Blick über Baumwipfel des Hambacher Forst auf den näherrückenden Tagebau des RWE-Konzerns
Der Tagebau Hambach ist einer von drei Braunkohletagebauen des RWE-Konzerns. (Foto: Johannes Fasolt/​Wikimedia Commons)

Trotz großer Stromüberschüsse und galoppierender Erdüberhitzung, trotz anhaltender Massenproteste und landesweitem Kopfschütteln: Im Hambacher Forst wurden Braunkohlegegner gejagt, verprügelt, festgenommen. Das Abholzen des Waldes ist zwar durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vorläufig gestoppt, doch der Energiekonzern RWE lässt keinen Zweifel daran, dass er die Rodung durchsetzen will: "Wir können den Tagebau Hambach nicht mal eben anhalten ... und wir können auch nicht um den Wald herum baggern."

Es wäre der letzte Handstreich einer raumhungrigen, aus der Zeit gefallenen Industrie, die mit der Braunkohle fast so viele Klimagase ausstößt wie der gesamte Verkehrssektor. Ihre Verheerungen werden seit Jahrhunderten beschrieben.

Lange wurde die Braunkohle schlicht als gewöhnliche Erde betrachtet. Braun und bröselig war sie und natürlich dreckig. Umso erschrockener waren die Römer, als diese Erde plötzlich brannte, als hätte sich die Hölle aufgetan: "Aus der Erde brach Feuer hervor, das allenthalben Lagerhäuser, Korn auf dem Halm, ja ganze Dörfer ergriff und sich bis an die Mauern der vor Kurzem gegründeten Stadt Köln ausbreitete", berichtet der römische Historiker Tacitus im Jahr 58 nach Christus. Was da loderte, war ein Braunkohle-Flözbrand im heißen Sommer – so etwas kann passieren.

Millionen Jahre zuvor war die Braunkohle in den Schoß der Erde gelangt. Vor zirka 65 Millionen Jahren, nach der Kreidezeit, hatte ein geologischer Zeitraum der komplett eisfreien Erdgeschichte unseren Regionen eine üppige tropisch-subtropische Vegetation gebracht. Braunkohle ist nichts anderes als die versunkene Pflanzenwelt jener Zeit, als riesige Rüsseltiere durch artenreiche Wälder trabten.

Die organische Substanz dieser Wälder zersetzte sich in riesigen Moorlandschaften, der dabei entstandene Torf wurde in Jahrmillionen von Gestein bedeckt und wie ein Schwamm ausgepresst. So verkohlte der Torf unter Luftabschluss zu bis zu 100 Meter dicken Braunkohleflözen – noch halb Torf und schon halb Kohle, ein seltsam faseriges Mittelding. "Blumenerde!" höhnten die Anwohner der DDR-Abbaugebiete. Braunkohle ist extrem feucht mit einem Wassergehalt von bis zu 65 Prozent, sie qualmt und stinkt oft erbärmlich – ein ziemlich mittelmäßiger, aber billiger Rohstoff.

Brennstoff der Armen

Nach Tacitus' Feuersbrunst vergehen viele Jahrhunderte, bis die braune Erde vom 16. Jahrhundert an nicht nur zum Färben, sondern auch zum Heizen eingesetzt wird. Die Bezeichnung "Braunkohle" existiert noch nicht. "Turff" oder "Torf" heißt das lange für wertlos gehaltene Produkt, das man formen und pressen muss, bevor man es verfeuert. In den Färbereien wird es auch "Cöllnische Erde" genannt.

Dass sie nach 1700 immer häufiger im Ofen landet, liegt schlicht daran, dass eine andere Ressource knapp geworden ist: Holz. Schon 1731 nennt der deutsch-niederländische Arzt Johann Hartmann Degner die Torfgräberei "Teutschlands neu entdeckte Goldgrube". In den strengen Wintern des 18. Jahrhunderts wird sie immer wichtiger. Die Not ist so groß, dass bei beißender Kälte auf dem Rhein fahrende Steinkohle-Schiffe gekapert werden.

Die fettesten Flöze liegen im Rheinland, südlich und westlich von Köln, aber auch südlich von Leipzig, in der sächsischen Lausitz und im Helmstedter Revier. Für die Braunkohle existiert noch kein Bergbau, ab 1730 entstehen aber immer mehr Gruben, die von Bauern oder Tagelöhnern nebenbei betrieben werden und sich meist in Adelsbesitz befinden. 1751 wird im Rheinischen der erste Tagebau in Betrieb genommen: die Grube des Kölner Domkapitels bei Gleuel. Die systematische Gewinnung der Braunkohle hat begonnen.

Um den Brennstoff leichter transportieren zu können, werden "Klütten" genannte Presslinge produziert, vorindustrielle Briketts, die in eine Eimerform gedrückt werden. Die Klüttenbäcker modellieren sie wie Kinder ihre Formen im Sandkasten und vermischen die Braunkohle dazu mit Wasser, Ton und manchmal auch mit Kuhmist, was beim Verfeuern feine Aromen freisetzt.

Abgebaut wird in Abstichen von bis zu vier Metern Breite und fünf Metern Tiefe – der Grundwasserspiegel markiert die natürliche Grenze. Ein "Haspelknecht" zieht den in Körben gefüllten Rohstoff über eine Kurbel nach oben. Bald werden auch unterirdische Gruben und Strecken angelegt. Immer wieder kommt es zu tödlichen Einstürzen. Das preußische Bergamt giftet 1819 über den "schlechtesten Zustand dieser Wühlerei" und den "ganz versauten Betrieb" mit seinen Risiken für Leib und Leben.

Brikettkorb in der Wohnstube

Die Gruben wachsen trotzdem. Mitte des 19. Jahrhunderts erreichen die "Löcher" bereits das Ausmaß heutiger Fußballstadien, die Braunkohle setzt sich durch. Mit der Industrialisierung streift sie das Stigma des billigen müffelnden Brennstoffs der Armen ab.

Entscheidend dafür ist der Siegeszug des Briketts. Die mit dampfgetriebenen Maschinen hergestellten Nasspresssteine haben zwar immer noch einen Wassergehalt von bis zu 30 Prozent. Doch ab 1873 gelingt es qualitativ bessere Briketts mit reduziertem Wassergehalt herzustellen. Mithilfe neuer Teller- und Röhrentrockner liefern die Fabriken Ende des 19. Jahrhunderts einen handlichen Brennstoff mit besserem Heizwert.

1880 existieren allein in der Amtshauptmannschaft Borna südlich von Leipzig 29 Bergwerke, die 129.231 Tonnen Rohbraunkohle fördern. Auf den neu ausgebauten Eisenbahnstrecken lässt sie sich gut und schnell transportieren. 1877 wirbt die Firma Cohnen und Flemming in der Kölnischen Zeitung für "Briquets aus Braunkohle", der Zentner zu einer Mark.

Werbebildchen zeigen glückliche Familien im wohl eingerichteten Heim mit einem Korb Briketts vor dem wärmenden Ofen. Die rheinische Roddergrube komponiert sogar eine Brikett-Polka: "Jeder schreit: Dat es jett nett – dä Braunkohle-Brikett!" Das martialische Stampfen der Brikettpressen liefert den Sound zur Verzehnfachung der Förderung von 1890 bis 1910.

Ihren größten Erfolg feiert die Braunkohle am 15. März 1899. Kraftwerkspionier Erich Heinrich Geist und der Direktor der Brühler Zuckerfabrik, Franz Flecken, gründen die Elektricitätswerk Berggeist AG. Sie wollen die Braunkohle verstromen – mitten im rheinischen Abbaugebiet. Konzessionsverträge mit 20 Gemeinden sichern das erste Braunkohlekraftwerk ab. Am 19. Dezember 1899 beginnt der Probebetrieb, am 6. Januar 1900 fließt der erste Strom.

Sechs Jahre später übernimmt das 1898 gegründete Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE) die Aktienmehrheit. Dessen Gründer Hugo Stinnes träumt davon, ganz Deutschland mit Elektrizität zu versorgen. Mit dem Bau des wuchtigen Braunkohlekraftwerks "Vorgebirgszentrale" (später umbenannt in Goldenberg-Kraftwerk) gelingt 1913 der Einstieg in die groß dimensionierte Braunkohleverstromung.

Ein halbes Jahrhundert später steigt RWE zum wichtigsten Stromunternehmen und zum größten Luftverschmutzer der Republik auf. Braunkohle wird zum zentralen Pfeiler der Energieversorgung – trotz gewaltiger Emissionen. Abertausende finden hier Arbeit.

Russische Zwangsarbeiter verhungern in den Tagebauen

Im Ersten Weltkrieg sind die Belegschaften der Braunkohlebetriebe wegen allgemeiner Mobilmachung extrem ausgedünnt. Der Frauenanteil wächst auf zwölf Prozent, auch Jugendliche müssen ran. Um die Produktion aufrechtzuerhalten, werden vermehrt ausländische Zwangsarbeiter eingesetzt, vor allem Kriegsgefangene. 1916 ist jeder dritte Arbeiter im Braunkohlebergbau Mitteldeutschlands und der Lausitz ein Kriegsgefangener – ideale Billigkräfte für die schweren Erd- und Transportarbeiten.

Unter mörderischen Bedingungen schuften später die Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs. "Im Braunkohlebergbau des Dritten Reichs (wird) die erzwungene Arbeitsleistung wesentlich früher als in den meisten anderen Wirtschaftszweigen zum festen Bestandteil betrieblicher Planungen", resümiert der Bochumer Sozialwissenschaftler Thomas Urban. Zehntausende Kriegsgefangene, zivile Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge müssen den Arbeitskräftemangel überbrücken.

Am Jahresende 1938 treffen die ersten Arbeitskräfte aus dem Reichsprotektorat Böhmen und Mähren ein, es folgen polnische Zwangsarbeiter und im August 1941 die ersten russischen Kriegsgefangenen. Die Essensrationen sind karg. Viele sterben an Unterernährung und Schwäche, im Winter auch an Kälte. Die Tagebaubetriebe kalkulieren ihren Tod mit ein und bestellen regelmäßig frischen Nachschub. Allein im Januar 1942 sterben im Tagebaubetrieb Grube Concordia im Revier Magdeburg 45 russische Kriegsgefangene.

Die Braunkohle hat eine Schlüsselrolle für die Kriegswirtschaft. Schon der von Hermann Göring auf dem Reichsparteitag im September 1936 verkündete Vierjahresplan stellt die Autarkiebestrebungen der Nazis und die Kriegsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in den Mittelpunkt. Die Braunkohle ist eng mit dieser Strategie verknüpft: Benzin aus deutschem Rohstoff für Panzer, U-Boote, Flugzeuge.

Dem schlesischen Chemiker und Nobelpreisträger Friedrich Bergius war es 1913 gelungen, aus Braun- und Steinkohle bei einer Temperatur von 450 Grad unter hohem Druck eine Benzol-ähnliche Flüssigkeit zu destillieren. Mit seinem patentierten Verfahren zur Kohleverflüssigung beginnt die Produktion synthetischer Kraftstoffe – ohne Erdöl. Der Mainzer Chemiker Matthias Pier entwickelt die Technik weiter.

Die erste Großanlage der Welt zur Hydrierung von Kohle wird nach dem Bergius-Pier-Verfahren im November 1926 in den Leunawerken bei Merseburg gebaut und fünf Monate später in Betrieb genommen. Wird Mitteldeutschland jetzt "Ölausfuhrland"?, fragt die Leipziger Zeitung im Dezember 1926.

Der Erfinder Pier jubelt: Nach der Machtübernahme der Nazis könne "die Motorisierung Deutschlands nach dem großzügigen Plan des Führers vom Ausland unabhängig gestaltet" werden. Weitere Hydrierwerke erhöhen die Benzinausbeute auf Millionen Tonnen, allein Leuna liefert aus heimischer Braunkohle 600.000 Tonnen Treibstoff im Jahr.

Teil 2 und Schluss am morgigen Donnerstag: Wie Deutschland Braunkohle-Weltmeister wurde

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