Erfolg eins: Es gibt überhaupt ein Ergebnis. Ganz am Ende des Auftritts am heutigen Samstagvormittag bricht es aus dem übernächtigt aussehenden Kai Niebert doch noch heraus. Dass die Kohlekommission nun ein Ergebnis vorlege, grenze an ein "Wunder", ruft der Präsident des Umweltdachverbandes DNR in den Saal der Bundespressekonferenz.
Man habe "äußerst unterschiedliche Interessen in der Kommission gehabt", das Gremium habe über "lange Zeit eher chaotisch gearbeitet" und die Bundesregierung habe in die Kommission "immer wieder hineingefunkt", obwohl sie selbst nicht in der Lage gewesen sei, über den Kohleausstieg zu entscheiden, holt Niebert zum Rundumschlag aus.
Der Umweltschützer zielt mit seinem Frust klar auch in Richtung Kommissionsspitze: Es habe Treffen am Rande gegeben, in denen Absprachen getroffen worden seien, die nicht von der gesamten Kommission getragen wurden.
Erfolg zwei: Der Einstieg in den Ausstieg. Der Kompromiss sei ein "Wendepunkt für die energiepolitischen Fragen in Deutschland", betont Greenpeace-Geschäftsführer und Kommissionsmitglied Martin Kaiser. Auch Niebert hebt das Kohleausstiegs-Enddatum in den 2030er Jahren hervor. Am Anfang der Kommissionsarbeit habe da bei vielen noch eine Vier in der Jahreszahl gestanden. Es sei gelungen, das Ausstiegsdatum "deutlich nach vorn zu ziehen".
Kaiser sieht auch ein "starkes internationales Signal". Dass ein Industrieland wie Deutschland, das aus der Atomkraft aussteigt, jetzt auch anfängt aus der Kohle auszusteigen, sei beispielgebend.
Erfolg drei: Erhalt des Hambacher Waldes: Dieser Punkt bereitet BUND-Chef Hubert Weiger sichtlich die größte Genugtuung, auch wenn der Kommissionsbericht selbst nur fordert, es sei "wünschenswert, dass der Forst erhalten bleibt". Die Umweltverbände gehen fest davon aus, dass der Wald stehen bleiben wird, daran lassen sie gar keinen Zweifel.
Dies, so betont Kommissionsmitglied Weiger, sei ein "gemeinsames Ergebnis" nicht nur des jahrelangen Widerstandes vor Ort und der ebenso jahrelangen Arbeit der Umwelt- und Naturschützer, sondern werde jetzt auch von der Bergbaugewerkschaft IG BCE und der Energiewirtschaft mitgetragen.
Martin Kaiser lobt hier ausdrücklich die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Diese habe irgendwann begriffen, dass politisch nichts mehr zu gewinnen sei, wenn im Hambacher Wald weiter geräumt und gerodet wird. Erst da habe das Bundesland Konzepte auf den Tisch gelegt, wie aus einer Kohle- eine Erneuerbaren-Region werden könne.
Mit einem dreistufigen Ausstiegsfahrplan soll der Abschied von der Kohle gelingen: Das schlägt die Kohlekommission vor
Für den Klimaschutz reicht der Kommissions-Vorschlag nicht: Es muss schneller gehen
Erfolg vier: Größere Abschaltungen bis 2022 und "Stetigkeit" bis 2030. Nach Angaben von Greenpeace-Vertreter Kaiser werden in den nächsten drei Jahren bis zu fünf große Braunkohleblöcke vom Netz gehen. Der Endbericht spricht von 12.500 Megawatt, die Ende 2022 im Vergleich zu Ende 2017 nicht mehr am Strommarkt präsent sein werden, davon "annähernd" 5.000 Megawatt Braunkohle sowie 7.700 Megawatt Steinkohle. Dazu komme eine "weitgehende" Umstellung der 2.300 Megawatt umfassenden Netzreserve von Steinkohle auf Gas.
Für die Zeit zwischen 2023 und 2030 ist im Kommissionsbericht, wie die Verbandsvertreter mehrfach zu erläutern versuchen, eine Art "Stetigkeit" vereinbart. So müssten von der Energiewirtschaft noch zehn Millionen Tonnen CO2 zusätzlich eingespart werden, rechnet Niebert vor. Dies sei nicht anders einlösbar, als dass weitere Braunkohleblöcke, darunter auch welche im Osten, vom Netz gehen.
Der Endbericht sieht dazu auch mehrere Überprüfungen des Ausstiegsfortschritts vor, empfiehlt aber, dass die Emissionsminderung von weiteren zehn Millionen Tonnen "möglichst durch ein Innovationsprojekt" erfolgen soll.
Vor allem der starke Einstieg bis 2022 sei aber für die Verbände der Grund gewesen, dem Endbericht zuzustimmen, sagt Kaiser. "Der Kohlezug hat den Bahnhof verlassen und ist nicht mehr aufzuhalten."
Misserfolg eins: Geringe Verbindlichkeit. Wann der Zug sein Ziel erreichen wird, spinnt BUND-Chef Weiger das Bild des Kollegen von Greenpeace weiter, darüber werde in den nächsten Jahren noch viel zu diskutieren und zu entscheiden sein. Weiterhin werde eine starke und aufmerksame Umweltbewegung, gerade auch in den Ost-Braunkohleländern, gebraucht, um Ausstieg und Klimaschutz abzusichern.
Niebert räumte in dem Punkt ein, dass es nicht gelang, gerade für Mitte der 20er Jahre einen konkreten Abschaltplan für Kohlekraftwerke durchzusetzen. Für die Zeit nach 2022 müssen die Verbände auf die vereinbarte, aber eben auch etwas nebulöse "Stetigkeit" setzen – siehe Erfolg vier.
Misserfolg zwei: Klimapolitisch reicht der Kompromiss nicht aus. Deutschlands Klimaziel für 2020 wird nach Angaben der Denkfabrik Agora Energiewende nun erst 2025 erreicht, und ob das verbindliche Klimaziel für 2030 dann unter den Umständen noch erfüllbar ist, darüber gehen die Prognosen auseinander.
Klar ist auch, dass sich Deutschland mit diesem Kohleausstieg nicht auf dem Pfad zu den Pflichten aus dem Pariser Klimavertrag befindet, vor allem nicht, wenn das 1,5-Grad-Limit der Maßstab ist.
Dass sich die Verbände für den Klimaschutz einen "deutlich ambitionierteren Pfad gewünscht hätten, der auch klimaphysikalisch notwendig wäre", bestätigt auch Dachverbandschef Kai Niebert.
Weil das Ausstiegjahr 2038 klar gegen das Pariser Klimaabkommen verstößt, haben die drei Verbände nach ihren Angaben auch mit einem Minderheitenvotum gegen die Jahreszahl im Endbericht gestimmt.
Misserfolg drei. Die Energiewirtschaft muss beim Klimaschutz auch weiterhin nur das tun, wozu sie anteilig verpflichtet ist. Auftrag der Kommission war aber auch, der Branche einen substanziellen zusätzlichen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele abzuringen.
Die Hoffnung, dass die Energiewirtschaft den anderen Sektoren – Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude – bei der CO2-Reduktion "unter die Arme greift", ist Niebert zufolge "in der letzten Nacht gestorben".
Misserfolg vier: Ost-Braunkohleländer haben keine Klimapflichten. Kurz nach Bekanntwerden des Endberichts kritisierte die Grüne Liga, dass die Steuermilliarden in die Lausitz "praktisch ohne Gegenleistung fließen". Die Kraftwerksplanungen des dortigen Betreibers Leag würden nicht angetastet, betonte das ostdeutsche Umweltnetzwerk. Deshalb habe auch Hannelore Wodtke, die Vertreterin der Lausitzer Tagebaubetroffenen in der Kohlekommission, dem Schlussbericht nicht zugestimmt.
DNR-Präsident Niebert kann hier nur darauf verweisen, dass die per "Stetigkeit" vereinbarten CO2-Einsparungen zwischen 2023 und 2030 die Landesregierungen zwingen werden, weitere Braunkohleanlagen abzuschalten. "Mit diesem Kommissionsergebnis muss Mitte der 2020er Jahre in der Lausitz etwas passieren", entgegnet er der Kritik.
Fazit: "Besser schlechten Klimaschutz als gar keinen Klimaschutz", schließt DNR-Präsident Niebert seine Bewertung und bezieht sich ausdrücklich auf die Jamaika-Verhandlungen Ende 2017. Da hatte bekanntlich FDP-Chef Christian Lindner die Gespräche mit Union und Grünen wegen der Klima- und Energiepolitik platzen lassen mit dem Satz: "Besser nicht regieren als falsch regieren."
Welches Fazit letztlich für Arbeit und Ergebnis der Kohlekommission zu ziehen ist, wird sich sicher erst in einigen Jahren und nach vielen weiteren hitzigen Debatten herausstellen.