Ein großer blauer SUV und ein roter Mercedes-Sportwagen in der Tiefgarage.
Kein Happy End in der Tiefgarage: Hochmotorisierte Autos, egal mit welchem Motor, müssen aus dem Verkehr gezogen werden. (Foto: Ilja Rudjakow/​Shutterstock)

Deutschland ist jetzt "Europameister der E-Mobilität". Ende Januar hat der Verband der deutschen Automobilindustrie die Zulassungszahlen 2020 in gewohnter Selbstgefälligkeit kommentiert.

Zuvor hatte schon das Kraftfahrt-Bundesamt die Kernbotschaft versendet: "Elektromobilität auf der Überholspur". Jedes siebte in Deutschland neu zugelassene Auto war ein Elektrofahrzeug.

Sensationell, die Mobilitätswende nimmt also endlich Fahrt auf. Gibt es doch noch ein Happy End in der Tiefgarage?

Dazu passen die regelmäßig verbreiteten Meldungen von neuen Wunderbatterien und dem ersten Elektroauto mit 1.000 Kilometern Reichweite vom neuen chinesischen Automobil-Star Nio. Stromert das All-in-one-Reise- und -Rennauto grün lackiert in eine nachhaltige Zukunft?

Es ist verständlich, dass in einer großen Krise die Zukunft mit den Bordmitteln des bisherigen Denksystems erdacht wird, anstatt die ganze Denkordnung infrage zu stellen. Und die Mobilitätskrise ist ja tatsächlich fundamental.

Die Stichworte: Erdüberhitzung, Lärm, Abgase, Feinstaub, Unfallopfer, Aggression im Straßenverkehr, Dieselskandal, Flächenfressen, unwirtliche autoverstopfte Städte.

Und: Die aktuellen Emissionsmengen engen die Spielräume immer mehr ein – wir müssen beim Umsteuern höllisch aufs Tempo drücken.

Die Mobilität in den Jahren 2030 und 2050 muss mit stark reduziertem und schließlich ganz ohne Kohlendioxid-Ausstoß funktionieren. CO2 gleich null! Mit dieser Zielvorstellung vor Augen, liegt das Problem wie eine Panzersperre auf der Straße.

Schon die Pariser Klimaziele für 2030 sind bei einer Verlängerung des bestehenden Trends nicht mehr erreichbar. Ein lineares Rückrechnen von null Verkehrsemissionen 2050 auf die heutigen 163 Millionen Tonnen (2019) sei "schwierig", hatte jüngst BDI-Präsident Dieter Kempf erklärt und "Lernkurven der Technik" versprochen.

Aber: Geht es überhaupt mit einer rein technischen Lösung? Sind Tesla und die chinesischen Konzerne, denen die deutschen Autobauer neidisch hinterherfahren, das Zukunftsmodell? Geht ein prinzipielles "Weiter so" und wir schaffen trotzdem die Klimaziele?

Verkehrsplanung weit am Klimaziel vorbei

Rechnen wir also zurück. Gehen wir einmal von jenen 40 Prozent weniger CO2 bis 2030 aus, wie sie die Bundesregierung beschlossen hat. Die EU verlangt sogar noch anspruchsvollere Ziele.

Und jetzt schauen wir in den Bundesverkehrswegeplan. Was passiert dort? Das Volumen des automotorisierten Fahrens von Personen und Waren wird überhaupt nicht hinterfragt. Es soll weiter und immer weiter zunehmen.

Extrem ist vor allem das im Bundesverkehrswegeplan unterstellte Wachstum des Straßengüterverkehrs um 39 Prozent bis 2030 gegenüber dem Basisjahr 2010. Jährliche Wachstumsrate: drei Prozent, weiterer Straßenausbau inklusive.

Wie soll der Güterverkehr auf der Straße bei diesem rasanten Wachstum 40 Prozent Klimaemissionen einsparen? Es gibt weder Oberleitungen noch einen effizienten Batteriebetrieb im Güterfernverkehr.

Helmut Holzapfel
Foto: ZMK

Helmut Holzapfel

leitet das Zentrum für Mobilitäts­kultur in Kassel. Der Bau­ingenieur, Stadt­planer und Verkehrs­wissen­schaftler war bis 2015 Professor am Institut für Verkehrs­wesen der Uni Kassel. Sein neues Sach­buch zur Mobilitäts­wende heißt "Urbanismus und Verkehr".

Auch der neuerdings gehypte Wasserstoff bietet keine ernsthafte Perspektive für einen Großeinsatz in der Lkw-Flotte bis 2030, zumal bei der Umwandlung des eingesetzten grünen Stroms enorm viel Energie verloren geht. Noch mehr gilt dies für synthetische Kraftstoffe, auch wenn sie gern "Eco-Fuels" getauft werden.

Und selbst wenn mit Wasserstoff oder Batterien durch ein kleines Wunder doch noch vernünftige Lösungen für neu zugelassene Elektro-Lkw gefunden werden sollten – die Mehrkilometer würden die Fortschritte einer sich langsam verändernden Fahrzeugflotte wieder auffressen.

Im Luftverkehr, der jetzt von Corona ausgebremst wurde, geht die Politik sogar von Steigerungsraten im Passagieraufkommen und Flugkilometern von fünf Prozent aus. Und sie hat bisher nichts getan, um diese Entwicklung zu stoppen.

Der Auto-Personenverkehr soll ebenfalls weiter zulegen – um ein Prozent in jedem Jahr. Damit stehen alle Wegweiser auf "volle Fahrt voraus" für den motorisierten Verkehr.

Die Dumpingpreise für Sprit passen perfekt dazu. Der ist in den vergangenen Jahren in Relation immer billiger geworden, weil er weniger angestiegen ist als die Fahrkartenpreise für Bus und Bahn. Aktuell ist er so billig, dass Plug-in-Hybride lieber an die Tankstelle fahren, als Strom zu laden.

Die lächerliche CO2-Abgabe von 25 Euro je Tonne hat den Kraftstoff zwar um eine homöopathische Dosis von sieben bis acht Cent verteuert. Als Abfederung wurde aber prompt die umweltschädliche Pendlerpauschale erhöht, damit der Autoverkehr bloß nicht leidet.

Eine Verkehrspolitik, die ausschließlich auf den simplen Antriebswechsel von fossil auf elektrisch setzt, der noch dazu gebremst und ohne Schwung daherkommt, muss an ihrer Begrenztheit und ihrem ungehemmten Wachstumsdenken schon im Ansatz scheitern. An den Klimazielen geht das weit vorbei.

Der Irrsinn mit den Hybrid-"Elektroautos"

Wie kontraproduktiv die Verkehrspolitik lenkt, zeigt sich exemplarisch bei den Plug-in-Hybridfahrzeugen, die sowohl mit fossilen Treibstoffen als auch elektrisch fahren können.

In der Statistik tauchen sie als Elektrofahrzeuge auf und werden auch entsprechend üppig gefördert. Der reale Fahrbetrieb entlarvt diese Fahrzeugklasse als klimaschädliche PS-Monster – darunter auffallend viele SUVs –, die überwiegend fossil unterwegs sind.

Bei nicht wenigen Fahrzeugen liegt das Ladekabel noch originalverpackt und unbenutzt im Kofferraum. Die jetzt in einer Studie (Ifeu, Öko-Institut, Transport & Environment) veröffentlichten Daten offenbaren das ganze Verhängnis.

Zwei Drittel der Plug-in-Autos schaffen nicht einmal 50 Kilometer mit ihrem elektrischen Alibi-Antrieb. Mehr als drei Viertel sind Dienstwagen, die auf Langstrecken im reinen Verbrennermodus unterwegs sind.

Mit einer martialischen Leistung von durchschnittlich 281 PS und 1.956 Kilogramm Gewicht verbrauchen diese Fahrzeuge im Schnitt 6,5 bis 8,0 Liter Sprit, in der Spitze bis zu elf Liter. Selbst wenn die Autos bei vollem Akku elektrisch fahren, schaltet sich bei höherer Geschwindigkeit und starker Beschleunigung der Verbrenner dazu.

Die Bilanz der Studie fällt entsprechend harsch aus: "Für einen mittleren Plug-in-Hybriden im Jahr 2030 ergeben sich real etwa 130 Gramm CO2-Emissionen pro Kilometer, während der zu erreichende Flottenmittelwert bei ungefähr 60 Gramm liegt."

Mit anderen Worten: Der Boom der Plug-in-Hybride, der mehr als die Hälfte der 2020 neu zugelassenen Elektroautos ausmacht, gefährdet alle Klimaziele.

Diese Fahrzeuge gehören nicht nur zu den PS-stärksten, sondern auch zu den größten und schwersten Autos, sie fahren im umweltfreundlichen Gewand vor, befeuern aber nur das alte Paradigma des klimaschädlichen Kolosses. Umweltprämien für übergewichtige und leistungsprotzende Plug-in-Hybride sind keine Fehlsteuerung, sie sind staatlich subventionierter Irrsinn.

CO2-Einsparung zu drei Vierteln heiße Luft

Zurück zur Kempfschen Rückrechnung. Selbst bei sehr optimistischer Betrachtung mit unterstellten weiteren technischen Fortschritten und einer Offensive der Bahn ist offensichtlich, dass die CO2-Einsparung im Verkehr bis 2030 statt der anvisierten und notwendigen 40 oder 50 Prozent maximal einstellig ausfallen wird.

Nach Überwindung der Coronakrise wird der Verkehr, wenn nicht entschlossen gegengesteuert wird, in Deutschland weiter wachsen mit einer erneuten Zunahme gefahrener Kilometer von Pkw und Lkw. Beim Lkw reden wir bis 2030 von 20 Prozent zusätzlichen Tonnenkilometern, beim Pkw von zehn Prozent Wachstum.

Können die neuen Elektroantriebe, selbst wenn sie entschlossener als bisher durchgesetzt würden, dieses Wachstum ausgleichen? Können sie es darüber hinaus nicht nur ausgleichen, sondern den dringend notwendigen steilen Rückgang der Emissionskurve garantieren?

Porträtaufnahme von Manfred Kriener.
Foto: privat

Manfred Kriener

gehört zur Gründer­generation der Tages­zeitung Taz und ist Umwelt­journalist in Berlin. Im vergangenen Jahr erschien von ihm das Buch "Lecker-Land ist abgebrannt" bei Hirzel.

Jeder ehrliche Beobachter kennt die Antwort: Nein.

Elektroautos sind zwar in der Regel CO2-effizienter als fossil getriebene Gefährte. Aber ein großer Teil ihrer Energie kommt auch in den nächsten Jahren noch aus fossilen Quellen.

Der grüne Strom von Wind und Sonne ist zudem knapp, er wird auch für andere Sektoren dringend gebraucht. Und auch in der gesamten Herstellungskette von Elektroautos und ihren Batterien fallen Klimaemissionen an. Die Menschenrechtsverletzungen beim Abbau von Kobalt und Lithium werden, wie immer wieder Beispiele zeigen, oft genug hingenommen.

Viele E-Modelle, wie etwa der zweieinhalb Tonnen schwere Tesla, bringen sogar noch mehr Gewicht auf die Straße als ihre ebenfalls immer massiger werdenden fossilen Brüder. Auch für Elektroautos gelten Naturgesetze: Je schwerer sie sind, desto mehr Energie ist notwendig, um sie zu bewegen.

Kalkulieren wir erneut optimistisch und gehen für 2030 von zehn Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen aus, und unterstellen wir weiter, dass sie 50 Prozent CO2 gegenüber fossil getriebenen Autos einsparen.

Dann würden wir bei einer Flotte mit nun 20 Prozent Elektroautos pro Autokilometer zehn Prozent Klimagase einsparen. Jeder zusätzlich gefahrene Kilometer lässt die Einsparungen aber wieder abschmelzen. Bei zehn Prozent mehr Autokilometern sind wir wieder bei null Einsparungen angekommen.

Verkehr muss teurer werden 

Damit ist klar: Das bestehende Verkehrsparadigma mit seinem permanenten Wachstum und dem entfernungsintensiven Verhalten der Menschen muss radikal umgedacht werden.

Es reicht nicht, nur die Technik zu verändern. Wir müssen wirklich an die Fahrleistungen ran. Die Energie und die Resilienz des Planeten reichen nicht aus für das immer entfernungsintensivere Herumfahren von Personen und Waren, selbst wenn wir 2050 vollständig elektrisch unterwegs sein sollten.

Das heißt auch: Straßenbau wie bisher, der den Kilometer-Zuwachsraten neuen Raum gibt, hat keine Zukunft mehr. Und: Eine erhebliche Verteuerung der Kilometerpreise ist unvermeidlich.

Umweltgruppen und Grüne haben vor Jahren mit ihrer Forderung nach einem ökologisch ehrlichen Spritpreis von fünf Mark je Liter für heftige Empörungswellen gesorgt. Aktuell kalkuliert eine Studie des österreichischen Automobilclubs ÖAMTC mit vier Euro pro Liter fossilem Kraftstoff, wenn wirklich ein Umdenken einsetzen soll.

Weniger Autos, weniger Lastwagen, weniger gefahrene Kilometer – das sind die Zutaten einer echten Mobilitätswende. Die Zahl der Kilometer, die wir zurücklegen, ist weder ein Wohlstandsmaß noch kann sie dauerhaft ein Indikator für Wirtschaftswachstum sein.

In den Städten reichen Einzelmaßnahmen nicht mehr aus, auch hier braucht es eine neue Mobilitätsordnung als Teil eines Bundesmobilitätsgesetzes.

Es wird nicht ohne eine andere Raumaufteilung gehen, mit neuen Rechten auf öffentliche Räume und auf Stadtkultur. Mit Vorfahrt für emissionsfreie Bewegung zu Fuß oder mit dem Rad. Weniger motorisierte Fahrzeuge bringen in den unter der Autolast ächzenden Städten sofort mehr Lebensqualität.

Fazit: Mit Technik allein sind Klimaziele und Mobilitätswende nicht zu schaffen. Technik, Verhalten, Preise, Vorfahrtsregeln, Stadtplanung – vieles muss sich ändern.

Auch unsere Vorstellung vom guten Leben. Es ist von vielem abhängig, wie wir gerade in der Pandemie erfahren, aber gewiss nicht vom Ausmaß der zurückgelegten Kilometer.

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