Silberfarbener, futuristisch anmutender Lastwagen fährt auf kurviger Landstraße durch gebirgige Landschaft.
Der Tesla Semi soll nächstes Jahr in zwei Varianten mit 500 und 800 Kilometern Reichweite auf den Markt kommen. (Bild: Tesla)

Klimareporter°: Herr Hoekstra, viele Menschen sind skeptisch, dass Batterien angesichts von Gewichts- und Reichweitenbeschränkungen große Lastwagen antreiben können. Warum sehen Sie das anders?

Auke Hoekstra: Wer Batterie-Lkw nicht als beste Lösung sieht, geht oft vom härtesten Fall aus, den ein Diesel-Lkw bewältigen kann, etwa eine mehrtägige Fahrt mit zwei Fahrern oder Fahrten über 2.000 Kilometer. Natürlich kann in solchen Fällen die Batterie-Elektrik nicht mit Diesel oder synthetischen Kraftstoffen konkurrieren.

Aber meine Untersuchungen in den Niederlanden haben ergeben, dass 80 Prozent der Lastwagen höchstens 750 Kilometer am Tag fahren. Das gilt auch für die wirklich großen Sattelzüge mit 40 Tonnen. Wenn man weiter fahren will, werden die Dinge sehr schnell sehr teuer wegen der Überstunden und so weiter. 750 Kilometer ist also die Reichweite, die man mit etwa 80 Prozent der Lastwagen erreichen muss.

Hinzu kommt, dass fast alle Lastwagen am Ende des Tages zur Basis zurückkehren, was ideale Bedingungen für das Aufladen schafft.

Ein Beispiel: Viele Fahrer bringen Fracht vom Rotterdamer Hafen nach Venlo, auf halbem Weg ins Ruhrgebiet. Dort werden die Waren für die weitere Lieferung neu verpackt, um die Zahl der Fahrten zu reduzieren. Viele Fahrer machen mehrere solcher Fahrten am Tag und kehren dann nach Hause zurück. Sie können das Fahrzeug immer über Nacht am gleichen Ort aufladen.

Es gibt also kein Henne-Ei-Problem: Man kann gleichzeitig für die Infrastruktur und für den Lkw sorgen. Man muss nur ein 75-Kilowatt-Schnellladegerät für ein Elektroauto kaufen und kann damit auch einen Lkw aufladen. Das ist nicht mehr allzu teuer.

Meine andere Erkenntnis war, dass Batterien sehr schnell leichter werden und dass sich viel Gewicht sparen lässt, wenn man einen herkömmlichen Antriebsstrang durch einen elektrischen ersetzt.

Porträtaufnahme von Auke Hoekstra.
Foto: Jan Stads

Auke Hoekstra

erforscht an der TU Eind­hoven in den Nieder­landen intelligente Mobilität. Er ist Gründer der Forschungs­initiative Neon Research und der Beratungs­firma Zenmo Simulations. Auf Twitter ist er bekannt dafür, Studien und Artikel zu widerlegen, die Elektro­mobilität schlecht­rechnen.

Wenn man einen Lkw von Grund auf neu konstruiert und dabei einen elektrischen Antriebsstrang verwendet, kann man fast drei Tonnen Gewicht einsparen – wie der Tesla Semi.

Einen Elektromotor kann man nahe an den Rädern anbringen und man kann mehrere davon verwenden, einen für jede Achse oder einen für jedes Rad. So etwas ist mit Elektromotoren einfach, aber mit Verbrennungsmotoren fast unmöglich.

Deshalb denke ich, dass wir in fünf Jahren 40-Tonnen-Batterie-Sattelzüge mit einer Reichweite von 800 Kilometern haben werden, die mehr Ladung transportieren können als heutige Lastwagen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Faktoren – keine Notwendigkeit einer großen Reichweite, einfache und billige Ladelösungen und das Fehlen von Gewichtsnachteilen – schon bald einen überzeugenden Business-Case für Batterie-Lkw in den Kalkulationen der Spediteure zeigen werden.

Deutschland führt mehrere Pilotprojekte mit Oberleitungen für Lastwagen auf Autobahnen durch. Glauben Sie, dass diese Technologie eine Chance hat?

Oberleitungen sind eine gute und energieeffiziente Option, aber es wird schwierig sein, sie in großem Maßstab zu verwirklichen. Die teure Infrastruktur stellt eine Hürde für diese Technologie dar, weil sie ein Henne-Ei-Problem schafft. Man muss sie auf langen Straßenabschnitten installieren, sonst hat es keinen Sinn, in Oberleitungsfahrzeuge zu investieren. Deshalb glaube ich nicht, dass das passiert.

Aber gleichzeitig bleibt es eine Option. Man muss nur genügend Partner in einer bestimmten Region finden, die sich dafür begeistern und bereit sind, viel Geld zu investieren. Immer dann, wenn die richtige Vision und die richtigen Umstände zusammenkommen, also viele Lastwagen am gleichen Ort, dann sind Oberleitungen eine ausgezeichnete Idee mit einem sehr guten Business-Case.

Im Raum Rotterdam zum Beispiel müsste man nur eine begrenzte Strecke elektrifizieren, um den Einsatz von Lastwagen mit sehr kleinen Batterien zu ermöglichen. Der Rotterdamer Containerhafen ist ein Engpass, und es gibt immer eine Schlange von Lastwagen, die sich eine halbe Stunde oder eine Stunde lang in Richtung Hafen bewegen.

Dies wäre ein idealer Straßenabschnitt, auf dem die Batterien für die nächste Fahrt aufgeladen werden können. In diesem Fall bräuchte man nur eine Hochleistungs-Oberleitung für eine Strecke von etwa zehn Kilometern.

Scania und Siemens sind an den deutschen Fahrleitungs-Pilotprojekten beteiligt – zwei ziemlich große Akteure.

Ja, aber sie sind nur Technologieanbieter. Was wir brauchen, ist eine bestimmte Region, die sagt: "Das wird für uns funktionieren." Die Leute, die die Technologie von Siemens und Scania kaufen, werden mehrere hundert Millionen Euro investieren müssen, um sie auf den Weg zu bringen.

Der Bau der Lastwagen und der Oberleitungen ist also relativ gesehen der einfache Teil. Eine große Gruppe von Investoren zu gewinnen ist der schwierigere Teil des Henne-Ei-Problems.

Diese Überlegungen machen mich etwas traurig, denn sie zeigen, dass wir viel mehr Entschlossenheit brauchen, um das Klimaproblem anzupacken. Wenn die Regierungen hier mit dem gleichen Nachdruck handeln würden wie gegen die wirtschaftlichen Auswirkungen von Covid-19, könnten diese Henne-Ei-Probleme leicht bewältigt werden.

Was sind ein paar Milliarden für die deutsche Regierung? Europa investiert Billionen, um die Wirtschaft nach Corona wieder in Gang zu bringen. Warum sind da nicht ein paar Milliarden übrig, um ein solches Vorhaben zu verwirklichen?

Einige Lkw-Hersteller, Zulieferer und die Mineralölindustrie drängen auf synthetische Kraftstoffe als emissionsarme Option für den Antrieb des Schwerlastverkehrs auf der Straße.

Ich halte es für eine törichte Annahme, dass Verbrennungsmotoren auf Dauer Bestand haben werden. Lkw mit synthetischen Kraftstoffen haben nur einen einzigen großen Vorteil: Sie fahren mit energetisch sehr verdichtetem Kraftstoff. Aber in Bezug auf Effizienz, Wartung und den Preis pro Kilometer sind ihnen Batterie-Lkw weit überlegen.

Sowohl die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen als auch ihre Verwendung in Verbrennungsmotoren sind höchst ineffizient. Insgesamt benötigen Lkw mit synthetischem Sprit vier- bis fünfmal mehr Energie als ein Elektrofahrzeug. Deshalb sehe ich nicht, dass diese Option irgendwo hinführt.

Dasselbe gilt für Wasserstoff, aber in etwas geringerem Maße.

Sie glauben also, dass auch Brennstoffzellen-Lkw keine Chance haben?

Noch vor drei Jahren haben alle gesagt, dass Batterie-Lkw nicht infrage kommen und Wasserstoff die nächstbeste Wahl sei. Positiv ist, dass Brennstoffzellen-Lkw in der Anschaffung etwas billiger als Batterie-Lkw werden könnten, sobald Brennstoffzellen in die Massenproduktion gehen.

Aber das betrifft nur den Kaufpreis, und ich denke, sie werden im Betrieb viel teurer bleiben. Das liegt daran, dass wir Wasserstoff quasi aus Strom herstellen müssen, und dabei verlieren wir mindestens die Hälfte der Energie. Deshalb braucht man für den Antrieb eines Brennstoffzellen-Lkw auf jeden Fall doppelt so viel Strom wie für einen Batterie-Lkw.

Ein zusätzliches Problem ist das gesamte Geschäftsmodell der Sattelzüge, das auf der Idee beruht, dass man Anhänger und Sattelschlepper nach Belieben wechseln kann. Das bedeutet, dass man alles in den Sattelschlepper packen muss, einschließlich der Energie, die man benötigt, um ihn zu einer unabhängigen Einheit zu machen. Aber Wasserstoff braucht viel Platz, auch wenn er relativ leicht ist.

Man kann nur dann genügend Wasserstoff an Bord nehmen, wenn man den Lkw verlängert. Vielleicht wird dies mit neuen Vorschriften möglich. Vielleicht wollen wir ohnehin längere Lkw, um sie aerodynamischer zu machen. Aber die traditionelle, kastenförmige Anhängerform in der EU ist das Ergebnis eines maximierten Volumens bei gegebener Länge, und ich sehe nicht, wo man den ganzen Wasserstoff unterbringen könnte.

Aber auf der anderen Seite kann man auch mit Wasserstoff die CO2-Emissionen deutlich reduzieren. Wenn Wasserstoff das Elektrofahrzeug überholt hat, dann sollten wir aus Klimasicht froh sein. Dann gäbe es eine zweite Alternative zum Diesel. Das Letzte, was ich tun möchte, ist, Wasserstoff schlechtzureden, aber ich glaube nicht, dass sich Wasserstoff durchsetzen wird.

Viele Klimaschützer sagen, dass wir Wasserstoff nur in Sektoren verwenden sollten, wo es keine Alternativen gibt – also nicht im Straßenverkehr.

Ja, natürlich! Wir haben nur eine begrenzte Menge an grüner Energie, und es gibt viel bessere Verwendungsmöglichkeiten für Wasserstoff, als ihn in Lastwagen zu verfeuern. Wasserstoff kann für die Dekarbonisierung der Industrie und der Luftfahrt verwendet werden.

Ich habe nur aus Sicht der Speditionen erläutert, warum es schwieriger ist, mit Wasserstoff wirtschaftlich zu fahren als mit Batterie.

Welche Art von Zeitplan erwarten Sie für die Dekarbonisierung des Güterverkehrs? Wann werden wir eine nennenswerte Zahl von emissionsfreien Lastwagen auf den Straßen Europas sehen?

Ich zögere immer ein wenig, noch einmal über Tesla zu sprechen, weil es mich wie einen Fan klingen lässt. Aber ich erinnere mich, dass sich auf dem Automarkt die Dinge wirklich geändert haben, als der Roadster auf den Markt kam. Es hat die Wahrnehmung von Elektroautos verändert. Vorher galt die Meinung, dass man sie nur auf kurzen Strecken einsetzen kann. Und plötzlich tauchte dieses Auto auf, und alles war möglich.

In ein paar Jahren werden wir die ersten Tesla-Sattelzüge auf der Straße sehen. Das wird einen ähnlichen Einfluss auf die Wahrnehmung von Elektro-Lkw haben. Man kann darauf zeigen und sagen: "Sehen Sie, er bewegt sich, und er schafft 800 Kilometer." Plötzlich werden alle, die bei den Lkw-Herstellern sagen, "Das geht nicht", ihren Chef antworten hören: "Unser Konkurrent kann es, also müssen wir es auch tun."

Das wird in fünf oder sieben Jahren zu diversen neuen Modellen vieler Unternehmen führen. Es ist eigentlich gar nicht so schwer, einen Elektro-Lkw zu konstruieren.

Der Bau eines VW ID 3 ist um Größenordnungen schwieriger. Es ist zunächst sehr teuer, ein Auto zu entwickeln, das man dann in großen Stückzahlen zu Schleuderpreisen produzieren kann. Es muss stark optimiert werden, und es sind viele Akteure beteiligt.

Für Lastwagen ist es vergleichsweise einfach, weil die Stückzahlen kleiner sind und das Design weniger wichtig ist. Eine ziemlich große Veränderung ist jedoch die Verwendung der Batterie als Teil der Struktur, um Gewicht zu sparen wie beim Tesla Semi.

Glauben Sie, dass die nötige politische Unterstützung da ist, um den Übergang zu schaffen? Oder wird sogar der Business-Case dafür ausreichen?

Politische Unterstützung zur Beschleunigung des Übergangs ist sehr hilfreich. Schauen Sie nur den Pkw-Markt an, wo die EU-Flottengrenzwerte entscheidend waren, um viele Hersteller zu überzeugen.

Ich glaube fest daran, dass in vier oder fünf Jahren jeder wissen wird, dass ein Elektroauto insgesamt einfach billiger ist. Es mag im Autohaus etwas mehr kosten, aber es wird viel billiger im Betrieb sein, weil die Kosten zur Wartung und vor allem beim Tanken geringer sind. Wenn wir an dem Punkt angelangt sind, kann sich die Politik auf die Ladeinfrastruktur beschränken.

Das Interview erschien zuerst bei Clean Energy Wire, einem gemeinnützigen englischsprachigen Fachmagazin aus Berlin, unter dem Titel "Battery-electric trucks will win race against fuel cells and e-fuels – researcher". Der Originalbeitrag und die Übersetzung stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY 4.0.

Das Gleiche gilt für Elektro-Lkw, denen politische Maßnahmen schneller zum Durchbruch verhelfen können. Letztlich reicht aber auch hier der Business-Case.

Trotzdem ist es hilfreich, wenn die Politik sagt: "Ihr müsst das tun." Städte könnten hier eine wichtige Rolle spielen, indem sie Fahrzeuge verbieten, die zu viel Schmutz und Lärm verursachen. Das würde einige Hersteller zum Nachdenken anregen: "Wir brauchen mindestens ein Null-Emissions-Modell für Kunden, die Probleme haben, mit herkömmlichen Lastwagen in die Städte zu gelangen."

Ich denke, viele Städte – zumindest hier in den Niederlanden – würden Diesel-Lkw im Stadtzentrum noch lieber verbieten als Pkw, aber bisher gibt es eben noch keine Alternative. Aber sobald diese Alternative existiert, könnten einige Kommunen sehr energisch handeln.

Sehen Sie in der Lkw-Branche schon eine ernsthafte Bewegung hin zu emissionsfreien Fahrzeugen?

Es ist ein sehr konservativer Sektor. Deshalb habe ich das Beispiel Tesla genannt. Wir brauchen jemand, der uns zeigt, dass es wirklich möglich ist. Außer dem Semi kenne ich keinen richtig neu gedachten Lastwagen.

Alle Hersteller kleben zum Beispiel an einem zentralen Motor. Das ist eine alte Denkweise. Sie nehmen den Lkw im Prinzip so, wie er ist, bohren ein paar Komponenten des Antriebsstrangs raus und ersetzen dann den Verbrennungsmotor durch einen Elektromotor und Batterien. Das ist kein neu gedachter Lkw, das ist eine Nachrüstung.

Übersetzung: Christian Mihatsch 

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