Künstlich wirkende Landschaft mit sanften grünen Hügeln, einem grünen Baum und einem großen in der Luft schwebenden H₂.
Schöne grüne Wasserstoffwelt. (Bild: Peter Schreiber/​Shutterstock)

Ein grüner Teppich wird derzeit für die Wasserstoffwirtschaft ausgerollt. 700 Millionen Euro gibt das Bundesforschungsministerium in den nächsten vier Jahren für drei Leitprojekte aus, die bisher größte Förderinitiative zum Thema Energiewende überhaupt, wie das Haus jüngst freudig mitteilte.

Noch mehr Geld macht das Bundesumweltministerium für die vier kommenden Jahre locker, nämlich bis zu zwei Milliarden Euro. Ein erster Antrag ist auch schon bewilligt, und zwar der der Salzgitter AG für eine CO2-arme Stahlerzeugung. So eine Technik sei ein "Kernelement zur Erreichung der Klimaziele", berichtete Simon Marr, Referatsleiter im Umweltministerium, letzte Woche auf der sogenannten Wasserstoffvollversammlung.

Wie der Stahl CO2-arm werden soll, erläuterte auf der Versammlung Alexander Redenius von der Salzgitter AG. Im Kern soll die kohlenstoffbasierte auf eine elektrische Stahlherstellung umgestellt werden. Für den Ressourcenexperten gibt es für so einen Umstieg im industriellen Maßstab anfangs – wenig verwunderlich – nicht genug "grünen", mit Ökostrom hergestellten Wasserstoff.

Aber Überraschung: Nicht der sonst so beliebte "blaue" Wasserstoff, fossil erzeugt und mit CCS neutralisiert, ist für Redenius die Übergangstechnik zur Klimaneutralität, sondern – Erdgas. Der "ideale Absprungpunkt" für die Salzgitter AG vom Kohlenstoff sei die "Erdgas-Direktreduktion", betont der Manager. Mit der Methode würden schon jetzt weltweit 80 Millionen Tonnen Stahl hergestellt, besonders in Gegenden, wo Gas bei der Ölförderung als Abfall billig anfalle.

Auf diese Weise könnten die CO2-Emissionen schon um zwei Drittel verringert werden, rechnete der Salzgitter-Manager vor. "Wir fangen heute an mit Erdgas und können, je nach Verfügbarkeit, immer größere Mengen Wasserstoff einsetzen", sagte er. Beginnen soll die Umstellung auf den CO2-armen Stahl in fünf Jahren.

Klimaneutraler Wasserstoff auf erneuerbarer Basis? Brauchen wir den? Woher kommt der? Bei der Wasserstoff-Versammlung stand diese Frage als großer grüner Elefant im Raum. Alle wissen um ihn, aber kaum einer redet davon.

Natürlich müsse man ebenso im Inland die Erneuerbaren ausbauen, meinte auch Stefan Kaufmann, Innovationsbeauftragter des Bundesforschungsministeriums, aber "wir" wüssten ja alle, dass trotz aller Mühen bis zu 80 Prozent des grünen Wasserstoffs importiert werden müssten. Spätestens 2030 wolle man hier "ready" sein, so Kaufmann, um grünen Wasserstoff "aus Australien, aus Südamerika oder sonstwoher" ins deutsche Leitungsnetz einspeisen zu können.

Zwar befürwortet Kaufmann nicht den Erdgaseinsatz, räumte aber ein, man werde im kommenden Markthochlauf auch "blauen" Wasserstoff in Deutschland sehen. Norweger und andere würden den ja anbieten. "Die Tatsache, dass wir selbst keinen blauen Wasserstoff produzieren, heißt ja nicht, dass wir ihn in Deutschland nicht anwenden wollen, beispielsweise zur Dekarbonisierung der Schwerindustrie."

Beim Ziel seien sich aber alle einig, sagte Kaufmann: "Grüner Wasserstoff ist die einzige klimaneutrale Variante, die uns hilft, die Klimaschutzziele dauerhaft zu erreichen."

Hauptsache teuer?

Ja – das so ferne Ziel "Klimaneutralität 2050". Wahrscheinlich muss man sich den grünen Weg des deutschen Wasserstoffs so vorstellen: Erstmal reichlich verfügbares Erdgas direkt einsetzen oder damit gefertigten "grauen" Wasserstoff, dann mit "blauem Wasserstoff" ergänzen – und am Ende nehmen wir dann grünen Wasserstoff, der "aus Australien oder sonstwoher" kommt und verflüssigt um die halbe Welt geschippert wird. Was für eine Innovation.

Und selbstverständlich soll die ganze Milliardenförderung technologieoffen sein. Klimaneutraler Lkw-Antrieb per Batterie, Oberleitung oder doch per Brennstoffzelle? So genau weiß man das noch nicht. Lasst uns überall ein Pilotprojekt finanzieren – oder, modern gesprochen, ein Reallabor.

Selbst den eigentlich schon totgefahr'nen Gas-Brennstoffzellen-Pkw soll sich die Autobranche doch bitte noch mal überlegen und nicht beerdigen? Nun – vielleicht war auf einer vom Bundesverkehrsministerium und der Energieagentur Nordrhein-Westfalen getragenen Wasserstoffkonferenz nicht viel anderes zu erwarten.

Das Lieblingsprojekt der Branche lautet derzeit aber: Beimischen von Wasserstoff – fast egal welcher Farbe – ins bestehende Erdgasnetz. Diese Idee verbreitet nicht nur eine um ihre Zukunft ringende Gaswirtschaft. Letzte Woche warb dafür auch der oberste Branchenverband der Energie- und Wasserwirtschaft, der BDEW, mit seiner "Zahl der Woche". 6,5 Millionen Tonnen CO2 lassen sich danach jährlich einsparen, wenn ins Gasnetz zehn Prozent Wasserstoff beigemischt würden.

Das Zehntel ist der Anteil, bis zu dem beigemischt werden könnte, ohne dass Haushalte, Kraftwerke und Industrie groß umgerüstet werden müssten. Im Jahr 2020 entsprachen die zehn Prozent rund 10,4 Milliarden Kubikmetern Wasserstoff, teilte der BDEW auf Nachfrage mit. Umgerechnet sind das 112 Milliarden Kilowattstunden in Wasserstoff gespeicherte Energie.

Das zeigt zunächst: Den gesamten Erdgaseinsatz in Deutschland durch Wasserstoff zu bestreiten ist quasi ein Ding der Unmöglichkeit. Gemessen an den gigantischen Mengen grünen Wasserstoffs sind 6,5 Millionen eingesparte Tonnen zudem wirklich wenig.

Dazu ein weiterer Vergleich: 2019 sparten die in Deutschland erzeugten 455 Milliarden Kilowattstunden Endenergie aus erneuerbaren Quellen in allen Bereichen – Strom, Wärme, Mobilität – laut Umweltbundesamt rund 201 Millionen Tonnen CO2 ein. Der CO2-Einspareffekt der Erneuerbaren liegt derzeit also ungefähr beim Achtfachen der Einsparung, wenn grüner Wasserstoff Erdgas ersetzt. Nimmt man allein hiesigen Ökostrom zum Maßstab, steigt der Unterschied etwa aufs Zehnfache.

Obwohl direkt genutzte erneuerbare Energien, besonders Ökostrom, den Wasserstoff als Energieträger nicht überall ersetzen können, ist die Botschaft ziemlich eindeutig: Wer aus dem Erdgas aussteigen will, sollte zuerst zusehen, ob sich Erneuerbare, besonders Ökostrom, direkt einsetzen lassen, und zugleich den Gasverbrauch drastisch herunterfahren – vielleicht sogar auf zehn Prozent. Für beides würde es sich eher lohnen, den grünen Teppich auszurollen.