Dampfendes Kohlekraftwerk Niederaußem in Bergheim bei Köln.
Manche Blöcke des RWE-Kraftwerks Niederaußem sind mehr als ein halbes Jahrhundert alt. (Foto: Harald Hillemanns/​Wikimedia Commons)

Zu den Kröten, die die Kohlekommission schlucken musste, damit am Ende überhaupt ein Ausstiegsdatum zustande kam, gehört die Empfehlung, Kraftwerksbetreibern Entschädigungen zu zahlen – sofern es nicht zu einer, wie es im Bericht heißt, "einvernehmlichen Vereinbarung" über die Stilllegung kommt. Dass Letzteres nicht zu erwarten ist, machte der in den nächsten Jahren besonders betroffene RWE-Konzern sogleich klar.

1.000 Megawatt abzuschalten koste zwischen 1,2 und 1,5 Milliarden Euro, erklärte RWE-Chef Rolf Martin Schmitz kürzlich auf einer Gewerkschaftstagung in Berlin. Da kommt bei den rund 3.000 Megawatt alter Braunkohle, die RWE bis 2022 noch vom Netz nehmen soll, eine hübsche Summe zusammen.

Bereits im Oktober 2018 hatte der renommierte Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einem Gutachten Entschädigungsansprüche, wenn alte Kohlekraftwerke vorzeitig stillgelegt werden, stark in Zweifel gezogen.

An der rechtlichen Bewertung hat sich aus Sicht der Parlamentsexperten auch nach den Empfehlungen der Kohlekommission nichts geändert. Das geht aus einer aktuellen Stellungnahme des Dienstes hervor.

Wie im Oktober kommen die Experten zu dem Schluss, dass eine "gesetzlich angeordnete Stilllegung von Kohlekraftwerken grundsätzlich auch ohne Entschädigungsleistung möglich ist". Weiter ergebe sich eine Pflicht zum Ausgleich nur im "Ausnahmefall bei Vorliegen gewichtiger Gründe".

Entschädigungen seien vor allem in Einzelfällen geboten, in denen "ansonsten unzumutbare wirtschaftliche Belastungen verbleiben". Allerdings gebe es in dem Bericht der Kohlekommission "keine Hinweise auf das Bestehen unzumutbarer wirtschaftlicher Belastungen", wird in der Stellungnahme betont.

RWE-Braunkohlekraftwerke verlieren an Wert

Deutlich niedriger als RWE veranschlagt ein Gutachten der Beratungsfirma Energy Brainpool den Wert der noch laufenden 15 RWE-Braunkohleblöcke mit insgesamt 9.500 Megawatt Leistung. Deren voraussichtliche Kosten und Erlöse hatten die Analysten im Auftrag des Ökostrom-Unternehmens Greenpeace Energy berechnet. Danach liegt der für 2020 zu erwartende Gewinn der Kraftwerke – und damit ihr Marktwert – nur noch bei rund 1,3 Milliarden Euro. Wegen steigender Betriebskosten vor allem durch höhere CO2-Preise würden mehrere Blöcke bereits in einigen Jahren unrentabel. 2022 sei der RWE-Braunkohlekraftwerkspark nur noch 673 Millionen Euro wert. Diese Bewertungen müssten nun Grundlage für Entschädigungsverhandlungen zwischen Bundesregierung und RWE sein, fordert Greenpeace Energy.

Schaue man sich die Rechtslage an, seien die Milliarden-Forderungen von RWE "absurd", sagt dazu der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, Oliver Krischer. "Rolf-Martin Schmitz weiß ganz genau, dass er für 50 Jahre alte Methusalem-Blöcke keinen Cent bekommt, wenn es ernst wird."

Auch verstehe niemand, warum Krankenpfleger und Polizisten für Kraftwerke bezahlen sollten, "die seit Jahrzehnten abgeschrieben sind und mit denen RWE schon Milliarden verdient hat", so Krischer.

"Klimaziele gehen vor"

Dass sich die meisten Kohlekraftwerke in Deutschland ohne Entschädigung bald stilllegen lassen, hatte im vergangenen November auch ein Kurzgutachten des Umweltrechtsexperten Stefan Klinski von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) ergeben.

Die Rechtslage zeige, dass ein gesetzlich angeordneter Ausstieg aus der Kohlenutzung weder verfassungs- noch europarechtlich ernstlichen Bedenken unterliege, schreibt Klinski.

Der Grund sei, dass Klimaschutzziele verfassungsrechtlich ein höheres Gewicht hätten als die Interessen der Wirtschaftsakteure, so Klinski in dem "rechtswissenschaftlichen Vermerk", den er Ende November 2018 an die Kohlekommission schickte.

Der Ausstieg lasse sich, heißt es in dem Papier weiter, aus rechtlicher Sicht ohne jahrzehntelange Übergangsfristen realisieren, bei den meisten Kraftwerken sogar "innerhalb weniger Jahre – und das ohne Entschädigung."

Auf Entschädigungsforderungen der Kraftwerks- oder Tagebaubetreiber werde sich der Staat "allenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen oder in geringem Umfang einlassen müssen".

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