Die Umstellung auf ein Leben ohne eigenes Automobil wird als radikal empfunden – auch von weiten Teilen der grünen Bewegung.
Erst vor einigen Tagen habe ich zwei grüne Kommunalpolitiker gefragt, ob sie noch ein Auto besitzen. Beide wohnen mit ihren Familien zentrumsnah in der Stadt, haben kurze Wege, auch zur Arbeitsstelle. Doch der Umstieg auf Carsharing scheint beiden nicht möglich.
Auf die vielen Erklärungen möchte ich gar nicht eingehen. Mir sind die Probleme bekannt, denn meine Frau und ich haben nie ein Privatauto besessen, unsere Kinder mussten zu Ärzten, Schulen und zum Musikunterricht. Das nächste Sharing-Fahrzeug gab es in anderthalb Kilometern Entfernung. Ja, das war oft ziemlich umständlich. Aber wir wollten vorleben, dass es geht.
Inzwischen frage ich mich ernsthaft, ob die Verkehrswende jemals kommen wird, wenn selbst flammende Befürworter nicht bereit sind, bei sich selbst anzufangen. Ich spreche hier von Menschen in urbanen Regionen, deren Fahrzeug täglich nur für eine knappe Stunde bewegt wird.
Das Privatauto ist sozial-kulturell und mental fest verankert. Weder Spritpreise über zwei Euro pro Liter noch Parkplatzgebühren oder die nervige Parkplatzsuche haben einen Wandel der Mobilitätskultur angestoßen. Die Frustrationstoleranz ist enorm: Wer in Deutschland ein Auto hat, steht pro Jahr 120 Stunden im Stau – durchschnittlich.
Die Covid-Krise verschaffte nur vorübergehend Linderung. Die Aussichten sind weiterhin nicht rosig, weil der Pkw-Bestand kontinuierlich zunimmt. Inzwischen sind es mehr als 48 Millionen und damit knapp sieben Millionen Autos mehr als 2010. Das ist schlecht fürs Klima und verfestigt unsere Abhängigkeit von Despoten wie Putin.
Viel Geld fürs Auto
Knapp 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger wünschen sich weniger Autos in ihrer Gemeinde. Rund 40 Prozent können sich vorstellen, zukünftig auf ein eigenes Auto zu verzichten, ergab eine Befragung aus dem Jahr 2019. Demnach haben Millionen schon einmal darüber nachgedacht, ihr Auto abzuschaffen.
Jetzt tobt der Krieg gegen die Ukraine und die Bereitschaft, neue Mobilitätsformen zu erproben, hat deutlich zugenommen. Doch selbst bei den gegenwärtigen Spritpreisen erscheinen die Kosten für ein Bahnticket recht hoch.
Denn die Anschaffungskosten machen beim Intimwagen den größten Anteil aus. Durch den Besitz des Fahrzeugs ergibt sich sozusagen ein ökonomischer Zwang, es auch zu nutzen.
Erst der Wechsel vom Intimauto zum Carsharing macht die Kosten transparent und zeigt, wie günstig Radeln, Bus und Bahn sind.
Doch bisher ist die Bundesregierung offenbar nicht daran interessiert, dass Millionen ihre Gewohnheiten ändern und das Intimauto abschaffen. Im Gegenteil verschenkt sie Milliarden, damit die Menschen ihre automobilen Gewohnheiten beibehalten.
In Deutschland gibt es viel Geld vom Staat, wenn man einen Dienstwagen fährt, wenn man einen Diesel fährt, ein Dienstfahrzeug oder E-Auto anschafft oder wenn man zur Arbeit pendelt. Insgesamt fördern die Behörden klimaschädliches Mobilitätsverhalten jährlich mit knapp 30 Milliarden Euro, bilanziert das Umweltbundesamt.
So funktioniert die Abschaffprämie
Würde nur ein kleiner Teil dieser Gelder umgewidmet, zum Beispiel vier Milliarden Euro, könnten Jahr für Jahr zwei Millionen Menschen 2.000 Euro Prämie erhalten, wenn sie ihr Auto abschaffen und für zwölf Monate kein neues kaufen.
Bliebe danach nur die Hälfte der Prämienempfänger bei der Mobilität ohne eigenen Wagen, gäbe es nach zehn Jahren zehn Millionen Autos weniger, dafür aber mehr Platz für Menschen, etwa in Form von Grünflächen und Aufenthaltsräumen.
Michael Kopatz
ist wissenschaftlicher Projektleiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und hat das Konzept der Ökoroutine entwickelt. Er befasst sich unter anderem mit Lebensstil-Fragen. Sein jüngstes Buch "Wirtschaft ist mehr!" im Open-Access-Format behandelt neue, umfassende Konzepte nachhaltiger regionaler Wirtschaftsförderung.
Es ist gut vorstellbar, dass viele Menschen in städtischen Räumen eine solche "Abschaffprämie" zum Anlass nähmen, den geplanten Kauf eines neuen Wagens zunächst für ein Jahr aufzuschieben. Davon gehen auch meine Kolleg:innen aus, die am Wuppertal Institut zu Verkehrsfragen forschen.
Ein Jahr müsste erfahrungsgemäß ausreichen, um neue Routinen zu etablieren. Diese innovative Form einer Prämie könnte die Transformation der Mobilitätskultur in Gang setzen.
Der Bund zahlt, die Städte können die Prämie mit eigenen "Incentives" verstärken: etwa durch ein günstiges Ticket für den Nahverkehr, einen Zuschuss für ein E-Bike oder Cargobike und – ganz wichtig – besondere Angebote für Carsharing. Denn die Umstellung fällt leichter, wenn sich ein Gemeinschaftsauto in unmittelbarer Nähe befindet.
Denkbar wäre auch, nach Ablauf des Jahres die Nutzung des Nahverkehrs in einem Bundesland für 365 Euro jährlich anzubieten.
Beispiele sind ermutigend
Praxisbeispiele zeigen, dass so ein Programm grundsätzlich funktioniert. In Denzlingen bei Freiburg bekam 500 Euro Prämie, wer sein Auto abschaffte. Immerhin 15 Haushalte legten bei diesem ersten Versuch ihren Wagen still und verpflichteten sich, drei Jahre lang keinen neuen zu kaufen. Die Prämie floss zweckgebunden etwa in ein Jahresticket für den öffentlichen Nahverkehr.
Eine Initiative in Berlin setzt sich für die Freie-Straßen-Prämie ein. Wer die Straßen von seinem Auto befreit, soll jährlich 1.100 Euro bekommen und 550 Euro für die Kinder.
Mit 2.500 Euro kann man sich demnächst in Frankreich den Kauf eines E-Bikes fördern lassen – aber nur, wenn man dafür sein Auto abschafft. Die bestehende Abwrackprämie wurde um den Bonus für E-Bikes erweitert.
In Finnland gibt es ein "Cash for Clunkers"-Programm. Wer sein altes Auto aufgibt – clunker ist englisch für Klapperkiste –, erhält 1.000 Euro, die für ein E-Bike oder für ÖPNV-Tickets eingesetzt werden können.
Allerdings lässt sich fragen, ob es angemessen ist, den Autobesitzern noch mehr Geld hinterherzuwerfen. Wer nie ein Auto besessen hat oder schon vorher auf Carsharing umgestiegen ist, bekommt schließlich nichts.
Es stimmt, das ist ungerecht – aber bei der Einrichtung von Anreizen nicht zu vermeiden. Politik richtet sich auf die Zukunft. Auch wer vor Einführung des Elterngeldes Kinder bekam, ist leer ausgegangen. Und just nach dem Kauf eines Elektroautos oder einer Solaranlage gibt es womöglich deutlich mehr Fördermittel. Ohne fest definierte Stichtage und Bezugsgrenzen geht es nicht.
Umstellung auf E-Mobilität reicht nicht
Die Bundesregierung redet nicht davon, aber um die Klimaziele zu erreichen, wird sich auch die Zahl der Pkw verringern müssen, und zwar vor allem in den Städten, da man in vielen ländlichen Räumen auch langfristig auf ein Auto angewiesen sein wird.
Denn grüner Strom ist kostbar. Mit ihm sollen künftig nicht nur die Fahrzeuge angetrieben, sondern auch die Stuben erwärmt und – meist in Form von Wasserstoff – Stahlwerke oder Chemiefabriken betrieben sowie Flugzeuge und Schiffe bewegt werden.
Verschiedene Klimaschutzszenarien gehen daher von einem notwendigen Pkw-Rückgang um 30 bis 50 Prozent auf 25 bis 35 Millionen aus. Die Besitzquote liegt heute bei über 550 Pkw pro 1.000 Einwohner, das Umweltbundesamt hat als Zielwert für Großstädte 150 Pkw vorgeschlagen.
In den letzten zehn Jahren hat die Klimapolitik der Bundesregierung im Sektor Verkehr total versagt. Die Emissionen liegen heute fast auf dem gleichen Niveau wie 1990. Geplant ist eigentlich eine Reduktion um 40 Prozent bis zum Jahr 2030.
In Verbindung mit den angekündigten Investitionen in nachhaltige Infrastrukturen könnte eine Abschaffprämie als förderpolitische Innovation der Anfang sein für einen Wandel unserer Mobilitätskultur, eine mentale Transformation. Damit wir jungen Menschen nicht die Zukunft klauen.
Ein Nachsatz
Die Idee für eine Abschaffprämie kam mir übrigens im Gespräch mit einem Vertreter der Automobilindustrie. Bei einer gemeinsamen Bahnfahrt fragte ich ihn kurz vor Hannover: "Warum fahren Sie denn mit der Bahn, sogar mit einer Bahncard 100?" Die Antwort des Automanns war überraschend.
"Vor einigen Jahren habe ich mir den Fuß gebrochen. Bruch und Operation waren kompliziert. Direkt nach dem Unfall meinte der Chirurg, ich könne jetzt vermutlich ein Jahr kein Auto fahren. Das war für mich ein ziemlicher Schock. Nach einiger Zeit wurde mir klar, dass ich ja auch mit der Bahn fahren kann.
Als die Bahncard nach einem Jahr abgelaufen war, konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen, mit dem Auto zu fahren. Wenn ich jetzt nach Hause komme, sind die Berichte geschrieben, die Listen fertig und ich habe meistens Feierabend. Früher musste ich mich dann noch Stunden an den Schreibtisch setzen. Deswegen ist es für mich auch nicht so schlimm, wenn der Zug mal Verspätung hat."