Das Kohlekraftwerk Neurath Grevenbroich ist seit 1972 in Betrieb.
Erst ab 2027 sollen die Strukturhilfen für die Kohleregionen mit konkreten Schritten zum Kohleausstieg verknüpft werden, sieht das "Strukturstärkungsgesetz" vor. (Foto: Benita Welter/​Pixabay)

Der populistische Hinweis, jenseits der brandenburgischen Grenze im Osten werde ja munter weiter auf die Braunkohle gesetzt, verfängt nicht mehr: Seit Mittwoch sind die Pläne für einen neuen Braunkohletagebau an der deutsch-polnischen Grenze bei Gubin endgültig passé. Der polnische Energiekonzern PGE ließ die letzte Frist, um offene Umweltfragen zu beantworten, verstreichen, wie Umweltschützer nicht ohne Genugtuung mitteilten.

Auch in Berlin müht man sich sichtlich, den Landesregierungen in Brandenburg sowie in Sachsen unter die Arme zu greifen. Ebenfalls am heutigen Mittwoch beschloss das Kabinett das sogenannte "Strukturstärkungsgesetz" – nach einer gesetzgeberischen Tour de Force: Obwohl die "Eckpunkte" für die Strukturhilfen seit Mai vorlagen, versandte das Bundeswirtschaftsministerium erst vor Wochenfrist den eigentlichen Gesetzentwurf und gab Ländern wie Verbänden nur eine 24-Stunden-Frist für Stellungnahmen.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) rechnete sich den gesetzgeberischen Schnellschuss fast persönlich an. Er habe, teilte die Staatskanzlei mit, viele Gespräche geführt, um das Gesetz heute zum Beschluss zu bringen und keine weiteren Verzögerungen zuzulassen.

Mit 40 Milliarden Euro hat sich das Gesamtvolumen der Hilfen, die von 2020 bis 2038 in die Kohleregionen fließen sollen, gegenüber den "Eckpunkten" nicht verändert. 14 Milliarden davon sollen in drei Tranchen von 5,5 Milliarden (bis 2026), 4,5 Milliarden (bis 2032) und vier Milliarden (bis 2038) ausgegeben werden. Diesen Teil müssen Länder und Kommunen zu zehn Prozent kofinanzieren.

Mit weiteren bis zu 26 Milliarden Euro will der Bund die Regionen direkt unterstützen. Die Maßnahmen umfassen Vorhaben, die ohnehin in Bundeszuständigkeit fallen wie Fernstraßen und Schienenwege, aber auch Vorhaben aus dem Wunschkatalog der Länder, bei denen der Bund mitreden darf oder will.

Regierung reagiert auf Kritik

Neu ist, dass im 14-Milliarden-Katalog nun auch Maßnahmen zum Umweltschutz vorkommen wie Bodensanierung, Wassermanagement, Naturschutz und Landschaftspflege, insbesondere auch "Maßnahmen zur Renaturierung und Umgestaltung ehemaliger Tagebauflächen sowie zu deren Aufforstung", wie es wörtlich im Gesetzestext heißt. Letzteres ist sicher eine Reaktion darauf, dass die Rückstellungen der heutigen Tagebaubetreiber nie und nimmer für die Rekultivierung ausreichen.

Neu im Gesetz ist weiter, dass von den 14 Milliarden lediglich die erste Tranche von 5,5 Milliarden ohne Kohleausstiegs-Pflichten fließen soll. Die zweite und dritte Tranche soll nur dann gezahlt werden, wenn eine Überprüfung auf Grundlage des Kohleausstiegsgesetzes ergibt, dass in der "jeweils vorausgehenden Förderperiode" Stilllegungen von Braunkohleanlagen im vorgesehenen Umfang "erfolgt oder rechtsverbindlich vereinbart worden sind". Sollte das nicht der Fall sein, droht das Gesetz schon mal mit dem Zurückhalten der Mittel, bis die Vorgaben des Ausstiegsgesetzes erfüllt sind.

Mit dieser Verknüpfung der Förderung an den Kohleausstieg wenigstens ab 2027 geht die Bundesregierung – teilweise – auf die Kritik an den "Eckpunkten" ein, es würden Milliarden verteilt, ohne dass die Gelder mit Klimapflichten verbunden sind.

Dem kommunalen Spitzenverband VKU ist diese Änderung aber schon ein Zuviel an Klimapolitik. Dass Strukturhilfen für ein ganzes Bundesland zurückgestellt würden, wenn ein "einzelnes Kraftwerk" nicht nach Plan stillgelegt wird, sei eine Härte und erschwere die langfristige Strukturentwicklung, erklärte VKU-Geschäftsführerin Katherina Reiche. Das müsse im parlamentarischen Verfahren "intensiv" diskutiert werden, verlangte sie.

Das Kohleausstiegsgesetz, auf das sich die Vergabe der Strukturhilfen ab 2027 bezieht, ist derzeit aber auch kaum mehr als eine leere Hülle. "Es ist wichtig und richtig, dass der Gesetzentwurf die Mittelausschüttung an das Inkrafttreten des Kohleausstiegsgesetzes knüpft. Das muss nun aber auch auf den Weg gebracht werden", erwartet Michael Schäfer vom WWF. Dass in den sieben Monaten, seit die Kohlekommission Ergebnisse vorgelegt hat, kein einziges Kraftwerk abgeschaltet wurde und es nach wie vor keinen Plan gibt, wann welche Anlage vom Netz gehen soll, ist für Schäfer Anlass zur Besorgnis.

Vor Mitte September wird das "Strukturstärkungsgesetz" allerdings nicht im Bundestag behandelt werden. In der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause, die am 10. September endet, geht es erstmal um den Haushalt 2020.

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