Aktion vor dem Bundeskanzleramt mit Großpuppen von Scholz, Lindner und Habeck sowie Darstellungen der Energiewende, etwa eine Straßenbahn und Windräder.
Bei der Energiewende ziehen in der Ampel nicht alle mit. Aktion von Klimaschützer:innen mit Lindner-, Scholz- und Habeck-Puppen vor dem Kanzleramt im April. (Foto: Paul Lovis Wagner/​Campact)

Es hat etwas von einem Déjà-vu. Im Jahr 2012 hatte Bundesumweltminister Peter Altmaier gemeinsam mit Wirtschaftsminister Philipp Rösler nach drei erfolgreichen Solardach-Ausbaujahren die Einspeisevergütungen so radikal gekürzt, dass nicht nur der Ausbau zusammenbrach, sondern die Solarindustrie in Deutschland gleich mit.

Im Jahr 2016 setzte der Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel die Umstellung des EEG-Systems auf Ausschreibungen durch, mit der Folge, dass der Windkraftausbau einbrach.

Und jetzt, im Jahr 2022, kommt ein neuer Tiefschlag: die Erlösabschöpfung durch die Ampel-Koalition.

Dabei sollen die sogenannten Zufallsgewinne durch die stark gestiegenen Strompreise abgeschöpft werden. Tatsächlich werden Erlöse abgeschöpft, von denen man die laufenden Kosten noch abziehen muss, um den Gewinn zu ermitteln. Mit der Abschöpfung sollen die Strompreisentlastungen für die Bürger:innen teilweise finanziert werden.

Richtiges Ziel, falsches Instrument

Grundsätzlich ist dieses Ansinnen der Bundesregierung ja unterstützenswert. Vor allem Haushalte mit geringem Einkommen müssen derzeit unterstützt werden, wie ich schon öfter betont habe.

Das Mittel der Wahl, um übertriebene Gewinne – nicht Erlöse – zum Wohle der Allgemeinheit zu verwenden, wäre eine Steuererhöhung, und zwar auf Gewinne, die nicht wieder in Erneuerbare-Energien-Projekte investiert werden. Aber die FDP und besonders Finanzminister Christian Lindner wehren sich aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen mit aller Macht gegen Steuererhöhungen jeder Art. 

Aufgrund dieser Blockadehaltung muss Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck einen bürokratischen Irrsinn vorschlagen, um Erlöse bei Erneuerbare-Energien-Projekten abzuschöpfen. Hier fehlt jegliche Verhältnismäßigkeit. 

Bei der Besteuerung der Zufallsgewinne für Energieunternehmen der Nicht-Strombranche bewegt sich der Vorschlag aus dem Finanzministerium mit 33 Prozent an der durch die EU-Kommission gesetzten Mindestgrenze. Es wäre auch ein deutlich höherer Steuersatz möglich gewesen.

Unternehmen der Öl- und Gasbranche können sich also über Jahrzehnte eine goldene Nase verdienen, mit katastrophalen Folgen für die gesamte Menschheit, werden aber, wenn es darauf ankommt, von der FDP geschont. Verdienen aber Betreiber von schon errichteten Windparks über ein halbes Jahr richtig Geld – einige davon zum ersten Mal in 20 Betriebsjahren –, muss sofort massiv gegengesteuert werden.

Die FDP-Fraktion im Bundestag hat jetzt vorgeschlagen, Neuanlagen von der Erlösabschöpfung auszunehmen. Das ist ein guter Vorschlag, auch wenn eine Ausnahme nur für Neuanlagen sehr wahrscheinlich nicht rechtssicher zu regeln ist. Aber es ist schon erstaunlich, dass die selbsternannte Hüterin des Marktes überhaupt kein Problem damit hat, dass tiefgreifend in den bisher gut funktionierenden Strommarkt eingegriffen wird. Und das mit Folgen, die noch keiner wirklich abschätzen kann.

Vertrauensverlust heute – fehlende Investitionen morgen

Die Erlösabschöpfung bei den erneuerbaren Energien hat fatale Folgen:

Erstens: Viele Pioniere der Erneuerbare-Energien-Branche verlieren das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Bundesregierung. 

Vor allem in Süddeutschland, das heißt südlich der Mainlinie, haben viele bestehende Windparks, die das Ende ihrer EEG-Laufzeit erreichen, in diesem Jahr zum ersten Mal überhaupt in ihrer Laufzeit einen nennenswerten Gewinn erwirtschaftet. Den konnten sie an ihre Anteilseigner:innen ausschütten beziehungsweise ihre gestiegenen laufenden Kosten ausgleichen. Im Zuge der allgemeinen Entwicklung sind zum Beispiel allein die Kosten für Wartungsverträge um 20 Prozent gestiegen, die ein wichtiger Faktor für den Weiterbetrieb von Anlagen sind.

Es ist gut, dass die rückwirkende Erlösabschöpfung mit dem Kabinettsbeschluss vom Freitag vom Tisch ist. Trotzdem werden die Windparks an schlechteren Standorten mit der Erlösabschöpfung den Grenzbereich der Wirtschaftlichkeit nicht verlassen können. Im schlechtesten Fall gehen so im nächsten Jahr einige hundert Megawatt Altanlagen vom Netz. Außerdem werden gerade in Süddeutschland Investitionen in neue Anlagen erschwert beziehungsweise verhindert. 

Zweitens: Die Erlöse von Solar-Freiflächenanlagen werden bei den mittlerweile obligatorischen PPA-Verträgen so stark abgeschöpft, dass ein wirtschaftlicher Betrieb nicht möglich sein wird.

Die EU-Regelung sieht übrigens eine Erlösobergrenze von maximal 18 Cent pro Kilowattstunde vor. Warum das Bundeswirtschaftsministerium bei seinem Vorschlag zum Teil deutlich unter diesem Wert bleibt, erschließt sich mir nicht. Würde der höhere Wert gelten, würden viele der jetzigen Probleme gar nicht auftreten. 

Drittens: Die Marktakteure sind zutiefst verunsichert und sehr viele werden ihre Investitionen nach hinten verschieben. Die Maßnahme soll zwar bis Juni 2023 befristet werden, könnte aber auch bis April 2024 verlängert werden. Das ist kürzer, als die zugrundeliegende EU-Regelung erlaubt. Dies ist ein Lichtblick und ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung.

Porträtaufnahme von Matthias Willenbacher.
Foto: Wiwin

Matthias Willenbacher

Der studierte Physiker gründete in den 1990er Jahren Juwi, einen Projektentwickler für Erneuerbaren-Anlagen, in dessen Vorstand er bis 2015 war. Heute ist er Geschäftsführer der nachhaltigen Investing-Plattform Wiwin. Er ist Mitglied im Heraus­geber­rat von Klima­reporter°.

Ich bezweifele aber sehr stark, dass diese Befristung ausreicht, die große Verunsicherung und Zurückhaltung in der Branche auszugleichen. Das Kind ist eben schon in den Brunnen gefallen, der Vertrauensverlust ist bereits da. Investoren werden konservativ kalkulieren und davon ausgehen, dass die Maßnahme maximal verlängert wird – damit droht vielen neuen Projekten das wirtschaftliche Aus.

Und das in einer Phase, in der der Ausbau der erneuerbaren Energien durchstarten soll und muss. So ernüchternd das Ergebnis der Klimakonferenz der vergangenen Woche war, so eindeutig ist die Aussage im Abschlussdokument, dass der Ausbau der Erneuerbaren weltweit energisch vorangetrieben werden muss. Die USA haben das mit ihrem Inflation Reduction Act erkannt und entsprechend gehandelt.

Wir brauchen vielfach höhere Investitionszahlen in Deutschland. Ab 2024 sollen jährlich neue Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 10.000 Megawatt installiert werden. Zur Erinnerung: die letzten Ausschreibungen waren alle unterzeichnet.

Viertens: Zu guter Letzt ist sehr unsicher, ob die erwarteten Einnahmen tatsächlich zustande kommen. Die Preise am Strommarkt bewegen sich mittlerweile wieder auf dem Niveau der Zeit vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Es stellt sich die Frage, ob der ganze Aufwand und die damit verbundenen Gefahren sich überhaupt lohnen.

Hoffnungsschimmer in der Schwebe – Vertrauen trotzdem verloren

Im Gesetzentwurf plante das Wirtschaftsministerium neben der Erlösabschöpfung, die Höchstwerte für die Ausschreibungen von Windenergie an Land und Freiflächen-Photovoltaik anzuheben, damit die Zahl der Gebote bei den Ausschreibungen wieder steigt. Im Kabinettsentwurf sind diese Regelungen vollständig weggefallen.

Egal, welche Gründe zur Streichung geführt haben: Eine Anhebung der Höchstpreise ist unbedingt erforderlich, sonst sind, wie beschrieben, neue Wind- und Solarparks unter den jetzt gegebenen Rahmenbedingungen nicht wirtschaftlich zu betreiben. Bei Windenergie gilt dies vor allem für Projekte im Süden der Republik.

Die Kostensteigerungen im letzten Jahr bei Wartung, Versicherungen, Betriebsführungen und Pachten liegen bei 20 bis 50 Prozent. Dazu kommen um den Faktor vier bis fünf gestiegene Zinsen. Hier ist eine verlässliche und planbare Anpassung notwendig. 

Und selbst dann bestehen alle anderen Hürden für einen schnellen Windausbau weiter: Genehmigungsverfahren dauern viel zu lange und es stehen zu wenig Flächen zur Verfügung. Die Windturbinenhersteller fertigen ihre Anlagen immer noch erst dann, wenn ein konkreter Auftrag vorliegt, sie erweitern ihre Produktionskapazitäten nicht und verdienen aktuell zu wenig mit ihren Anlagen. Und das sind nur die wichtigsten Punkte.

Volle Energie für Erneuerbare!

Die Anstrengungen der Bundesregierung sind deshalb zu zaghaft. Wir brauchen einen wirklich großen Wurf.

Wir brauchen einen progressiven Geist und mehr Personal in den Genehmigungsbehörden für Verfahren in "LNG-Geschwindigkeit", ein KfW-Kreditprogramm mit gedeckelten Zinsen für Erneuerbaren-Projekte bei einem Prozent, digital und bundesweit verfügbare Naturschutzdaten, bessere finanzielle und prozessuale Beteiligungsmöglichkeiten in den Kommunen, einfachere Bürgerenergie-Regeln, Energy Sharing ...

Tacheles!

In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrates in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.

Es gibt also noch sehr viel zu tun. Für einen echten Turbo bei der Energiewende brauchen die Erneuerbaren-Branche und die Bürger:innen eine positive Unterstützung der gesamten Bundesregierung. Wir brauchen kein unsinniges Bürokratiemonster, das den Investitionsgeist aller Akteure abwürgt. 

Auch wenn es politisch naiv klingen mag: Lasst den Unsinn, führt eine vernünftige Gewinnbesteuerung ein und drückt das Strompedal durch in Richtung erneuerbare Energien, nicht in Richtung Klimahölle.

 

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