Braunkohlebagger im Tagebau Garzweiler zwei.
Im Rheinischen Braunkohlerevier darf nach gerichtlicher Entscheidung auch das Dorf Lützerath abgebaggert werden. Nötig wäre das nach der neuen Studie nicht. (Foto: Nedu 503/​Pixabay)

Eine Reihe bereits abgeschalteter Kohlekraftwerke soll wegen der Gaskrise vorübergehend reaktiviert werden. Darunter sind auch Braunkohleblöcke, die aus den Tagebauen im Rheinland und in der Lausitz beliefert werden.

Umstritten ist in diesem Zusammenhang vor allem der Abbau in der Garzweiler-II-Grube in Nordrhein-Westfalen, dem unter anderem das Dorf Lützerath bei Erkelenz zum Opfer fallen würde. Eine neue energiewirtschaftliche Untersuchung hält das für unnötig.

Es gebe keine "energiewirtschaftliche Notwendigkeit für die Inanspruchnahme weiterer Dörfer und Höfe am Tagebau Garzweiler II", urteilt die Coal Exit Research Group, der Expert:innen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der TU Berlin und der Europa-Universität Flensburg angehören.

Ihre Studie kommt zu dem Ergebnis, dass im aktuellen Abbaubereich bereits deutlich höhere Kohlemengen genehmigt sind, als zur Sicherung der Energieversorgung bis 2030 benötigt werden. Daher gebe es auch keine energiewirtschaftliche Rechtfertigung zur Genehmigung neuer, über den Bereich des aktuellen Hauptbetriebsplans hinausgehender Abbauflächen.

Das Wissenschaftsteam geht in seiner Analyse von dem im "Osterpaket" der Bundesregierung beschlossenen Ausbaupfad für erneuerbare Energien und dem im neuen schwarz-grünen NRW-Koalitionsvertrag angekündigten Kohleausstieg bis 2030 aus.

Außerdem wird sogar eine hohe Auslastung der Kohlekraftwerke in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts angenommen. Zur Reaktivierung vorgesehen sind im rheinischen Revier drei Kohleblöcke von RWE.

Laut Studie besteht bis zum Ende der Kohleverstromung in NRW ein maximaler Kohlebedarf von 271 Millionen Tonnen Braunkohle aus dem Tagebaukomplex Hambach/​Garzweiler II. In den dort bisher genehmigten Bereichen seien aber noch 300 Millionen Tonnen förderbar, ohne dass Lützerath beseitigt werden müsse.

Die Autor:innen weisen auch ausdrücklich darauf hin, dass sogar nur noch 40 Millionen Tonnen verbrannt werden dürften, wenn die Politik sich am 1,5-Grad-Limit des Pariser Klimavertrages orientiert.

"Eine dreiste Lüge"

CDU und Grüne in Nordrhein-Westfalen hatten sich in ihrem Vertrag auf ein vorgezogenes Aus für die Kohle bis 2030 (statt bisher 2035 bis 2038) geeinigt. Daran will die Koalition auch trotz Gaskrise festhalten und dafür eine neue "Leitentscheidung" erarbeiten.

In dem von der Grünen-Politikerin Mona Neubaur geführten Wirtschaftsministerium heißt es, die RWE Power AG habe zwar das Recht, alle Flächen im derzeit genehmigten Bereich zu nutzen, doch solle der weitere Flächenbedarf auf ein Minimum begrenzt werden.

Der Konzern betonte nun, er verfüge über alle Genehmigungen zur planmäßigen Fortführung des Tagebaus Garzweiler. Erst Ende Juni hatte RWE offiziell erklärt, man werde auf den Abbau unter Lützerath nicht verzichten. Es wird erwartet, dass der Abbruch der noch bestehenden Gebäude dort im Oktober anläuft.

Die Umweltorganisationen BUND, Greenpeace, Klima-Allianz und "Alle Dörfer bleiben" forderten Ministerin Neubaur auf, mit RWE den Erhalt von Lützerath zu vereinbaren und den bereits vom Konzern gestellten Antrag auf neue Abbauflächen abzulehnen.

Bundestag will Lützerath erhalten

Von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen, hat der Bundestag zusammen mit dem sogenannten Ersatzkraftwerke-Bereithaltungsgesetz schon am 7. Juli eine Entschließung verabschiedet, in der sich das Parlament erstmals für die Erhaltung von Lützerath ausspricht. Wörtlich heißt es auf Seite 33 der später vom Plenum angenommenen Beschlussempfehlung des Energieausschusses: "Der Deutsche Bundestag befürwortet zudem den Erhalt des Dorfes Lützerath am Tagebau Garzweiler und den Verzicht auf die Nutzung der Braunkohle unter dem Dorf."

"Wenn RWE behauptet, dass die Kohle unter Lützerath dringend benötigt wird, ist das nichts weiter als eine dreiste Lüge", sagte "Alle Dörfer bleiben"-Sprecherin Alexandra Brüne. Man erwarte, dass die neue Landesregierung "endlich auf Basis der wissenschaftlichen Fakten" handele.

Der Geschäftsleiter des BUND NRW, Dirk Jansen, forderte, alle weiteren Tagebaugenehmigungen auf den Kohleausstieg 2030 und ein klimaneutrales Land auszurichten. "Damit aber ist klar, dass der RWE-Antrag auf Zulassung eines neuen Hauptbetriebsplans so nicht zugelassen werden darf. Die bergrechtliche Genehmigung muss auf die bisherige Abbaufläche unter Aussparung von Lützerath beschränkt werden."

Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid sagte: "Die 1,5-Grad-Grenze verläuft vor Lützerath." Eine glaubwürdige Klimapolitik dürfe nicht zulassen, dass RWE diese Grenze überschreitet. Das Ausbeuten der Braunkohle unter Lützerath sei auch bei der derzeitigen Gasmangellage "energiepolitisch nicht notwendig und klimapolitisch verantwortungslos".

Redaktioneller Hinweis: Studien-Mitautorin Claudia Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.

Anzeige