und Eisenbahnen sowie in der Farbenproduktion in der Chemieindustrie. Gegen Ende des Jahrhunderts wuchs der Bedarf an Strom, vor allem in der Industrie, aber auch für erste elektrische Straßenbeleuchtungen. In den 1890er-Jahren entstanden die ersten Elektrizitätswerke, in Berlin, im Ruhrgebiet, im Rheinland und in der Lausitz.

Anfang des 20. Jahrhunderts errichtete man große Braunkohletagebaue. Allein in der Lausitz wurden dafür seit 1920 rund 90 Dörfer abgerissen. Im Steinkohlebergbau gab es zur Hochzeit um 1960 rund 150 Zechen. Damals arbeiteten allein im Ruhrgebiet rund 600.000 Bergleute.

An dem Kompromiss entzündeten sich heftige Auseinandersetzungen – und zwar nicht nur, weil das umkämpfte Dorf Lützerath damit zum Abriss freigegeben wurde, sondern auch, weil Studien renommierter Institute und Universitäten ergaben, dass die Kohle unter Lützerath gar nicht mehr benötigt wird.

So ermittelte etwa die Coal Exit Research Group, der Expert:innen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der TU Berlin und der Europa-Universität Flensburg angehören, es seien im aktuellen Abbaubereich bereits deutlich höhere Kohlemengen genehmigt, als zur Sicherung der Energieversorgung bis 2030 benötigt werden. Fazit: Weitere Abbauflächen unnötig.

Der Zündstoff liegt darin, dass nicht nur RWE die Gegenposition bezieht. Auch die Chef-Grünen Habeck und Neubaur haben Lützerath abgeschrieben.

Und im Osten?

Der Konflikt in NRW gibt einen Vorgeschmack darauf, wie kompliziert die Verhandlungen über ein Vorziehen des Ausstiegs auf 2030 auch im Osten sein werden. Während die an Rhein und Ruhr regierende Koalition von CDU und Grünen das frühere Datum bereits im Koalitionsvertrag verankert hatte, gibt es solche Festlegung in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt nicht.

Die Ost-Ministerpräsidenten wollen sich dem Thema überhaupt nur nähern, wenn der schnellere Ausstieg ausreichend "abgefedert" wird. Will sagen: wenn der Bund weitere Milliarden dafür auf den Tisch legt.

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